Lehrer im Film: Die Dekonstruktion der Lehrerrolle

Lehrerbild, TV, Film
Lehrerbild, TV, Film(C) Constanin Filmverleih
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Der viel kritisierte Berufsstand kann doch immer wieder die Massen begeistern. Das transportierte Lehrerbild erfuhr dabei in den vergangenen Jahren einen starken Wandel.

Wien. Die Frage, wer in der Klasse das Sagen hat, zieht sich durch die vergangenen sechzig Jahre der lehrerzentrierten TV-Unterhaltung. Sie macht auch vor dem jüngsten Publikumserfolg „Fack ju Göhte“, der in den vergangenen Monaten mehr als sechs Millionen Zuseher in die Kinos gelockt hat, nicht halt. Herr Müller wählt in der Respektfrage einen direkten Weg: Er schießt mit einem Paintballgewehr auf ungehorsame Schüler.

„Damit wäre geklärt, wer hier das Kommando hat“, stellt der Lehrer fest und damit sich selbst vor ein Problem. Denn nun, da ihm die Schüler zuhören, muss er auch etwas sagen. Womit die eigentliche Frage all der Filme und Serien rund ums Klassenzimmer am Tapet wäre: Was ist es, was ein Lehrer seinen Schülern vermitteln soll? Fachwissen keinesfalls, mit Kurvendiskussion und Verbvalenztheorie lassen sich keine Begeisterungsstürme des Publikums evozieren. Der Lehrplan wird denn auch in Filmen konsequent ignoriert.

Doch was muss man Schülern geben? Natürlich, Robin Williams zeigte es vor 25 Jahren. Er spielte im „Club der toten Dichter“ den denkbar besten Lehrer. Die Voraussetzungen waren im Filmjahr 1959 quasi ideal: Verängstigte Schüler voll Talent, Kreativität und Bildungshunger, denen als Haupt- und Wahlfach schnöde Disziplin vermittelt wird. Lehrer John Keating musste nur ein wenig Begeisterung für sein Fach, Respekt vor den Schülern und etwas Liebe zum Risiko mitbringen und konnte alles erreichen.

Die Figur des guten Lehrers findet sich auch bei „Unser Lehrer Doktor Specht“ wieder, doch die Rahmenbedingungen haben sich geändert. Die Schüler sind nicht augenblicklich begeistert vom engagierten Lehrer, er muss erst ein Vertrauensverhältnis aufbauen. In den 1990ern ist er der ideale Lehrer: Er ist ein Schülerfreund und verachtet den autoritären Erziehungsstil der Kollegen. Wenn man die jeweils aktuellen Lehrerfiguren auf dem Bildschirm als Ausdruck einer Suche nach dem Lehrervorbild sieht, würde Doktor Specht heute als Waschlappen abgetan.

Im Film „Half Nelson“ versucht auch Ryan Gosling zehn Jahre später, der gute Lehrer zu sein. Er arbeitet im amerikanischen Ghetto, die Schüler schlafen in seiner Klasse. Als Geschichtslehrer lässt er den Lehrplan links liegen und versucht, den Schülern eine Vorstellung von ihrer eigenen Geschichte zu vermitteln, was an den „Club der toten Dichter“ erinnert. Nur ist er weit weg vom strahlenden Helden. Er wird drogenabhängig und verliert sich immer mehr in seiner Sucht.

Zurück zu konservativen Werten

Gefangen im Drogensumpf: Damit erinnert er nicht zuletzt an Walter White aus „Breaking Bad“. Die Botschaft, sein Schicksal selbst in der Hand zu haben, die äußeren Umstände ändern zu können: Walter White verkündet sie nicht, er lebt sie auf extreme Art. Vom schüchternen Chemielehrer verwandelt er sich in einen Drogenboss. Damit ist die Entwicklung des scheiternden Lehrers am Wendepunkt.

Denn aktuell begeistert in „Fack ju Göhte“ ein Krimineller, der irrtümlich in der Klasse steht, die Jugendlichen. Drogensüchtige, Dealer und Kriminelle: Ist das die Dekonstruktion der Lehrerrolle, die uns aus den Filmen und Serien der vergangenen zehn Jahre entgegenspringt? Oder im Gegenteil ein Zurück zu den Wurzeln, die Sehnsucht nach dem starken Lehrer, der sich dem maroden Bildungssystem nicht anpassen muss?

„Fack ju Göhte“ ist eine Komödie, und zwar eine gelungene. Der kriminelle Unfalllehrer ist völlig überzeichnet, trotzdem aber wegen seiner Authentizität und Courage enorm erfrischend. Und natürlich macht er eine Läuterung durch, er bekommt seine Botschaft, die er vermittelt: Macht euer Abi, lernt euch anzupassen, gliedert euch in die Gesellschaft ein.

Früher war der Ausbruch aus dem System das Ziel, das der Lehrerheld den Schülern vermittelte. Bis der filmische Lehrer plötzlich derjenige ist, der mit dem System nicht mehr zurechtkommt. Das System kippte – und bringt uns nun also wieder konservative Werte: Es geht darum, dass sich die Schüler wieder an den Normen orientieren, wieder zurückkommen ins System.

Herr Müller organisiert zu diesem Zweck übrigens Lehrausflüge zu einer Prostituierten, einem Drogenabhängigen und einem Nazi. Es funktioniert: Schließlich wollen die Schüler nicht so werden wie er. Durch sein Vorbild. Der Lehrberuf ist tatsächlich nicht ganz unkompliziert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2014)

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