Der langsame, schwere Abschied von der grünen Tafel

langsame schwere Abschied gruenen
langsame schwere Abschied gruenen(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Die heimischen Klassenzimmer haben sich in den vergangenen Jahrzehnten nur wenig verändert. Digitale Lehrmittel haben nur zum Teil Einzug gehalten. Die IT-Konzerne wittern im Schulbereich ihre große Chance.

Die grüne Schiefertafel ist aus dem Klassenzimmer kaum mehr wegzudenken. Seit vielen Jahrzehnten prägt sie das Bild der Klassenräume. Heute sitzen die Schüler noch genauso davor wie einst ihre Eltern, Großeltern oder sogar Urgroßeltern. Man kann getrost sagen: Hier ist die Zeit stehen geblieben.

Dabei gebe es genügend technische Neuerungen, die schon längst Einzug ins Klassenzimmer hätten finden können. Das zeigt etwa ein Rundgang beim IT-Großhändler Ingram Micro, der mit der Initiative EDUC8 digital-didaktische Lehrmittel populärer machen möchte (siehe Faktenbox). Im zu Schauzwecken errichteten digitalen Klassenzimmer sind die Hefte den Laptops gewichen und auch von der grünen Tafel fehlt jede Spur. Diese wurde durch ein sogenanntes digitales Whiteboard ersetzt. Eine digitale Tafel, auf der zwar mit Stift und Finger geschrieben werden kann, die aber noch viel mehr leistet. Die digitale Tafel ist eigentlich wie ein Computer zu bedienen und bietet dementsprechend viele Präsentationsmöglichkeiten. Arbeitsblätter, Skizzen, Landkarten, alles, was im Computer gespeichert ist, kann auf das Whiteboard projiziert werden. Während in Großbritannien bereits 80 Prozent aller Tafeln durch diese digitalen Whiteboards ersetzt wurden, sind diese in Österreich oft nur in Schauräumen zu sehen. Zwar steigt die Zahl der digitalen Tafeln in Österreich kontinuierlich, Schätzungen zufolge steht aber bloß in jeder siebten bis zehnten Klasse ein derartiges Hightech-Produkt.

Die Gründe für die Zurückhaltung der Kunden sind vielfältig. Eine Rolle spielen etwa die Kosten. Die digitalen Tafel sind mit 3400 bis 5000 Euro nicht gerade billig. Ausschlaggebend für den geringen Absatz sind aber auch die meist geringen technischen Kenntnisse der Pädagogen. Da digitale Lehrmittel in der Ausbildung noch immer keine wichtige Rolle spielen, ist die Hemmschwelle zum Teil groß, solche anzuschaffen. „Es gilt, die Lehrer an die neue Technik heranzuführen. Es wird eben ein langer Prozess sein, bis man auch emotional von der grünen Tafel wegkommt“, sagt Florian Wallner, Geschäftsführer von Ingram Micro. Und tatsächlich bedeutet der Einsatz von digitalen Lehrmitteln mehr als den bloßen Austausch der grünen Tafel gegen das digitale Whiteboard. Der Unterricht, die Vorbereitung und die Hausübungen: All diese Dinge müssen neu gedacht werden.

Arbeitsmaterialien teilen

Statt im Biologieunterricht das Buch zur Hand zu nehmen, um etwa die Funktion des Auges zu erklären, kann eine Lernsoftware benutzt werden. Der Bau des Auges kann anhand der großen farbigen Skizze auf dem digitalen Whiteboard erklärt werden. Da auf dem digitalen Board wie auf der gewöhnlichen Tafel geschrieben werden kann, kann der Lehrer Beschriftungen und Anmerkungen hinzufügen. Mehr noch: Die Skizze ist nicht statisch. Um etwa den Sehvorgang zu beschreiben, können verschiedene Vorgänge (der Lichteinfall, das spiegelverkehrte Abbild auf der Netzhaut etc.) nach und nach auf dem Whiteboard eingeblendet werden. Ist die Unterrichtseinheit vorbei, kann der Lehrer das Bild abspeichern. Ohne also die gesamte Skizze noch einmal anfertigen zu müssen, kann der Lehrer diese in der nächsten Unterrichtseinheit wieder einblenden.

Würden derartige Arbeitsmaterialien nicht im eigenen Computer, sondern auf dem Server der Schule abgelegt werden, könnten alle Biologielehrer jederzeit auf die Vorlagen zurückgreifen. Technisch wäre es möglich, verschiedene Schulen miteinander zu vernetzen. Diese Vernetzung könnte nicht nur für die Lehrer von Vorteil sein, auch die Schüler könnten profitieren. Verteilt der Lehrer die Hausübungen online, könnten die Schüler von zu Hause aus – wenn gewünscht gemeinsam – Aufgaben erledigen. Auf die Schularbeiten und Wiederholungen könnten sich die Schüler mit zahlreichen Selbsttests vorbereiten.

Konzerne wittern Geschäft

Programme wie dieses kommen bei den Schülern gut an. Ob der zunehmende Einsatz von digitalen Lehrmitteln aber auch aus pädagogischer Sicht sinnvoll ist, bleibt umstritten. Während einerseits die neuen Möglichkeiten gelobt werden, wird anderseits vor der „digitalen Demenz“ gewarnt. Die IT-Konzerne wittern dennoch das große Geschäft. Ingram Micro veranstaltet kommenden Freitag eine Messe für digital-didaktische Lehrmittel, und auch Microsoft versucht mit Produkten wie dem Surface- Tisch (ein Tisch mit berührungsempfindlicher Oberfläche) in den Schulen zu landen. Dass das Schulsystem nicht mit privaten Abnehmer zu vergleichen ist, das wissen die Firmen. Das Schulsystem ist träger. Die Konzerne glauben dennoch daran, den Markt zu erobern – zwar nicht mit Schwung, aber Step by step.

Veranstaltungstipp: Die EDUC8-Live-Messe

Am Freitag, 9. November, findet in Wien die EDUC8-Live-Messe - die größte Messe für digital-didaktische Lehrmittel in Österreich - statt. Ver anstaltungsort ist das EMS Forum in Wien (Dietrichgasse 25, 1030). Der Eintritt ist frei. Die Messe findet von 9 bis 18 Uhr statt.
Eingeladen sind Lehrer, Direktoren, IT-Betreuer, Elternvertreter und alle, die sich über das Thema EDV in Schulen informieren wollen. Die Messe bietet nicht nur einen Über blick über speziell für Schulen ge eignete Hardware, sondern auch über Software-Angebote. Die Messe lädt zum Anfassen und Ausprobieren ein. In verschiedenen "digitalen Klassenzimmern" stehen moderne digitale Lehrmittel - wie etwa digitale White boards - zum Ausprobieren bereit. Experten geben Tipps zu deren richtigem Einsatz.
Veranstalter der ECUC8-Live-Messe ist der IT-Großhändler Ingram Micro. Die Podiumsdiskussion zum Thema "Schreckgespenst: Digitale Klassenzimmer - die Zukunft oder der unleistbare Budgetfresser?" beginnt um 14 Uhr. Es diskutieren unter anderem Michael Dollischal, Direktor der BSL Wiener Neustadt, Barbara Novak, Wiener Gemeinderätin, und Thomas Lumplecker von der Edu cation Group. Moderiert wird das Gespräch von Helmut A. Gansterer.
Weitere Informationen zur Messe und zur Anmeldung finden Sie unter: www.ecuc8.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.