Wer Migranten kaserniert, löst damit noch keine Probleme

Migrantenklassen müssen mehr als ein Placebo zur Beruhigung verunsicherter Eltern sein. Integration durch Segregation ist für sich allein kein Erfolgskonzept.

Wenn es um die sprachliche Verunglimpfung der Konzepte des politischen Mitbewerbers geht, übernehmen die Parteistrategen nur zu gern den Job des Boulevards. Wenn dann von der „Zwangstagsschule“ und der „Eintopfschule“ (© ÖVP) die Rede ist, kann man sich der erwünschten Lacher sicher sein, und zwar nicht nur im Boulevard. Dass das der inhaltlichen Auseinandersetzung schadet, das nimmt man in Kauf. Seit gestern weiß Unterrichtsministerin Claudia Schmied, dass einem die eigenen Wortspielereien schneller auf den Kopf fallen können, als man glaubt: Da nämlich musste sie einlenken und die Einrichtung jener „Ghettoschulen“ verkünden, gegen die sie in den Vormonaten zu Felde zog.

Die Kurskorrektur muss für die Ministerin doppelt schmerzhaft sein. Zum einen basieren die Vorschulklassen, in denen Migrantenkinder zusammengefasst werden, um Deutsch zu lernen, bevor sie in die Volksschule gehen dürfen – so die korrekte Beschreibung der „Ghettoklassen“ –, auf einem Konzept von Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz. Und dieser ist, seit er der Ministerin vor Kurzem via Medien Versäumnisse in Sachen Integration vorgeworfen hat, ihr neuer Lieblingsgegner in der Koalition. Zum anderen musste Claudia Schmied einlenken, weil ausgerechnet die in der SPÖ ohnehin nicht sonderlich wohlgelittene rote Wiener Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl einfach Fakten geschaffen hat. Ohne mit der Ministerin Rücksprache zu halten, schickt sie in Brennpunktbezirken vermehrt Migranten in besagte Vorschulklassen.


Die Debatte lässt hoffen. Mit viel Glück beginnen ÖVP und SPÖ nun endlich, offen einzugestehen, was viele Menschen nicht nur in den Ballungszentren seit Langem im Alltag erleben: dass Österreich ein Migrations- und vor allem ein Integrationsproblem hat, für das die althergebrachten Institutionen unseres heimischen Schulsystems keine Lösungen parat haben. Wenn (nationale wie internationale) Bildungsstudien die Defizite von Migranten aufzeigten, verwendete man alle Energie lieber darauf, diese wegzudeuteln, statt sich der Lösung des Problems zu widmen. Sich einzugestehen, dass man beim Zuzug nach Österreich jahrelang verschlafen hat, für klare Kriterien und Perspektiven zu sorgen, war wohl zu schmerzhaft. Die Debatte überließ man lieber der FPÖ.

Die Umfunktionierung der Vorschulen zu Integrationsanstalten ist dennoch mit Vorsicht zu genießen. Bei den Sonderschulen, die für ganz Ähnliches missbraucht werden, klappt es bislang nicht. Der Kunstgriff, den die neue Sprachförderung wagt, ist ein komplizierter: Das Problem – also die hohe Konzentration nicht integrierter Migranten in einzelnen Klassen des Regelschulwesens – soll quasi zu seiner eigenen Lösung werden.

Damit das zum Erfolg wird, müssen die besagten Vorschulklassen aber mehr sein als ein Placebo zur Beruhigung jener Wählerschichten, die ihre eigenen Kinder (zu Recht) nur ungern in Schulen schicken, in denen die türkische Parallelgesellschaft regiert. Die Kasernierung aller Migranten, deren Sprachkenntnisse nicht ausreichen, ist da zu wenig. Integration durch Segregation ist – da ist sich die Wissenschaft einig – kein Erfolgskonzept.


Klar ist: Wer nicht Deutsch spricht, kann dem Unterricht in keinem Fach folgen. Nicht nur der eigene Schulerfolg leidet darunter, auch das Vorankommen des ganzen Klassenverbandes. Klar ist jedoch auch: Eine Sprache lernt man vor allem dort, wo sie gesprochen wird. Und von denjenigen, die sie sprechen – als Muttersprache. Das Ziel reiner Migrantenklassen kann es also bestenfalls sein, die wichtigsten Grundlagen der Sprache zu vermitteln. Und dann so rasch wie möglich die Förderung der Kinder im normalen Klassenverband – mittels Unterstützungslehrern und Fördergruppen – zu ermöglichen.

Dass es im urbanen Raum immer Bezirke mit hohen Migrantenquoten geben wird, ist ein Faktum, dem sich jeder, der nicht die Zwangsumsiedlung ganzer Familien befehligen will, stellen muss. Dass Migrationshintergrund zugleich ein Faktor für Bildungsmisserfolg ist, ließe sich hingegen ändern.

Das ist nicht billig, auf Dauer aber rentabel.

E-Mails an: christoph schwarz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2013)

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