„Autonomie kann für Schulen auch eine Bürde sein“

(c) Clemens Fabry
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Direktoren müssen für die Verantwortung bereit sein, sagt OECD-Experte Montt. Um Schüler und Lehrer zu konkurrieren mache das System nicht besser.

Die Presse: In Österreich wird derzeit politisch diskutiert, den Schulen mehr Autonomie, mehr Eigenverantwortung zu gewähren. Ist das der richtige Ansatz?

Guillermo Montt: Autonomie an sich ist weder gut noch schlecht. Es kommt immer darauf an, wie man sie umsetzt.

Dass mehr Autonomie unbedingt bessere Schülerleistungen produziert, würden Sie also nicht unterschreiben.

Nein, es kann genauso gut umgekehrt sein. Was wir aus den PISA-Ergebnissen ablesen können, ist, dass Länder, die ihren Schulen bei den Lehrplänen mehr Autonomie geben, tendenziell besser abschneiden. Das ist aber nicht in jedem Fall so.

Und wie sieht es bei den Ressourcen aus, wenn Schulen beispielsweise freier über ihr Budget verfügen können?

Da ist der Zusammenhang weniger deutlich. Und ich denke, das ist logisch: Denn was die PISA-Leistungen beeinflusst, ist, wie Schüler lernen. Und die Frage nach den Ressourcen hat darauf offenbar einen weniger direkten oder jedenfalls einen weniger klaren Effekt.

Vielfach heißt es: Die Schulen selbst wüssten am besten, wo die Ressourcen eingesetzt werden sollten.

Das ist natürlich möglich. Aber die Schulleiter müssen auch die nötige Kompetenz und Zeit haben, um das zu managen. Manchmal kann mehr Ressourcenautonomie zwar in der Theorie wünschenswert sein, in der Praxis aber eine Bürde für den Schulleiter.

Eine zentrale Frage ist also, ob die Schulleiter damit überhaupt zurechtkommen.

Man muss, wenn man mehr Autonomie gewährt, auch sicherstellen, dass Direktoren wie Lehrer bereit sind. Dass sie in der Lage sind, die Herausforderungen zu erkennen, Lösungen dafür zu finden. Und diese dann auch umzusetzen.

Was ist abgesehen davon noch wichtig? Es wird immer wieder die notwendige externe Überprüfung angesprochen.

Es ist eine Art Paradoxon: Sehr häufig wird mehr Autonomie mit mehr externer Überprüfung zusammengespannt. Die Idee dahinter ist: Wenn die Schulen schon die Entscheidungen treffen, soll sichergestellt werden, dass es auch die richtigen Entscheidungen sind. Man beschneidet gleichzeitig also die Autonomie wieder, weil man vorgibt, wo es hingehen soll.

Und wenn man es nicht so macht: Führt das dann automatisch zum Chaos?

Es kommt immer darauf an. Finnland ist ein Land, in dem die schulische Autonomie mit weniger externer Überprüfung und Standardisierung einhergeht. Dort gibt es viel Vertrauen: zwischen Schulleitern und Lehrern, zwischen Ministerium und Schule. Denkbar wäre aber beispielsweise auch, am Anfang mehr mit externen Überprüfungen zu arbeiten und diese dann langsam zurückzufahren. Eines ist wichtig: Wenn man in Richtung mehr Autonomie geht, muss unbedingt klar sein, was die Ziele sind.

Wie sieht es denn mit den einzelnen Schulen aus? Auf den ersten Blick scheinen autonomere Schulen besser zu sein.

Das stimmt zunächst einmal. Es erklärt sich aber daraus, dass die autonomeren Schulen eher die Privatschulen sind. Deren Leistungen sind tendenziell besser, weil sie Schüler aus bessergestellten Familien anziehen – und nicht unbedingt wegen der Autonomie.

Könnte es nicht auch generell positiv sein, wenn Schulen mehr um die Schüler – und auch die Lehrer – konkurrieren?

Das könnte dann dazu führen, dass die Leistungen an einer einzelnen Schule besser sind. Es macht aber das System insgesamt nicht unbedingt besser. Denn es bleibt eine reine Umverteilung von Schülern und Lehrern. Die schlechteren Lehrer gibt es ja nach wie vor – ebenso wie übrigens die Schüler, die mehr Zuwendung brauchen. Nur, dass diese dann eben an andere Schulen gehen. Man muss hier also vorsichtig sein.

Wenn man darüber nachdenkt, den Schulen mehr Autonomie zu geben: Von welchem Zeithorizont sprechen wir?

Man muss sich bewusst sein, dass Autonomie kein Mittel ist, um das Schulsystem von einem Tag auf den anderen zu verbessern, und dass es eine ganze Reihe unerwünschter Begleiterscheinungen geben kann: Dass die handelnden Personen an den Schulen etwa nicht wissen, wo es hingehen soll oder nicht die nötigen Kompetenzen haben.

Was heißt das konkret? Wie lange kann es dauern: fünf Jahre, zehn?

Es kommt darauf an, welchen Grad an Autonomie man im Sinn hat. Aber es ist zentral, das langsam anzugehen und es laufend zu evaluieren. Mit einer Region zu starten, sich anzusehen, ob es funktioniert, und es dann bei Bedarf entsprechend abzuändern. Wenn man sich für mehr Autonomie entscheidet, braucht man auf jeden Fall einen breiten politischen Konsens. Damit das nicht beim nächsten Regierungswechsel gekippt wird.

ZUR PERSON

Guillermo I. Montt arbeitet für die OECD in Paris in der Abteilung frühe Kindheit und Schule. Vergangenen Donnerstag sprach er beim Symposium „Schulautonomie als Chance“, das WBS, BildungGrenzenlos und die Wirtschaftskammer in Wien veranstalteten. Der gebürtige Chilene ist Soziologe und seit 2010 bei der OECD, wo er sich unter anderem auch mit der Analyse der PISA-Ergebnisse befasst. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2013)

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