Mädchen, Migranten: Welche Lehren Österreich aus PISA ziehen kann

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Das heimische Schulsystem steht vor Herausforderungen: Kluft zwischen den Geschlechtern, Unterschiede zwischen Arm und Reich.

„Die Trendumkehr ist geschafft“, so analysiert Noch-Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) die gestern, Dienstag, offiziell präsentierten Ergebnisse von PISA 2012. Tatsächlich haben sich die heimischen Schüler in allen drei Bereichen – also Mathematik, Naturwissenschaften und Lesen – deutlich verbessert („Die Presse“ berichtete). Darüber, ob das ein großer Erfolg oder lediglich auf die schlechte Performance bei PISA 2009 zurückzuführen ist, scheiden sich allerdings die Geister. Eines ist aber klar: Österreich steht nun wieder da, wo es vor 13 Jahren beim ersten PISA-Test gestartet ist und hat immer noch mit denselben Problemen zu kämpfen. „Die Presse“ hat sich angeschaut, welche Lehren Österreich aus PISA ziehen sollte.

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1. Kluft zwischen den Geschlechtern: Mädchen müssen besser rechnen, Buben besser lesen lernen

Mit Platz elf unter 34 OECD-Ländern kommt die beste Nachricht für Österreich aus dem Haupttestfach Mathematik. Gleichzeitig sorgt dieses aber auch für die besorgniserregendsten Detailergebnisse: Die Geschlechterkluft in Mathematik ist deutlich gewachsen. Lagen die Buben 2003 „nur“ acht Punkte vor den Mädchen, sind es nun 22. Das ist der stärkste Anstieg geschlechterspezifischer Leistungsunterschiede unter allen 65 teilnehmenden Ländern. „Österreich sollte sich über das Auseinanderdriften zwischen Jungen und Mädchen in der Mathematik Sorgen machen“, sagt der stellvertretende OECD-Bildungsdirektor, Andreas Schleicher.

Die OECD mahnt deshalb Veränderungen ein: Mädchen müsse Mathematik auf interessante Weise nähergebracht werden, geschlechterspezifische Stereotype in den Schulbüchern sollen beseitigt und weibliche Vorbilder gefördert werden. Im Bereich Lesen ist die Situation umgekehrt: Mädchen erzielen hier im Durchschnitt gar 37 Punkte mehr als ihre männlichen Kollegen. Das entspricht zwar dem Schnitt der OECD-Länder. Doch die negative Nachricht ist, dass Österreich die Geschlechterkluft beim Lesen seit dem Jahr 2000 nicht verringern konnte.

2. Migranten schneiden schlecht ab: Unterschiede zwischen Migranten und Einheimischen verringern

Anderen Ländern ist es gelungen, Leistungsunterschiede zu verringern. Sogar der Großteil der Staaten hat es geschafft, die Kluft zwischen Migranten und Einheimischen in Mathematik zu verkleinern. Das gilt aber nicht für Österreich. Hier ist die Punktedifferenz zwischen Schülern mit und Schülern ohne Migrationshintergrund konstant – und besonders groß. 60 Punkte liegen zwischen den Ergebnissen.

Davon lässt sich übrigens nur ein Teil durch den schlechteren sozioökonomischen Hintergrund, den die Migranten meist haben, erklären. Rechnet man diesen heraus, bleibt ein Unterschied von 42 Punkten, der sich rein durch den Migrationshintergrund erklären lässt.

Schleicher sieht Österreich hier aber bereits auf einem guten Weg: Die Einführung eines verpflichtenden Kindergartenjahres sowie die zunehmende Sprachförderung werden in Zukunft ihre positiven Auswirkungen zeigen, sagt der Experte.

3. Reiche haben ein Jahr Vorsprung: Sozioökonomisch benachteiligte Schüler müssen aufholen

Auch ein anderes altbekanntes Problem wird Österreich wieder einmal vor Augen geführt: Schüler aus wohlhabenderen Familien schneiden besser ab als Jugendliche aus weniger begünstigten Haushalten. Der Leistungsvorsprung in der Mathematik ist in Österreich (43 Punkte) sogar etwas höher als im OECD-Raum (39 Punkte). Das Erschreckende dabei: Ein Vorsprung von 39 Punkten entspricht einem Leistungsvorsprung von fast einem Schuljahr. Gesamtschulbefürworter begründen das mit der frühen Trennung der Schüler. Kinder aus reichem Elternhaus würden öfter in AHS geschickt. Aus PISA lässt sich das aber nicht ablesen. Die Studie sagt nichts darüber aus, welcher Schultyp schlechter oder besser ist.

4. Jeder Vierte erreicht nicht einmal Mindeststandards: Risikoschüler müssen weniger werden

Die gute Nachricht: Der Anteil der besonders schwachen Schüler ist in Österreich gesunken. Die schlechte: Immer noch gehören 26Prozent der 15- bzw. 16-jährigen Österreicher zumindest in einem der drei abgefragten Fächer zu der Gruppe der Risikoschüler.

In Mathematik heißt das, dass diese Schüler bestenfalls einfache Formeln und Schritte zur Lösung von Aufgaben anwenden können. In Österreichs schwächstem Fach, dem Lesen, ist die Risikogruppe mit 20Prozent besonders groß. Der Wert bedeutet, dass die Jugendlichen maximal einen einfachen Zusammenhang zwischen Text-Informationen und Alltagserfahrungen herstellen können.

5. Jeder siebte Schüler ist Spitze: Die Gruppe der Spitzenschüler soll größer werden

Der Anteil der Spitzenschüler ist in Österreich im Vergleich zu 2009 gleich geblieben. In Mathematik gehören 14Prozent der Jugendlichen zu den Besten, beim Lesen sind es sechs und in den Naturwissenschaften acht Prozent. Damit liegt Österreich nur in Mathematik über dem Durchschnitt. PISA stellt auch den besten heimischen Schülern kein allzu gutes Zeugnis aus. Das zeigt: Österreich muss auch in der Begabtenförderung zulegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2013)

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