Ist die SPÖ-Ankündigung, Nachhilfe gratis anzubieten, mehr als ein PR-Gag? Und wie soll der Vorschlag in der Praxis durchgeführt werden – und wo und von wem? Die wichtigsten Fragen zum neuen Projekt.
Wien. Die Ankündigung von Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ), an Wiener Schulen Gratisnachhilfestunden anzubieten, wird von Bildungsexperten fast durchwegs kritisch gesehen. Als „rote pädagogische Sternschnuppe“ bezeichnet etwa Pflichtschullehrergewerkschafter Paul Kimberger den Vorstoß der SPÖ. Er bezweifelt, dass der Vorschlag einer Gratisnachhilfe mehr als eine politische Ankündigung ist. Außerdem sind noch viele Details offen, wie dieses Projekt realisiert werden kann.
1 Wer soll die Gratisnachhilfestunden eigentlich abhalten?
Rund 400 Lehrer will die Stadt Wien für die Nachhilfe einsetzen – und zwar „frisches Personal“. Es soll also kein Lehrer, der derzeit schon im Schulbetrieb ist, zu Mehrarbeit verpflichtet werden. Ein ehrgeiziges Projekt. Immerhin mangelt es in der Bundeshauptstadt in bestimmten Fächern immer noch an Lehrern. Der Lehrermangel ist zwar nicht mehr so groß, es werden aber immer noch mehr als hundert Studenten eingesetzt.
Das weiß auch die Wiener SPÖ. Deshalb lässt man sich eine Hintertür offen: In der Gratisnachhilfe sollen nämlich nicht nur ausgebildete Lehrer eingesetzt werden, sondern auch Lehrende der Volkshochschulen. Mit dem VHS-Management will man nun gemeinsam ein Konzept ausarbeiten.
2 Woher sollen die nötigen 20 Millionen Euro genommen werden?
Diese Frage lässt die Wiener SPÖ zum Teil offen. Gesagt wird nur so viel: „Die Gratisnachhilfe wird heuer noch nicht budgetwirksam. Für 2015 wird das Ganze budgetiert.“
3 Wo soll es Nachhilfe geben, und wie soll diese organisiert werden?
SPÖ-Bildungsstadtrat Christian Oxonitsch präzisierte am Freitag das Nachhilfeprojekt: Das Angebot soll es ab Herbst an exakt 367 Standorten geben. Die 400 zusätzlichen Lehrer teilen sich somit auf 210 Volksschulen, 93 Neue Mittelschulen und 64 AHS auf.
Geplant sind durchschnittlich zwei zusätzliche Wochenstunden pro Schüler. Organisiert wird die Nachhilfe in „Kleingruppen“ mit rund zehn Teilnehmern. Auf jeden der 400 neuen Lehrer kommen so 22 Wochenstunden. An den Volksschulen wird die Nachhilfe direkt am Schulstandort angeboten, bei den Unterstufenschülern wird man mit den Volkshochschulen kooperieren. Gestartet wird im Herbst, nach vier Jahren wird evaluiert, kündigte Oxonitsch an.
4 Wie sind die Reaktionen der Politik und der Experten?
Die Nachhilfeankündigung hat bei der Rathausopposition zu Kritik geführt. Die FPÖ ortet darin einen Beweis für das völlige Scheitern der rot-grünen Bildungspolitik. Die VP betont zwar, dass jedes Mittel recht sei, um das teilweise katastrophale Bildungsniveau der Wiener Schüler zu verbessern. Man müsse sich die Kosten aber genau ansehen; letzten Endes finanziere dies der Steuerzahler.
Die Bildungsexpertin Christa Koenne sieht es zwar grundsätzlich als positiv an, dass sich die öffentliche Hand für Kinder mit Lernschwächen verantwortlich fühle. Aber die Auslagerung von Fördermaßnahmen sei ein Armutzeugnis. Dagegen spricht der Pflichtschulelternverband von einem „bedeutenden Schritt“. (j.n./g.b.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2014)