Brandsteidl: "Verschenkte Noten ernsthaftes Problem"

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Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl (SPÖ) erklärt, warum Gratisnachhilfe kein Wahlkampfgag und völliger sozialer Ausgleich eine Illusion sei. Lehrer gibt es in Wien (fast) genug.

Die Presse: Heuer startet in Wien erstmals die sogenannte Gratisnachhilfe. Wird jetzt alles gut?

Susanne Brandsteidl: Es ist eine Maßnahme, damit es besser wird. Aber die Nachhilfe ist eine außerschulische Maßnahme, und sie wird nur in der Volksschule über die Schulstandorte abgewickelt.


Sie haben einen Bedarf an 1200 zusätzlichen Lehrerposten angemeldet, die der Bund nicht zahlt. Wäre es nicht gescheiter gewesen, die Stadt Wien hätte ihr Geld in reguläre Lehrer investiert?

Manches, was auf unserer Wunschliste steht, ist inhaltlich identisch mit dem, was durch die Gratisnachhilfe abgedeckt wird. Die Förderung bei Sprachdefiziten zum Beispiel. Wesentlich ist, dass Kinder mehr Unterricht und Förderung bekommen.


Wenn es sich ohnehin um fast reguläre Förderung handelt, ist zumindest der Titel Gratisnachhilfe verfehlt. Ein Wahlkampfschmäh?

Nein, sondern einfach eine Hilfe für Eltern. Damit Kinder, deren Eltern zu Hause nicht helfen können, ein Angebot einer zusätzlichen Förderung haben, ohne viel Geld auszugeben. Die richtige Strategie ist aber ohnehin die Ganztagsschule. Für alle, Montag bis Freitag von acht bis 16 Uhr, mit Betreuungsmöglichkeit bis 18 Uhr. Das ist meine Idealvorstellung und der große Gedanke hinter sozialdemokratischer Schulpolitik.

Wollen das die Eltern wirklich?

Wir haben viele positive Rückmeldungen von Eltern. Es werden immer mehr Eltern, die die Vorteile der Ganztagsschule erkennen und sie sich für ihr Kind wünschen.


Zu einem anderen ebenfalls umstrittenen Thema: Die Bildungsexpertin Heidi Schrodt hat in ihrem Buch geschildert, wie Lehrer in Wien Vierer verschenken, damit die Schüler überhaupt einen Abschluss bekommen. Kann Sie so etwas noch schockieren?

Das ist ein ernsthaftes Problem. Da geht es um Abschlüsse und auch um Eltern, die Druck machen, weil sie das Kind ins Gymnasium schicken wollen. Wir arbeiten schon seit Jahren daran, die Notenwahrheit als oberstes Prinzip durchzusetzen. Bei Eltern wie Lehrern braucht es hier einen Durchbruch bei der Haltung: dass geschenkte Noten dem Kind schaden.

Zu den Jugendlichen: Was muss konkret passieren?

Externe Prüfungen sind ein guter Weg. Ich bin ein Fan der mittleren Reife nach der Pflichtschule, die bundesweit derzeit kein Thema ist. Die eigentlich richtige Maßnahme ist die Ausbildungspflicht bis 18.

Beschrieben wird auch, wie Wiener Haupt- und Mittelschulen zu Restschulen werden. Ist es illusorisch, dass man eine vernünftige Durchmischung erreicht?

Auch, wenn wir eine gemeinsame Schule haben sollten: Es wird immer Schulen geben, in denen die sozialen Verhältnisse besser oder schlechter sind. Der völlige soziale Ausgleich ist eine Illusion.


Daran hat auch die Neue Mittelschule wenig geändert. Oder?

Es ist nicht sinnvoll, zwei Systeme parallel laufen zu lassen – so, wie das mit den NMS passiert. Deutlich besser gelingt es in den Wiener Mittelschulen, wo Hauptschulen und AHS Hand in Hand gehen.


Was halten Sie von einer Budgetverteilung für Schulen, die auch soziale Kriterien einbezieht?

Ich wünsche mir eine derartige indexbasierte Mittelverteilung. Aber wenn, dann für ganz Österreich. Ich bin überzeugt, dass Wien bei einer solchen Zuteilung für seine Schulen mehr Mittel bekommt.


Dem Bundesinstitut für Bildungsforschung steht eine größere Reform bevor. Sie haben angedeutet, dass es das BIFIE-Institut gar nicht brauche.

Ich bin der Meinung, dass eine Sektion für Bildungsforschung im Bildungsministerium eine Möglichkeit wäre. Aber sicher nicht die einzige. Ich möchte der Bundesministerin keine Empfehlungen ausrichten.

Noch immer steht nicht fest, wer Vizepräsident im Stadtschulrat wird. SPÖ-Landeschef Michael Häupl konnte sich also noch kein Bild vom FPÖ-Kandidaten Maximilian Krauss machen, der mit seinen Aussagen aufgefallen ist?

Das ist Sache des Landeshauptmanns. Es steht der zweitstärksten Fraktion die Funktion zu, aber nicht einer bestimmten Person.


Möchten Sie denn mit Maximilian Krauss zusammenarbeiten?

Ich sage dazu nur eines: Egal, wer es wird, Verhetzung und Ausländerfeindlichkeit werden im Stadtschulrat nicht toleriert.


Zurück zum Schulstart: Gibt es genügend Lehrer für Wien?

Ja – wenn auch nicht überall. Immer etwas knapp ist es in einzelnen technischen Fächern in den HTL, das wird mit Überstunden geregelt. In der Volksschule dagegen haben wir sogar sehr viele Lehrer.

Bietet das Lehramt also keine Jobsicherheit mehr?

Das würde ich so nicht sagen. Wien wächst sogar stärker als bisher angenommen. Wir brauchen nach wie vor Pädagogen.

Sie wollen nicht in die Gehrer-Falle tappen und jungen Leuten vom Lehrerjob abraten.

Ich werde in keine Falle tappen.

ZUR PERSON

Susanne Brandsteidl (*1963) ist seit 2001 amtsführende Präsidentin des Stadtschulrats. Sie ist promovierte Sprachwissenschaftlerin und AHS-Pädagogin für Deutsch und Geschichte.

Debatte. Zuletzt sorgte die FPÖ-Nominierung für den Vizepräsidenten für Wirbel: Der 21-jährige Maximilian Krauss war zuvor u.a. mit der Forderung nach „Ausländerklassen“ aufgefallen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2014)

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