„Wir vernichten das Gymnasium“

Töchterle
Töchterle(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Sind die Jungen nur noch egozentrisch? Jugendforscher Heinzlmaier und Wissenschaftsminister Töchterle über Neoliberalismus, gefährliche Idealisten und die humanistische Bildung als Rettungsanker.

Der Minister war kürzlich am Wahlabend bei der Hochschülerschaft zu Gast, bei politisch engagierten Jungen. Wenn man Ihrem Buch glaubt, Herr Heinzlmaier – die jungen Menschen seien Performer, Styler, Egoisten –, dürfte es solche eigentlich gar nicht geben.

Bernhard Heinzlmaier: Ich würde sagen: Es gibt verschiedene Gruppen – und die, die in der Hochschülerschaft sind, sind jene aus dem Reservoir der letzten zehn Prozent, die sich für etwas engagieren. Wobei man sagen muss, dass viele sich nur deshalb engagieren, weil sie einen persönlichen Nutzen verfolgen.

Wollen Sie damit sagen, dass jemand zu den roten Studentenvertretern geht, damit er Bundeskanzler wird?

Heinzlmaier: Ich war selbst beim VSStÖ und bin nicht Kanzler geworden. Ich bin aus idealistischen Motiven hingegangen – schon damals als einer der wenigen. Aber für viele, die dabei waren, hat es sich gelohnt. Einer ist zum Beispiel ÖBB-Generaldirektor, der andere SPÖ-Bundesgeschäftsführer.

Herr Minister, sehen Sie das auch so abgeklärt, eigentlich pessimistisch?

Karlheinz Töchterle: Mir fällt jetzt die Unibrennt-Bewegung aus dem Jahr 2009 ein. Ich war damals – als Uni-Rektor in Innsbruck – überrascht von so viel Idealismus und Widerstand gegen Verzweckung und einseitige Vernützlichung.

Es gibt also noch idealistisches Engagement.

Töchterle: Ich stelle gern die Antithese. In diesem Fall wäre das: Ist es wünschenswert, dass man etwas aus reinem Idealismus tut? Wir kennen krasse Beispiele von fehlgeleitetem Idealismus. Da sind mir Menschen lieber, die einen Schuss Interessenpolitik mitbringen. Reine Idealisten scheinen mir mitunter ein bisschen gefährlich zu sein, vor allem, wenn es in Richtung Verbissenheit und Einseitigkeit geht.

Heinzlmaier: Mir sind die totalen Idealisten auch unheimlich. Aber es kommt darauf an, dass man Selbstverwirklichungswerte mit Pflicht- und Akzeptanzwerten verbindet. Und viele junge Menschen sind dazu nicht mehr fähig. Sondern sie agieren nur noch eigennützig und egozentrisch.

Ist das die späte Rache an den 68ern?

Heinzlmaier: Ich halte diese Überlegung für bedenkenswert. Ich glaube, dass die 68er mit ihrer Selbstgerechtigkeit vielen dermaßen auf die Nerven gegangen sind und heute noch immer auf die Nerven gehen, dass man sich vorstellen kann, dass sich junge Menschen explizit vom Idealismus abwenden. Dass idealistische Eltern egozentrische Performer produzieren. Aber entscheidend ist, dass die Mehrheit der Eltern ihre Kinder seit der Nachkriegsgeneration stark im Geiste eines egozentrischen Materialismus aufgezogen haben.

Die Linke hat sich nicht durchgesetzt: Das könnte man ja als positiven Befund sehen.

Heinzlmaier: Wenn man Neoliberaler ist. Aber das hat natürlich mit den Idealen von konservativen Parteien überhaupt nichts zu tun. Die ÖVP ist ja eine Partei, die gemeinschaftsorientiert ist und den Kampf jeder gegen jeden explizit nicht in ihrer Programmatik hat. Der Siegeszug des Neoliberalismus ist die Vernichtung des Konservatismus.

Zum Glück haben wir verschiedene Definitionen von Neoliberalismus. Ich meine einen vollständigen wirtschaftlichen Liberalismus, Sie offenbar eine Art Diktator des Konsums.

Heinzlmaier: Ich meine die Überspitzung der Ökonomisierung des Lebens. Dass es auf den eigenen Vorteil ankommt, jedes Mittel recht ist. Deshalb plädiere ich für humanistische Bildung, weil nur so gemeinschaftliche Werte vermittelt werden.

Gerade in die Konservativen setzen Sie, Herr Heinzlmaier, in Ihrem Buch Ihre Hoffnungen in puncto Bildung. Von der Sozialdemokratie sind Sie dagegen enttäuscht.

Heinzlmaier: Die Sozialdemokratie hat keinen Respekt vor dem kulturellen Erbe. Und für mich ist die Institution, die das am dramatischsten artikuliert und der die Sozialdemokratie verfallen ist, die PISA-Agentur. Die steht für eine Bildungspolitik, in der kulturelle Traditionen keine Bedeutung mehr haben.

An den Universitäten gibt es eine Debatte, was die Bologna-Reform betrifft ...

Töchterle: Das Einzige, was Bologna und Pisa gemeinsam haben, ist, dass beides italienische Städte sind. Beides herrliche Städte übrigens.

Was an der Gestaltung der Studien nach Bachelor und Master kritisiert wird, ist, dass sie der Humboldt'schen Idee zuwiderläuft.

Töchterle: In manche Bachelorstudien wurde alles hineingequetscht, was davor in Diplomstudien Platz hatte. Daraus ist der Vorwurf der Verschulung entstanden. Wobei dem ein einseitiges Bild eines Studiums zugrunde liegt, das man zu Unrecht aus der philosophischen Fakultät nach Humboldt ableitet. Völlig frei, voraussetzungslos, von Blüte zu Blüte hüpfend. Viele Studien haben nie auf diese Art funktioniert. Insofern verträgt sich das Humboldt'sche Ideal mit Bologna durchaus.

Herr Heinzlmaier, Sie gehen mit den Unis in Ihrem Buch aber sehr hart ins Gericht.

Heinzlmaier: Ich bin ein Kritiker des Umstands, dass sich die Wirtschaft die Unis einverleibt hat. Dass man die Universitäten in Unternehmen verwandelt hat, die auf dem Bildungsmarkt agieren, dass man gleichzeitig versucht, die Studien so zu strukturieren, dass der Zweck des Studiums außerhalb der Uni liegt.

Warum soll das etwas Schlechtes sein?

Heinzlmaier: Ich habe nichts dagegen, dass man für die Wirtschaft ausbildet. Das Problem ist, dass man darauf verzichtet, weiter humanistische Eliten zu produzieren. Und die sind notwendig, um die Demokratie zu erhalten.

Und versorgen soll diese Eliten der Staat?

Heinzlmaier: Dem Staat soll die Existenz einer Demokratie etwas wert sein. Man muss an den Unis Personen ausbilden, die gemeinschaftsorientiert sind. Die in der Lage sind, außerhalb von Ego-Kategorien zu denken. In den USA gibt es den Gedanken der Liberal Arts: Da werden Menschen zur Demokratiefähigkeit erzogen, indem sie vier Semester lang die ganze Palette vermittelt bekommen – von Geistes- und Kulturwissenschaften bis zu den Naturwissenschaften.

Das wurde früher Gymnasium genannt.

Heinzlmaier: Genau. Wenn diese Allgemeinbildung vor der Universität breit vermittelt würde, hätten wir die Diskussion nicht. Nur: Wir sind in Österreich dabei, das Gymnasium zu vernichten.

Töchterle: Ich geben Ihnen in Folgendem recht: Ich sehe die Aufgabe der Allgemeinbildung auch viel stärker in der Sekundarstufe als an der Uni. Und die Sehnsucht, die die jungen Menschen nach Bildung artikulieren – zum Beispiel eben im Zuge der Audimax-Proteste –, sehe ich genährt vom Fehlen dieses Bildungserlebnisses in der Sekundarstufe.

Heinzlmaier: Wir sitzen hier in einem Gebäude, das während des Wiener Kongresses die Preußische Gesandtschaft war. Wissen Sie, wer in diesem Raum vielleicht gesessen ist? Wilhelm von Humboldt, als preußischer Gesandter. Wenn man so etwas weiß, bereichert das das Leben. Das ist für mich Bildung. Das bringt den Menschen Sinn.

Töchterle: Ich sehe diese Kapitelle, die ein antikes Schmuckteil sind, und den Zahnschnittfries oben an der Wand dieses Raums. Und mich fasziniert, wir sehr Stilelemente der Antike bis heute in der Architektur erhalten sind. Da bin ich bei Ihnen, das erzeugt ästhetische Kompetenz.

Erübrigt sich die Diskussion über humanistische Bildung, Humboldt und die antiken Stilelemente nicht von vornherein, wenn fast ein Drittel der 15-Jährigen nicht lesen kann?

Heinzlmaier: Es ist fürchterlich, dass ein Drittel der 15-Jährigen nicht lesen kann, und um die muss man sich natürlich auch kümmern. Dieses eine Drittel wird für humanistische Bildung, fürchte ich, nicht infrage kommen. Aber es gibt ja noch zwei Drittel andere. Wir werden uns mit der humanistischen Bildung denen zuwenden müssen, die die entsprechenden Voraussetzungen haben.

Töchterle: Humanistische Bildung ist zwar per definitionem Latein und Griechisch, deren Bedeutung hat aber stark abgenommen. Was ich sagen möchte, ist: Das Gymnasium ruht auf einer neuhumanistischen Bildungsidee, und diese Idee haben wir nicht mehr in der Form. Daher tun wir uns heute schwer, etwas Vergleichbares, Haltbares, Tragfähiges zu konzipieren.

Steckbrief

Karlheinz Töchterle
(64) ist seit 2011 Wissenschaftsminister auf einem Ticket der ÖVP. Der Altphilologe war zuvor Rektor der Universität Innsbruck.

Bernhard Heinzlmaier
(53) ist Mitbegründer des Wiener Instituts für Jugendkulturforschung und leitet die Trendagentur T-Factory in Hamburg. Hochstöger

buch

Performer, Styler, Egoisten. Über eine Jugend, der die Alten die Ideale abgewöhnt haben. Von Bernhard Heinzlmaier. Berlin 2013, 196 S., 18,50 €.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2013)

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