Heinisch-Hosek pocht auf Sonderschulen

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Die Grünen sind für eine rasche Umstellung auf einen gemeinsamen Unterricht. Experten warnen vor zu großer Eile.

Wien. Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) weist die Forderung nach rascher Abschaffung der Sonderschulen zurück. Eltern sollten Wahlfreiheit haben, ob Kinder mit Beeinträchtigung eine Sonderschule oder eine Integrationsklasse besuchen, sagte die Ministerin im Ö1-„Mittagsjournal“. Entscheidend sei, dass die Kinder bestmöglich gefördert werden.

Einzelne Sonderschulen müssten jedenfalls auch künftig bestehen bleiben. Denn manche Unterstützungsangebote seien nur an spezialisierten Einrichtungen verfügbar. Sie verteidigt, dass die Schaffung flächendeckender integrativer Angebote bis 2020 dauern soll: Neben den Schulen müssten auch soziale Dienste, Jugendwohlfahrt und Gesundheitswesen eingebunden werden.

Die Grünen dagegen wollen Druck für Reformen machen. Österreich verschlafe eine internationale Entwicklung und gerate in Sachen inklusiver Pädagogik immer weiter ins Hintertreffen, sagte der grüne Bildungssprecher Harald Walser. Er verweist darauf, dass Sonderschulen bereits 2008 von der UNO als menschenrechtswidrig kritisiert worden seien. Ziel müsse stattdessen eine inklusiv geführte gemeinsame Schule aller Kinder bis 14 sein, die individuell auf die Bedürfnisse der Kinder eingehe.

Allerdings halten Experten schon die Pläne des Bildungsministeriums, bis 2020 Sonderschulen zur Ausnahme zu machen, für unrealistisch. „Das ist sehr unwahrscheinlich“, verweist Bildungswissenschafter Stefan Hopmann auf den enormen personellen, fachlichen und räumlichen Bedarf von Inklusionspädagogik. Der Inklusionsspezialist Gottfried Biewer von der Uni Wien hält das Ziel gar für „völlig weltfremd“.

Für die Steiermark kann sich Biewer, derzeit bundesweit einziger Professor mit Schwerpunkt Inklusionspädagogik, eine Umstellung bis 2020 zwar vorstellen. Denn schon derzeit werden hier 85 Prozent der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) in Regelschulklassen unterrichtet. In anderen Bundesländern wie Niederösterreich oder Tirol wird hingegen weniger als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen, denen wegen körperlicher oder psychischer Einschränkung SPF attestiert wird, integrativ beschult. Biewer plädiert daher für eine schrittweise Umstellung: „Die Erfahrung hat gezeigt: Es gab immer Probleme in Ländern, die das System sehr schnell umstellen wollten. Es braucht schon einen realistischen Zeitrahmen.“

Eine Modellregion wäre für ihn eine gute Methode, um die Systemumstellung zu proben. Gleichzeitig könnte man ab nächstem Schuljahr damit beginnen, keine Kinder mehr in die ersten Jahrgänge der Sonderschule aufzunehmen und diese stattdessen inklusiv zu unterrichten. Die Sonderschulpädagogen, die dadurch frei würden, sollten dann in den Regelschulen eingesetzt werden.

Der schrittweise Umbau des Systems würde damit insgesamt neun Jahre dauern. In dieser Zeit müssten die entsprechenden Unterstützungsstrukturen aufgebaut und bei der neuen Lehrerausbildung Pädagogen mit der notwendigen Expertise ausgebildet werden.

„Kompetenz schaffen“

Für Bildungsforscher Hopmann wäre das Jahr 2030 für eine Umstellung wesentlich realistischer als 2020. „Aber dafür muss ich Inklusionskompetenz bei den Pädagogen schaffen.“ Würde die Umstellung auf inklusive Schulen trotz Mangels an qualifiziertem Personal durchgezogen, werde die Situation „eher schlechter als besser“. In weiten Teilen sei diese Kompetenz derzeit überhaupt nicht da.

Gar nicht schnell genug gehen kann es unterdessen Marianne Schulze, der Vorsitzenden des Monitoring-Ausschusses zur Einhaltung der UN-Menschenrechtskonvention, in der auch der gemeinsame Unterricht vorgesehen ist. „Mit dem entsprechenden politischen Willen sehe ich nicht, warum das nicht im September 2015 möglich wäre“, sagt sie. (APA/red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.08.2014)

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