Sonderschule: Rückbau-Pläne "unrealistisch"

Sonderschule: Abbau-Pläne
Sonderschule: Abbau-Pläne "unrealistisch"(c) Presse (Fabry)
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Das Bildungsministerium will Sonderschulen bis 2020 zur Ausnahme machen. Experten halten den Zeitrahmen für weltfremd.

Experten halten Pläne des Bildungsministeriums, bis 2020 Sonderschulen zur Ausnahme zu machen, für unrealistisch. "Das ist sehr unwahrscheinlich", meint Bildungswissenschafter Stefan Hopmann mit Verweis auf enormen personellen, fachlichen und räumlichen Bedarf von Inklusionspädagogik. 2020 sei für einige Bundesländer "völlig weltfremd", so Inklusionsspezialist Gottfried Biewer (beide Uni Wien).

Für die Steiermark kann sich Biewer, derzeit bundesweit einziger Professor mit Schwerpunkt Inklusionspädagogik, eine Umstellung bis 2020 zwar vorstellen. Denn schon derzeit werden hier 85 Prozent der Schüler mit Sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) in Regelschulklassen unterrichtet. In anderen Bundesländern wie Niederösterreich oder Tirol wird hingegen weniger als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen, denen wegen körperlicher oder psychischer Einschränkung SPF attestiert wird, integrativ beschult. Biewer plädiert daher für eine schrittweise Umstellung: "Die Erfahrung hat gezeigt: Es gab immer Probleme in Ländern, die das System sehr schnell umstellen wollten. Es braucht schon einen realistischen Zeitrahmen."

Eine Modellregion wäre für ihn eine gute Methode, um die Systemumstellung zu proben. Gleichzeitig könnte man ab nächstem Schuljahr damit beginnen, keine Kinder mehr in die ersten Jahrgänge der Sonderschule aufzunehmen und diese stattdessen inklusiv zu beschulen. Die Sonderschulpädagogen, die dadurch frei würden, sollten dann in den Regelschulen eingesetzt werden, um eine Förderung zu garantieren. "Dann hätte das Schulsystem Zeit, um sich auf den Wechsel vorzubereiten." Der schrittweise Umbau des Systems würde damit insgesamt neun Jahre dauern. In dieser Zeit müssten dann auch die entsprechenden Unterstützungsstrukturen aufgebaut und bei der neuen Lehrerausbildung Pädagogen mit der notwendigen Expertise ausgebildet werden.

Inklusionskompetenz bei Pädagogen gefordert

Für Bildungsforscher Hopmann wäre das Jahr 2030 für eine Umstellung wesentlich realistischer als 2020. "Aber dafür muss ich Inklusionskompetenz bei den Pädagogen schaffen." Würde die Umstellung auf inklusive Schulen trotz Mangel an qualifiziertem Personal durchgezogen, werde die Situation "eher schlechter als besser". Dabei spreche er aber nicht etwa von einer Verdoppelung der Kapazitäten, in weiten Teilen sie diese Kompetenz derzeit überhaupt nicht da.

Weitere Voraussetzung sei es, aus dem starren System mit "eine Klasse - ein Lehrer - ein Fach" herauszukommen. "Sonst ist Inklusion nicht machbar." Diese könne nur dann gut funktionieren, wenn es auch die personellen, fachlichen und räumlichen Voraussetzungen für den gemeinsamen Unterricht gebe. "Sonst ist das weder für die Kinder mit der Diagnose noch für die anderen Kinder von Vorteil", warnt Hopmann. Das sei auch der Grund, wieso in manchen Fällen Eltern von Kindern in Sonderschulen gegen die Umstellung auf ein inklusives System auf die Barrikaden gingen.

Gar nicht schnell genug gehen kann es unterdessen Marianne Schulze, der Vorsitzenden des Monitoring-Ausschusses zur Einhaltung der UN-Menschenrechtskonvention, in der auch der gemeinsame Unterricht von Schülern mit und ohne Beeinträchtigung vorgesehen ist. "Mit dem entsprechenden politischen Willen sehe ich nicht, warum das nicht im September 2015 möglich wäre", sagt sie im Ö1-"Morgenjournal".

(APA)

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