Alle Jahre wieder kommt die Bildungsstudie auf uns nieder

Seit PISA im Jahr 2000 ist klar, was im Bildungssystem dringend zu geschehen hätte. Doch nicht nur im Advent verwarten wir lieber die Zukunft unserer Kinder.

Auf diese Prognose kann man getrost sein ganzes Vermögen verwetten, auch wenn man nicht das in Landesregierungen weitverbreitete Risikogen in sich trägt: Die alarmierenden Ergebnisse der diese Woche publizierten Bildungsstudie werden nach Weihnachten völlig aus dem politischen Bewusstsein verschwunden sein. Mit Beginn des neuen (Superwahl-)Jahres wird sich die politisch interessierte Öffentlichkeit zunächst einer Nonsensvolksbefragung zum Thema Wehrpflicht zuwenden, um sich danach über diverse Landtagswahlen zur Nationalratswahl im Herbst zu hangeln.

Irgendwann vor Weihnachten kommenden Jahres wird dann eine neue Regierung stehen, die vom Ergebnis der dann neuesten Bildungsstudie überrascht sein wird, das auch dann immer noch lautet: Unser Bildungssystem ist für die Ergebnisse viel zu teuer; ein erschreckend hoher Anteil der jungen Menschen kann nach absolvierter Schulpflicht kaum schreiben und lesen; die Integration von Migranten gelingt so schlecht, dass deswegen in Ballungsräumen Ausbildung und damit Zukunft ganzer Schulklassen gefährdet sind; obwohl der Zugang zu unserem Bildungssystem allen offensteht, ist sozialer Aufstieg durch Bildung nicht nachzuweisen.

Bis wir aber irgendwann 2014 wieder dort stehen, wo wir schon heute stehen (und seit der ersten PISA-Studie aus dem Jahr 2000 immer gestanden sind), wird wieder viel Zeit ins Land gegangen sein. Jahre, in denen die Zukunft von jungen Menschen verspielt worden sein wird. Klingt pathetisch. Soll es auch.

Die Lösungen für dieses Dilemma liegen längst auf dem Tisch (siehe die vom „Presse“-Bildungsressort gestaltete Themenstrecke auf den Seiten 1 bis 3). Für die in den österreichischen Bildungsschützengräben Verschanzten hieße das freilich, sich mit weißer Fahne in der Mitte zu treffen: So wäre für die Vier- bis Zwölfjährigen ein gesamt- und auch ganztagsschulischer Ansatz (mit mehr Augenmerk auf den Kindergarten) wohl die einzige Lösung, um ein, was Aufstiegschancen betrifft, hermetisches System aufzubrechen.

Danach aber müssen Differenzierung, Wahlfreiheit, Konkurrenz zwischen verschiedensten privaten und öffentlichen Bildungsangeboten zur Normalität werden. Um Spitzenleistungen zu ermöglichen und das Eingehen auf individuelle Bedürfnisse und Fähigkeiten nicht nur am unteren Ende des Leistungsspektrums für einen wichtigen Wert zu halten.

Abseits dieser Problematik, die die Bildungspolitik-Politik schon seit Jahren umtreibt, stellt sich eine Reihe von auf den ersten Blick eher informellen Fragen, die aber Eltern, Schüler und Lehrer in ihrem Alltag sehr unmittelbar betreffen. Warum – um irgendwo anzufangen – führen wir eine skurrile Debatte über eine tägliche Turnstunde, stellen aber nicht infrage, dass es noch zeitgemäß ist, sechsjährige Schuleinsteiger von einem Tag auf den anderen auf Stillsitzen in einer Schulbank und Frontalunterricht umzustellen? Um diejenigen, die das nicht schaffen, mit der Zappelphilipp-Diagnose ADHS zu versehen. Diejenigen, die es geschafft haben, müssen ab vierzig wegen Rückenschmerzen ins Kieser-Training.

Oder um bei Diagnosen im Schulzusammenhang zu bleiben: Verschiedene Teilleistungsstörungen, die sich häufig im Laufe der Adoleszenz auswachsen, werden als K.-o.-Kriterien (wobei z. B. legastheniebedingtes Buchstaben- und Zahlenvertauschen recht wenig mit Intelligenz zu tun hat) bei der Schülerauswahl herangezogen. Bei der Diskussion gute Schule/schlechte Schule wird übersehen, dass gerade in der Volksschule, in der eine Lehrerin vier Jahr fast ausschließlich unterrichtet, alles von dieser einen Lehrkraft abhängt. Klug? Und im Gymnasium, das für bildungsnahe Schichten immerhin noch gut zu funktionieren scheint, hat man vor lauter Bewahren darauf vergessen, dass Allgemeinbildung bei explodierendem Wissensstoff immer mehr heißt, über zuverlässige Kulturtechniken zu verfügen, die das Auffinden, die Auswahl und die Gewichtung ermöglichen. Danach sucht man in den Lehrplänen vergeblich. So gesehen ist es fast ein Glück, dass die „Bildungdebatte“ in zwei Wochen wieder vorbei sein wird.

E-Mails an: florian.asamer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2012)

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