Schweden: Penislängen und Regenbogenfamilien

c FABRY Clemens
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Sexualunterricht ist an Volksschulen seit 1955 Pflicht in Schweden, und dies betont liberal. Wer Bescheid weiß, kann selbst entscheiden, ist der Tenor.

Kopenhagen/Gam. Im Vorlesebuch für Vorschulkinder hat der kleine Lasse zwei Väter. Zehnjährige lernen am „Tag des Kondoms“ alles über Verhütung. Vierzehnjährige sind über Penislängen und Herpesviren voll aufgeklärt und bekommen in animierten Filmen alle Dimensionen des Sexlebens detailliert ausgemalt. In Schweden ist Sexualunterricht seit 1955 ein Pflichtfach an den Volksschulen, und man geht mit dem Thema betont liberal um. Wer Bescheid weiß, kann selbst entscheiden, ist der Tenor. „Regenbogenfamilien“ und Feminismus, Homosexualität und Promiskuität, Verhütung und Abtreibung sind natürliche Bestandteile.

Aufklärung ist nicht gleichbedeutend mit größerer (oder früherer) sexueller Aktivität. Das Sexualdebüt der schwedischen Teenager findet ungefähr gleichzeitig statt wie bei jungen Österreichern. Aber die Geburtenrate 15- bis 19-jähriger Mädchen ist nicht einmal halb so hoch: 6,1 pro 1000 in Schweden, 13,2 in Österreich.

Dennoch Verbesserungen nötig

Was gut funktioniert, kann immer noch besser werden. Schulministerin Nyamko Sabuni hat eine Million Euro für die Weiterbildung von Lehrern in Sexualkunde reserviert und will das Thema, das bisher hauptsächlich in Biologiestunden verbannt gewesen ist, auch in Gesellschaftskunde, Geschichte und Religion integrieren. Die Möglichkeit, die Kinder vom Sexualunterricht zu befreien, was vor allem Zuwandererfamilien ausnützten, hat die bürgerliche Regierung gestrichen. Dass immer noch Verbesserungen nötig sind, zeigen Umfragen: Drei von vier Schülern sind mit der Sexualkunde unzufrieden und schieben dies vor allem auf zu geringes Wissen der Lehrer. „Wir haben seit mehr als 50 Jahren Sexkunde als Pflichtfach, doch nur fünfProzent der Lehrer sind dafür ausgebildet“, klagt RFSU, der Rat für Sexualaufklärung.

Das schwedische Modell stößt auch sonst auf Kritik. Manche Eltern meinen, dass Sexualfragen in der Schule eine zu große Rolle spielen. Dass die Lobbyorganisation RFSU mit ihren Mitarbeitern und ihrem Material den Unterricht mitgestalte, vermittle ein schiefes Bild vom Liebes- und Familienleben. Doch dann werden wieder Übergriffe von Schülern an Schülern bekannt, und sofort wird der Ruf nach noch mehr Aufklärung laut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2012)

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