Schmied: „Lehrer-Gewerkschaft teils wie die Tea Party“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Bildungsministerin Claudia Schmied, im Interview, über ihren Kampf für die Neue Mittelschule, Standesdünkel der Lehrer und Rosen für Vizekanzler Michael Spindelegger.

Die Presse: Man hört, Sie würden nicht noch eine Legislaturperiode Bildungsministerin bleiben wollen. Stimmt das?

Claudia Schmied: Das stimmt nicht. Ich würde gern bleiben, aber da liegen noch ein paar Entscheidungen dazwischen, die der Wähler, die der Partei, die des Regierungschefs. Aber wenn ich noch einmal gefragt werde, würde ich das wieder machen.

Die Bildungspolitik ist in diesem Land stets von parteipolitisch bis ideologisch geführten Debatten überlagert. Auch Ihnen ist die Entideologisierung nicht gelungen.

Bildungspolitik hat immer auch ideologische Wurzeln. Denn in der Bildung geht es um das Menschenbild, das man hat. Aber gerade in den vergangenen Monaten gab es Fortschritte: Wenn ich an die Initiativen der Wirtschaft oder der Industriellenvereinigung denke. Ich bin daher etwa auch Vizekanzler Michael Spindelegger dankbar: Die Einrichtung der Denker-Plattform „Unternehmen 2025“ zur Bildungsreform zeigt, dass dort Vorschläge und Konzepte möglich sind, die nicht der strengen Parteilinie entsprechen, zum Beispiel die Zustimmung zur Ganztagsschule. Das zeigt, dass sich dieser Bereich rasch ändert und dass es völlig neue Bündnispartner im Bildungsbereich gibt. Vor 20,30 Jahren war das nicht so. Parteipolitisch bricht gerade viel auf. Es geht um das Bohren dicker Bretter, aber es gibt Fortschritte. Die Zukunft wird die Ganztagsschule bringen, das steht fest.

Selektive Wahrnehmung ist in der Politik unvermeidlich. In der ÖVP wird für die Rettung des Gymnasiums mobilgemacht, da gibt es heftigen Widerstand gegen Ihre Neue Mittelschule.

Ob die Zukunft gemeinsame Schule für Zehn- bis 14-Jährige oder anders heißt, wird man sehen. Fakt ist, dass in Österreich Bildung nach wie vor vererbt wird. Sogar die Experten von Vizekanzler Spindelegger sagen ganz klar, dass in unserem System die wichtigste Entscheidung und Weggabelung für die gesamte Schullaufbahn zu früh fällt. Kinder mit neuneinhalb Jahren können da noch nicht wirklich mitentscheiden.

Ich kenne Ihre Argumente. Es gibt trotzdem breiten, ebenfalls auch parteiübergreifenden Widerstand gegen die Abschaffung des Gymnasiums. Sie kennen die Argumente, wonach Sie ...

...das Gymnasium aushungern wollen. Nein, das stimmt nicht. Wir bauen AHS-Standorte aus, wir investieren noch immer in die AHS-Unterstufe. Mein politisches Gesamtziel bleibt aber die gemeinsame Ganztagsschule für Zehn- bis 14-Jährige.

Es melden sich viel zu wenige Lehrer für den Wechsel in die Neue Mittelschule.

Das Erfreuliche ist die große Zustimmung der Eltern. Was die von Ihnen angesprochene Kooperation mit dem AHS-Bereich betrifft, ist das zum Teil leider anders. Wir haben aber enge Kooperationen mit berufsbildenden höheren Schulen, die das als Chance sehen: die Neue Mittelschule als Zubringer zu ihren Oberstufengymnasien. Beim AHS-Bereich haben Sie recht: Da melden sich zu wenige Lehrer. Ich glaube, dass das am Standesdünkel liegt. Ein kleiner AHS-Bereich ist so gewerkschaftlich organisiert – ich möchte das mit der Tea Party vergleichen – und einfach eine Widerstandsbewegung. Ich möchte die stärken, die für Innovationen bereit sind.

Sie sagen, Bildung wird vererbt – ist das nicht das Scheitern der Sozialdemokratie? Seit 1972 hat es in der Bildung immer wieder sozialdemokratische Führung gegeben. Was ist passiert?

Lange Zeit waren Bildungsgesetze auch Verfassungsgesetze. Bruno Kreisky hat zwar die Alleinregierung gehabt, aber nicht die Verfassungsmehrheit. Das wurde geändert. Wir können jetzt mit einfachgesetzlichen Maßnahmen Entscheidungen treffen, aber wir haben keine Alleinregierung mehr. Es spießt sich bis jetzt an den Mehrheiten, um den Durchbruch zu erringen.

Das heißt, es ist unmöglich.

Nein. Ich möchte noch einmal an neue Kooperationen erinnern – mit Wirtschaftskammer oder Industriellenvereinigung.

Sind das nicht teils Folkloreveranstaltungen: ein paar Sätze zu mehr Investition für den Bildungsbereich hier, eine Pressekonferenz zur Erinnerung an das Bildungsvolksbegehren da.

Nein, das ist wesentlich mehr, irgendwann muss das dicke Brett nachgeben.

Wer ist das dicke Brett? Fritz Neugebauer?

Ich glaube, es sind Gruppierungen innerhalb der ÖVP, innerhalb des ÖAAB-Bereiches.

Sie wissen schon, dass der ÖVP-Chef von dort kommt?

Ja. Umso erfreulicher ist es, dass er neue Zugänge in Auftrag gibt und zulässt.

Erwin Pröll hat angekündigt, einen neuen Anlauf zu nehmen, um die Verantwortung über die Lehrer in die Länder zu bekommen.

In dieser Sache haben wir andere Ansichten. Auch da fühle ich mich mehrfach unterstützt: ob vom Rechnungshof oder durch Expertenpapiere. Dass es in so einem kleinen Land wie Österreich eine klare Bundeskompetenz im Bildungsbereich gibt, ist eine Prinzipienfrage. Schauen Sie nach Deutschland! Dort wird man Ihnen das Leid klagen, wie schwierig es ist, wenn die Kompetenzen auf einzelne Bundesländer verteilt sind.

Wenn Kompetenzen in die Länder wandern, liegt aber auch die Verantwortung für das Geld dort.

Eine Verlagerung von der Bundeskompetenz zum Länderzentralismus kann nicht der Weg sein. Es muss wie bei Unternehmen sein: mehr Verantwortung für die Standorte. Mein Plan ist es, die Schulleiter zu stärken.

Schulleiter sind fast immer Lehrer, haben also kaum wirtschaftliche Kenntnis.

Es geht nicht um unternehmerische Tätigkeit, um Einnahmen zu erzielen, sondern um Personalverantwortung. Aber es stimmt, für Schulleiter brauchen wir Managementausbildungen. Damit beginnen wir im Herbst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2012)

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