Pisa: Warum die Finnen abstürzen und was Polen richtig macht

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Manche Staaten sind in der Entwicklung stehen geblieben, andere wagten Reformen. Mancher vertraut auf Tradition. Erklärungsversuche zu den PISA-Ergebnissen.

So unterschiedlich die Schulpolitik der einzelnen OECD-Länder sein mag – heute ist vielen Staaten eines gemein: Sie versuchen, die Gründe für das gute (oder das schlechte) Abschneiden beim jüngsten PISA-Test zu ergründen. Ein kurzer Einblick in die Bildungsdebatten ausgewählter Ab- und Aufsteiger.

Finnland

In allen drei getesteten Bereichen fiel das ehemalige Musterland zurück. Schulexperte Pasi Sahlberg begründet die Entwicklung damit, dass sich das Land untätig auf alten Lorbeeren ausgeruht habe: „Wir haben in den letzten zwölf Jahren keine systematische Führung oder Verbesserung der Schulen erlebt. Wir waren zu sehr beschäftigt, anderen zu erklären, warum wir so gut sind.“

Die Schulverwaltung habe in den vergangenen fünf Jahren Verschlechterungen in Mathematik registriert – und nichts getan. Die guten Ergebnisse hatten stets damit zu tun, dass es im sozial ausgewogenen Land nur sehr wenige auffällig leistungsschwache Schulen gab. Wirtschaftlich geht es dem Land nun schlechter, der Sozialstaat wird beschnitten. „Steigende Einkommensunterschiede und finanzielle Engpässe in einigen Kommunen“ wirken sich nun aus, so Sahlberg.

In Finnland gibt es die neunjährige Pflichteinheitsschule – darauf folgen das Gymnasium oder eine Berufsausbildung.

Südkorea

Kein Land gibt so viel Geld für Bildung aus wie Südkorea. Damit sind nicht staatliche Ausgaben gemeint, sondern die der Privathaushalte. Eine Familie steckt im Schnitt rund 40Prozent des verfügbaren Einkommens in die Bildung ihrer Kinder. Der Kindergarten kostet, viele schicken die Kinder auf Privatschulen. Der Löwenanteil geht jedoch an Nachhilfelehrer. Der Schultag dauert acht oder mehr Stunden, nach dem Abendessen geht es mit Nachhilfe weiter. Wenn die Jugendlichen ihre Hausaufgaben gemacht haben, ist es häufig schon 23Uhr“, berichtet der koreanische Pädagogikprofessor Lee Joon-Koo.

Bildung hat in allen konfuzianisch geprägten Ländern Ostasiens einen hohen Stellenwert. Doch südkoreanische Familien gelten als besonders ehrgeizig. „Das hat mit der jüngeren Vergangenheit zu tun“, sagt Professor Lee. Jeder wisse, dass nur aufgrund einer guten Bildung Südkorea der rasche Aufstieg von einem der ärmsten Länder der Welt zu einer erfolgreichen Industrienation gelungen sei, so Lee.

Das viele Geld, das Familien für die Bildung ihrer Kinder ausgeben, bereitet der südkoreanischen Regierung jedoch zunehmend Sorge. Denn häufig bleibt nicht genug Geld für die Altersvorsorge übrig. Aber selbst eine Mutter im modernen Seoul ist fest davon überzeugt: Die beste Altersvorsorge ist noch immer das eigene Kind.

Schweiz

„Schweizer Teenager sind Mathe-Genies“, jubelte das Boulevardblatt „Blick“. Die jüngste PISA-Studie weist die Schüler im europäischen Vergleich als Spitzenreiter in Sachen Mathematik aus, weit vor den erfolgsverwöhnten Finnen. International rangiert die Schweiz an dritter Stelle hinter Südkorea und Japan. Dass am Finanzstandort Schweiz nicht auch das Wirtschaftswissen abgeprüft wurde, verwundert aber nicht nur die Economiesuisse, den Wirtschaftsverband.

Der PISA-Schock aus dem Jahr 2000 hat die Eidgenossen aufgerüttelt. Eigens initiierte Förderprogramme haben die Leseschwäche reduziert. Zum anderen trug die Zuwanderung besser gebildeter Familien entscheidend zur Leistungssteigerung bei. Bildungsexperten mahnen indes, sich nicht auf den Lorbeeren auszuruhen.

Deutschland

Der Schock saß tief: Ausgerechnet das Volk der Dichter und Denker schnitt beim ersten PISA-Test 2000 unter OECD-Durchschnitt ab. Schlimmer noch: Nirgendwo hing der Bildungserfolg der Kinder so stark vom sozialen Status ab. Doch der Schock war heilsam, es geht konstant bergauf.

Die soziale Durchlässigkeit hat sich verbessert, mehr Kinder ärmerer Eltern oder mit Migrationshintergrund gehen heute ins Gymnasium. Die Qualität der Ausbildung hat nicht gelitten. Allerdings stagniert schon zum zweiten Mal das Niveau der Leistungsstärksten. Sie sollen nun mehr gefördert werden.

Wie der Wandel gelungen ist? Kurioserweise kann die Frage niemand beantworten. Grund ist das verwirrend zersplitterte Bildungssystem. Alle 16 Bundesländer drehten an vielen kleinen Stellschrauben. Ein Erfolgsfaktor: mehr Vergleiche, die Ehrgeiz schürten.

Schweden

Die neunjährige, oft ganztägig geführte Einheitsgrundschule rühmte sich bislang, dazu beizutragen, dass über 90 Prozent der Schüler später Hochschulreife erlangen. Doch anscheinend, sagt der amtierende bürgerliche Bildungsminister Jan Björklund, sei dies mit einem Leistungsabfall bezahlt worden – nicht damit, dass schlechte Schüler von guten lernen.

Björklund will nach deutschem Modell eine Gliederung in akademische und berufliche Schulzweige einführen. Viele seien „schulmüde“ und würden trotzdem zur Matura durchgepeitscht. Schwedische Schüler haben wenig Disziplin und schwänzen viel, heißt es. Andere Experten machen die Deregulierung und Privatisierung des Schulsektors verantwortlich.

Polen

Während ein Streit über die Früheinschulung mit sechs Jahren die Regierung unter Donald Tusk in den Umfragen hat sinken lassen und zur Demission der langjährigen Bildungsministerin Krzysztyna Szumilas führte, ist nun die Freunde groß. Die polnische Schulreform von 1999/2000 unter der konservativen Regierung Jerzy Buzek wird als Grundstein für Polens PISA-Erfolg gesehen.

Mit der Reform wurde die Schülerzahl pro Klasse gesenkt und mehr Wert auf gezielte Förderung der schwächsten Schüler gelegt. Zudem soll der Leistungsabstand zwischen den Schultypen ausbalancieren werden: In Polen herrscht in der Tat ein harter Kampf zwischen den Gymnasien und den Berufsschulen. Rankings belegen dies genauso wie die Bereitschaft vieler Eltern, ihre Kinder in Stoßzeiten und trotz Staus durch ganz Warschau oder andere Großstädte in eine besser platzierte Schule als jene ihres Wohnquartiers zu fahren.

Das Ministerium setzt dem eine Politik der Chancengleichheit und Vermeidung gesellschaftlicher Segregation entgegen. So finden sich etwa im lange verrufenen Warschauer Stadtteil Praga gute Gymnasien, und nicht nur in den reicheren Stadtteilen. Während die Gymnasien politisch immer noch umstritten sind, zweifelt auch die Opposition nicht daran, dass gezielte Hilfe für schwächere Schüler die PISA-Werte hochschnellen lässt.

Japan

Noch vor einigen Jahren tobte in Japan eine Debatte um Frontalunterricht. Pädagogen und Politiker der linksliberalen Demokratischen Partei (DPJ) fanden es nicht mehr zeitgemäß, dass der Lehrer den ganzen Tag vor einer Tafel steht und monoton den Lehrstoff herunterrattert. Doch diese Debatte ist vom Tisch. Die Konservativen um Premierminister Shinzo Abe haben die Debatte um den aus ihrer Sicht „lockeren Unterrichtsstil“ für beendet erklärt. „Wir sind stolz auf unsere Art des Unterrichts“, sagte Abe. Das regelmäßig gute Abschneiden der japanischen 15-Jährigen beim PISA-Test gebe ihm recht.

Dass der Schwerpunkt bei PISA dieses Mal Mathematik ist, kommt den japanischen Schülern besonders gelegen. Das hat Gründe, die keineswegs nur mit dem Unterricht zusammenhängen. Es ist üblich, die Kinder auch nach der Schule rechnen zu lassen. Sie werden von früher Kindheit an auf sogenannte Kumon-Schulen geschickt, die bereits Vierjährigen nachmittags den Umgang mit Zahlen beibringen.

Westlich geprägte Pädagogen kritisieren, dass japanischen Schülern lediglich stupides Auswendiglernen beigebracht werde. Doch inzwischen gilt es in Japan als erwiesen, dass durch das viele Üben die Kinder schneller werden und auf diese Weise ein tieferes Verständnis auch für komplizierte Aufgaben entwickeln. (lee)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2013)

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