ABC auf Türkisch: Kein Widerspruch zum Deutschlernen

Tuerkisch Kein Widerspruch
Tuerkisch Kein Widerspruch (c) Bayrhammer
  • Drucken

Migrantensprachen im normalen Unterricht sorgen für Debatten. Die Selzergasse ist eine von 15 Wiener Volksschulen mit einem Projekt der mehrsprachigen Alphabetisierung.

Wien. Der Buchstabe Z steht heute auf dem Programm in der 1B der Volksschule Selzergasse im 15.Wiener Gemeindebezirk. Auf die Tafel ist groß ein Z gemalt, daneben Bilder von Zebra, Zahn, Zaun und Zauberer. Doch nicht nur Kärtchen mit deutschen Wörtern hängen an der Tafel – sondern auch solche mit Begriffen auf Türkisch und Bosnisch/Kroatisch/Serbisch (BKS): „zeytin“ etwa, das türkische Wort für Olive, oder „zub“, das serbische für Zahn. Überhaupt ist das Klassenzimmer gepflastert mit gelben, blauen und roten Kärtchen, auf denen verschiedenste Wörter, von Wochentagen über Tiere bis hin zu Frühlingsblumen, jeweils in Deutsch, BKS und Türkisch stehen.

Die Selzergasse ist eine von 15 Wiener Volksschulen mit einem Projekt der mehrsprachigen Alphabetisierung. Zehn Stunden pro Woche stehen neben der Klassenlehrerin auch die Muttersprachenlehrer für BKS und Türkisch in der Klasse. Buchstaben und Begriffe werden nicht nur im Deutschen, sondern parallel auch in den anderen Sprachen erarbeitet. Dabei treten rasch Unterschiede zutage. „Na njemačkom kažemo cet“, erklärt BKS-Lehrer Suljo Nalić: Im Deutschen wird der neue Buchstabe als „Zet“ ausgesprochen – in BKS dagegen, wie auch im Türkischen, als stimmhaftes S. „Es gibt noch einen Unterschied, den kann man nicht hören, aber sehen“, schließt die Türkischlehrerin Gülcan Kaltan an: Alle Hauptwörter werden im Deutschen groß geschrieben – in den anderen beiden Sprachen klein.

Angst vor Türkisch für alle

Migrantensprachen im regulären Unterricht – das ist neben der von der Koalition gerade erst in einen Kompromiss gepackten Deutschförderung eines der heikelsten Themen, wenn es um Migration und Schule geht. Vor einer Woche gingen die Wogen hoch, als eine Wiener Expertengruppe vorschlug, den Sprachen der Migranten mehr Platz einzuräumen. „Häupl-SPÖ will in Wien Türkisch als Erstsprache“, titelte die FPÖ gewohnt reißerisch. Tatsächlich schürt das Schlagwort Mehrsprachigkeit bei vielen Menschen Ängste. Müssen auch unsere Kinder jetzt Türkisch lernen?

In der Selzergasse ist das ohnehin kein Thema: Nur eine Handvoll der knapp 200 Schüler ist einsprachig deutschsprachig, wie es wissenschaftlich korrekt heißt: In der 1B haben alle Kinder Migrationshintergrund. Eine Klasse darüber sei eine einzelne Schülerin österreichischer Herkunft im Projekt, erzählt Direktorin Susanne Göd. Die Eltern hätten damit kein Problem.

Doch auch was die Migrantenkinder betrifft, ist mehrsprachiger Unterricht alles andere als unumstritten. „Deutsch hat Priorität“, betonte etwa Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) zuletzt. Ist Deutsch und Mehrsprachigkeit ein Widerspruch? „Wir sehen es nicht so“, sagt Schulleiterin Göd. „Je besser ein Kind die Muttersprache beherrscht, desto leichter fällt auch das Deutschlernen.“

Positiver Effekt auf Deutsch

Die mehrsprachige Alphabetisierung habe keinesfalls negative Effekte auf den Deutscherwerb, eher im Gegenteil, sagt Birgit Springsits, Germanistin an der Uni Wien, die das Projekt wissenschaftlich begleitet. Zwar wird die Evaluierung frühestens im Lauf des kommenden Schuljahrs fertig sein, bereits jetzt gebe es aber Anzeichen dafür, dass sich die mehrsprachig alphabetisierten Kinder beim mündlichen Deutscherwerb leichter tun als andere. Was Lesen und Schreiben betrifft – da bisher nur Erstklässler beobachtet wurden, kann man nichts Definitives sagen –, geht Springsits davon aus, dass das Fazit ebenfalls positiv sein wird. Von Lehrerseite jedenfalls sei das Feedback gut.

In der Selzergasse sieht man an diesem Vormittag auf den ersten Blick, dass die Anwesenheit der Muttersprachenlehrer auch beim Vermitteln der deutschen Sprache hilft. So können sie erklären, warum ein türkisches Kind sagt, dass es „mit der U-Bahn geht“ statt fährt: weil das im Türkischen so verwendet wird. Kennt ein Kind ein Wort nicht – an diesem Vormittag etwa fragt ein Mädchen, was „Wurzel“ bedeutet –, kann BKS-Lehrer Nalić rascher weiterhelfen als die deutschsprachige Klassenlehrerin.

Staatssekretär Sebastian Kurz müsste sich übrigens nicht sorgen, denn die Prioritäten sind – jedenfalls in der Selzergasse – relativ klar: „Am wichtigsten ist, dass die Schüler zuerst die Wörter auf Deutsch richtig schreiben lernen“, sagt Nalić. „Die deutsche Sprache ist die Arbeitssprache.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Bilinguale Klassen
Schule

Bilinguale Klassen scheitern an fehlendem Interesse

Türkisch- und Kroatisch-Klassen wurden eingestellt. Eine Weiterführung sei am mangelnden Interesse der Eltern gescheitert.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.