Sprache: Migranten üben sich in Hilfe zur Selbsthilfe

Spracherwerb Migranten ueben sich
Spracherwerb Migranten ueben sich(c) EPA (Alessandro Della Valle)
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Wie eine türkische Mutter und ihr vierjähriges Kind mithilfe des Hippy-Projekts Deutsch lernen. Ein Hausbesuch.

Wien. „Was fühlst du, wenn du die Küchenrolle angreifst?“, fragt Nilgün Sakin die türkische Mutter Özlem. „Es ist rau“, antwortet diese leise auf Türkisch. Sakin wiederholt die Antwort auf Deutsch. Ein Glas mit warmem und ein Glas mit kaltem Wasser befinden sich auf dem Tisch in der modern ausgestatteten Küche. „Gib ein Stück Küchenrolle ins Glas“, sagt Sakin. „Nun schließe die Augen und berühre sie. Wie fühlt sich das an? Rund, trocken, weich, feucht?“ Die Mutter antwortet schüchtern auf Deutsch und ergänzt auf Türkisch. Sakin wiederholt den ganzen deutschen Satz.

Die 33-Jährige ist geschulte Hausbesucherin. Mit Übungsblättern, Experimenten und Bilderbüchern versucht sie der 30-jährigen Mutter beizubringen, wie diese ihr Kind fördern kann. Der Nebeneffekt: Auch Özlem lernt Deutsch. Als eine von 118 Müttern in Wien nutzt sie das Programm Hippy („Home Instruction for Parents of Preschool Youngsters“). Betreut werden sozial schwache Nicht-EU-Bürger, die ihre drei- bis siebenjährigen Kinder selbstständig unterstützen wollen. „Unsere Devise lautet Hilfe zur Selbsthilfe“, sagen die Projektleiter Liesl Frankl und Wolfgang Kratky. „So bekommen die Mütter das Gefühl, etwas verändern zu können.“

Die Übungsmaterialien sind in einfacher Sprache verfasst und klar illustriert. Nach einem Wochenrückblick wird der nötige Wortschatz in einer Stunde geübt. Dabei kommt es zu einem Rollentausch: Die Mutter schlüpft in die Rolle des Kindes, die Hausbesucherin in die der Mutter. So weiß die Mutter, wie sie am besten mit ihrem Kind umgeht. Jeden Tag spielt und bastelt Özlem nach dem ganztägigen Kindergarten rund 20 Minuten mit der knapp vierjährigen Ayla.

Auch soziale Kompetenz fördern

Diese kommt mit ihrem Stoffhasen und einer Zeichnung in der Hand auf den Küchentisch zugelaufen. „Schau, mein Hase“, sagt sie stolz in akzentfreiem Deutsch. „In den vergangenen vier Monaten wurde Ayla ungewöhnlich oft von der Kindergärtnerin gelobt“, sagt die Mutter. Aylas deutscher Wortschatz sei auf dem Niveau eines Vorschulkindes. Und das, obwohl Özlem erst seit Herbst mit Hippy-Materialien übt.

Neben Spracherwerb werden motorische und soziale Kompetenzen gefördert. „Pädagoginnen betonen, dass die Hippy-Kinder selbstbewusster und lernfreudiger sind“, sagen die Initiatoren. Den Nutzen des Programms hat auch Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) erkannt und 2012 den österreichweiten Ausbau in fünf weiteren Bundesländern mit Mitteln des Innenministeriums gefördert. Mehr als 300 Familien werden in ganz Österreich betreut. Die Mütter werden von Hausbesucherinnen des gleichen Herkunftslandes in Kindergärten angesprochen.

„Wichtig dabei ist, dass Vertrauen aufgebaut wird“, sagt Projektleiterin Frankl. Häufig seien die Frauen aufgrund ihres kulturellen Hintergrundes isoliert, wünschten sich aber nichts mehr als das Beste für ihre Kinder. Özlem hat durch eine andere Mutter von Hippy erfahren. Anfängliche Skepsis ist großer Begeisterung gewichen.

er Mutter, die seit zehn Jahren in Österreich lebt, ist durch Ayla – und durch das Projekt – bewusst geworden, wie wichtig Bildung ist. „Ich bereue es sehr, dass ich mit meinem älteren Sohn nicht schon Hippy gemacht habe. Er hat nun Schwierigkeiten in der Schule“, sagt die Mutter.

Kurse und Exkursionen

Es geht aber nicht nur um Bildung, sondern auch um die gesellschaftliche Integration. In zweiwöchigem Rhythmus werden Gruppenexkursionen für Kinder und Mütter angeboten. So besuchte Özlem auf Eigeninitiative der Hippy-Mütter das Technische Museum. „Nun steht ein Workshop zur Verkehrssicherheit an“, sagt Hausbesucherin Nilgün Sakin.

Sie bleibt nach der wöchentlichen Übungsstunde noch auf einen Kaffee. In zehn Minuten startet ihr nächster Hausbesuch – nur einen Stock höher.

Auf einen Blick

„Hippy“ steht für „Home Instruction for Parents of Preschool Youngsters“. Das Konzept ist einfach: Geschulte Migrantinnen besuchen einmal in der Woche sozial benachteiligte Familien mit Migrationshintergrund. Sie zeigen den Müttern Übungen und Spiele, durch die sie ihre drei- bis siebenjährigen Kinder gezielt fördern können. Es geht dabei nicht nur darum, die Deutschkenntnisse der Kinder zu verbessern, sondern auch darum, deren Grob- und Feinmotorik sowie die sozialen Kompetenzen zu stärken. Die Mütter sollen täglich mit ihren Kindern üben. Der positive Nebeneffekt: Auch die Mütter selbst verbessern so ihre eigenen Deutschkenntnisse. Das Projekt wurde im Vorjahr vor allem durch Förderungen des Integrationsstaatssekretariats ausgebaut. In ganz Österreich werden rund 300 Familien betreut.

Mehr Infos: www.hippy.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2013)

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