Wie Sprachförderung anderswo funktioniert

Sprachfoerderung anderswo funktioniert
Sprachfoerderung anderswo funktioniert(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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So werden Migranten gefördert: Von persönlich zugeschnittenen Programmen in Kanada über integrativen Unterricht in England bis zum Recht auf erstsprachlichen Unterricht in Schweden.

Wer vor dem Schuleintritt nicht gut genug Deutsch spricht, soll nicht eingeschult werden. Das forderte vergangene Woche Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP). Er will, dass Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen in eigenen Vorschulklassen zusammengelegt werden. Die Reaktionen reichen von Zustimmung bis zu klaren Absagen an vermutete „Ghettoklassen“. „Die Presse“ richtet den Blick auf andere Länder – und hat sich angesehen, wie Sprachförderung für Kinder mit Migrationshintergrund anderswo (nicht) funktioniert.

Niederlande: Sprach- und Sozialtest für Sechsjährige

In den Niederlanden müssen Kinder im Alter von sechs Jahren an fast allen Schulen einen Sprachtest absolvieren, auch ihre sozialen Fähigkeiten werden abgeprüft. Wer Schwächen hat, muss in ein Förderprogramm mit eigens ausgebildeten Lehrkräften.

Da der Übergang vom Kindergarten in die Schule in den Niederlanden aufgrund der Schulautonomie meist fließend ist, setzt man schon früher an: Bereits für die Jüngsten wurden spezielle Lehrprogramme entwickelt. Aber nicht alle Niederländer sind mit dieser intensiven Förderung zufrieden: So mancher ist der Meinung, dass der Staat in jene öffentlichen Schulen, die einen hohen Migrantenanteil aufweisen, zu viele Mittel steckt. htz

England: Integrativer Unterricht mit Sprachlehrern

In Großbritannien hat sich die Zahl der Schüler, deren Erstsprache nicht Englisch ist, seit 1997 auf über eine Million verdoppelt – mit großen regionalen Unterschieden: In einigen Bezirken in Ostlondon haben 70 Prozent Migrationshintergrund und sprechen insgesamt mehr als 300 verschiedene Sprachen. Bildung ist in Großbritannien Ländersache: In England, wo jedes 6. Grundschulkind Englisch zusätzlich lernen muss (in den übrigen Landesteilen sind es deutlich weniger), setzt die Regierung auf Integration. Grundschüler werden unabhängig von ihren Kenntnissen gemeinsam unterrichtet. Dafür gibt es in vielen Klassen einen zusätzlichen Sprachlehrer, der oft selbst eine andere Muttersprache hat.

Doch die Sprachförderung beginnt lange bevor die Kinder im September nach ihrem 4. Geburtstag in die „Reception“ eingeschult werden, einer Art Pflicht-Vorschulklasse. Wie genau Sprachförderung gestaltet wird, bleibt den einzelnen Grundschulen überlassen, die in England ihre eigenen Etats verwalten und selbstständig Lehrkräfte einstellen. jk

Frankreich: Verschiedene Sonderklassen

Jährlich treten in Frankreich mehr als 35.000 Kinder ins Schulalter ein, die nicht Französisch als Erstsprache haben. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Schulkinder macht somit gerade einmal 0,4 Prozent aus. Nach einem Test der Französisch-Kenntnisse werden neu ankommende Kinder und Jugendliche ihrem Sprachniveau entsprechend eingeschult. Für Schüler, die überhaupt nicht französisch sprechen, existieren verschiedene Formen von Sonderklassen – „Classes d'accueil“ (CLA). Der Zweck der CLA ist es, so rasch wie möglich den Eintritt in eine normale Klasse der Mittelstufe (Collège) zu ermöglichen. Für Schüler, die nicht zu Beginn, sondern erst im Verlauf des Schuljahrs ankommen, ist außerdem ein zusätzliches Aufnahmesystem, die „Classe d'initiation“, vorgesehen.

Insgesamt kommen laut Erziehungsministerium 78,7 Prozent der Kinder, deren Erstsprache nicht Französisch ist, in den Genuss spezieller Sprachkurse – sei es in speziellen Klassen oder durch punktuelle Unterstützung. In der gemeinsamen Mittelstufe und in den Berufsmittelschulen werden 91 Prozent der Nicht-Frankofonen beim Erlernen der französischen Sprache unterstützt. Die Schule zählt in Frankreich zu den wichtigsten Integrationsinstrumenten der Republik. r.b.

Deutschland: Die „Kita“ als zentrale Förderstätte

Als die deutschen Schüler bei der PISA-Studie 2001 nur im unteren Mittelfeld landeten, war eine der Ableitungen, dass Kinder mit Migrationshintergrund gut Deutsch lernen müssen, um die gleichen Startchancen zu haben. Dabei war der Ansatz, dass Defizite schon im Kindergarten, der „Kita“, erkannt werden müssten. Also führten fast alle Bundesländer obligate Sprachtests vor dem letzten „Kita“-Jahr ein. Nicht alle werden erfasst, denn eine Pflicht zum Kindergartenbesuch ist durch das Grundgesetz ausgeschlossen. Immerhin 15 Prozent der Migrantenkinder zwischen drei und fünf Jahren bleiben zuhause. Wer eine „Kita“ besucht und beim Kurs schlecht abschneidet, wird gezielt gefördert. Evaluierungen zeigten allerdings, dass die Extrastunden Deutsch fast nichts bringen. Nun gibt es Bestrebungen, die Förderung auszudehnen; idealerweise sollte sie schon im Alter von drei Jahren starten. gau

Schweden: Recht auf erstsprachlichen Unterricht

In Schweden geht ein Großteil der Kinder bereits ab dem zweiten Lebensjahr in den Kindergarten. Für jene, die ein geringes Einkommen haben, ist er gratis. So können Kinder, die den Kindergarten besuchen, beim Schulbeginn zumeist ausreichend Schwedisch. Ist dem nicht so, besuchen sie so lange eine Vorbereitungsklasse, bis sie sich im Regelunterricht zurechtfinden. Ab diesem Moment werden sie in allen Fächern gemeinsam mit dem anderen Kindern unterrichtet. Mit einer wichtigen Ausnahme: Statt „Schwedisch“ belegen sie „Schwedisch als Zweitsprache“ – mit eigens ausgebildeten Lehrern. Zusätzlich haben alle Kinder mit einer anderen Erstsprache als Schwedisch das Recht auf Unterricht in ihrer Sprache. thea

Kanada: Persönliches Förderkonzept für Einzelne

In Kanada verfolgen die einzelnen Provinzen unterschiedliche Modelle. In Toronto, der größten Stadt Kanadas und Hauptstadt der Provinz Ontario, existiert ein im Kindergarten startendes strukturiertes Konzept der Förderung von „Englisch als Zweitsprache“ – das sich bis zur 12. Klasse durchzieht.

Vor dem Schuleintritt findet ein „Reception Center“ statt. Bis zu vier Tage lang werden Kinder, deren Erstsprache nicht Englisch ist, in spielerischen Situationen beobachtet und getestet. Die Ergebnisse werden den Schulen zur Verfügung gestellt, für jeden Schüler wird ein auf ihn zugeschnittenes Förderprogramm entwickelt – das immer wieder durch Tests auf seinen Erfolg überprüft und notfalls korrigiert wird. Basierend auf den ermittelten Sprachniveaus erhalten die Schulen Mittel für die Einstellung von zusätzlichen Lehrern. thea

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2012)

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