Schule: Im Kampf gegen den Ruf des „Poly“

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Gemeinhin gelten die polytechnischen Schulen als Problemfall. Umso überraschender, dass ausgerechnet eine solche heuer den Schulpreis bekommt. Ein Lokalaugenschein in Telfs.

Telfs. Auf den ersten Blick glaubt man kaum, dass man auf der Suche nach der besten Schule richtig ist. Nicht nur, weil sie sich ein bisschen versteckt, im hinteren Teil eines teils leer stehenden Geschäfts- und Wohngebäudes. Sondern auch, weil es sich um einen Schultyp handelt, der für gewöhnlich eher nicht unter den besten auftaucht: Es ist die polytechnische Schule Telfs unweit von Innsbruck, die vom Bildungsministerium mit dem diesjährigen Schulpreis ausgezeichnet wurde.

Die polytechnische Schule Telfs ist eine sehr kleine Schule: rund 70 Schüler, neun Lehrer. Die Schülerpopulation ist durchmischt: Manche haben Migrationshintergrund, andere kommen aus dem ländlichen Bereich. An der Wand hängen Fotos der Schüler, mit Eigenschaften und Visionen. „Eine gute Arbeit“, steht da bei den Wünschen. „Nach Amerika reisen“, bei den Zielen. „Fußball spielen“ oder „Italienisch“ bei den Fähigkeiten. In Telfs stehe jeder einzelne Schüler im Zentrum, heißt es in der Begründung für den Preis. Ihre Interessen und Begabungen seien die Basis für die Schulentwicklung. Der Schule gelinge es, in nur einem Jahr Fundament und Sprungbrett für das weitere Leben zu bieten.

Gemeinhin gelten die polytechnischen Schulen – im Volksmund abfällig „Poly“ genannt – eher als Lückenfüller zwischen der Hauptschule und dem Ende der Schulpflicht. Anders als andere Schulen müssen sie jeden Schüler aufnehmen – auch, wenn das Zeugnis negativ ist. Sie werden vielfach als Auffangbecken gesehen, dem man, wenn irgend möglich, zu entkommen versucht. Das spiegelt sich in den Zahlen: Besuchten 1980 österreichweit mehr als 33.000 Schüler eine polytechnische Schule, waren es 2012 nicht einmal mehr 17.000.

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Schulversuch für Attraktivität

Der Schulpreis ist insofern wohl auch ein bisschen Schulpolitik: Immerhin ist man im Bildungsministerium seit einiger Zeit dabei, die polytechnischen Schulen zu attraktivieren. Zu diesem Zweck hat man einen Schulversuch entwickelt, der seit diesem Jahr auch in Telfs umgesetzt wird: PTS 2020 beinhaltet beispielsweise eine stärkere Individualisierung und Modularisierung.

So beginnt das Jahr mit einer sechswöchigen Orientierungsphase, während der herausgefunden werden soll, was das Richtige für jeden sein könnte. Es folgt die Entscheidung für einen Bereich – Metall etwa oder Dienstleistung. In der Pause geben ein paar Schüler ihre Ziele preis: IT-Techniker, KfZ-Mechaniker, Elektriker, Optiker. Eine Schülerin will Verkäuferin werden, eine andere ein Jahr nach Amerika, ein Bursche will die Lehre mit Matura probieren.

„Wichtig ist zu sehen: Die polytechnische Schule ist nicht unbedingt eine Sackgasse“, sagt Direktorin Annemarie Reich. Derzeit würden sich 15 der 70 Schülerinnen und Schüler auf den Maturacheck vorbereiten, mit dem man herausfindet, ob man für Lehre mit Matura geeignet ist. Neun von zehn Schülern hätten nach dem Jahr eine fixe Stelle oder einen Platz in einer weiterführenden Schule. Etwa jeder zehnte entscheidet sich für Letzteres. „Die erkennen: Das will ich doch. Und fühlen sich gefestigt.“

Festigen, stärken: Das ist etwas, was man in Telfs oft hört. Da geht es längst nicht nur um Kompetenzen wie Rechnen, sich ausdrücken. Das Jahr, das die Schüler an der Schule verbringen, nutze man auch, um sie persönlich zu stärken. „Teils kommen Schüler, die sagen: Ich kann eh nur ins Poly gehen“, sagt Deutschlehrerin Manuela Stigger. „Wir können sie ein Jahr begleiten, mit ihnen Ziele entwickeln, aufzeigen, dass sie etwas können, auf das sie stolz sein können.“ Dass das mit Dienst nach Vorschrift nicht gelingt, ist klar.

Und so verbringen Lehrer etwa Nachmittage an der Schule, um mit den Schülern Gesellschaftsspiele zu lernen („Wir sind draufgekommen, dass das keiner kann“). Selbst Ex-Schüler sind willkommen. Die Lehrer helfen ihnen weiter, wenn sie in der Berufsschule am Stoff verzweifeln. Manche brauchten ein zweites Jahr, sagt Direktorin Reich. Wenn sie positiv abschließen, ist das derzeit aber nicht möglich. „Wir hatten Eltern, die uns darum gebeten haben, ihrem Kind einen Fünfer zu geben, damit es noch ein Jahr machen kann.“ Sie halte eine Verlängerung des Schultyps auf (optionale) zwei Jahre jedenfalls für sehr sinnvoll. Das ist auch eine Überlegung im Rahmen von PTS 2020.

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Kampf gegen Windmühlen

„Natürlich kämpfen wir auch gegen den Ruf des Poly“, sagt Mathelehrer Stefan Wirtenberger. „Manchmal ist das ein Kampf gegen Windmühlen. Es wird immer nur gesehen: Die höheren Schulen können diese Schüler nicht brauchen. Was man nicht sieht: den Jugendlichen, der sagt: Ich brauche keine höhere Schule. Das liegt mir nicht, ich will einen Beruf lernen.“ Nicht zuletzt liege das an der (fehlenden) Wertschätzung für Lehrberufe.

In Telfs spürt man das heuer besonders: Dass man etwa 20 Schüler weniger hat als im Vorjahr, liegt auch daran, dass der erste Jahrgang der Neuen Mittelschule abgeschlossen hat – und mehr Schüler zum Wechsel in eine höhere Schule berechtigt waren. Um Weihnachten herum werde klar sein, ob von ihnen doch noch welche in die polytechnische Schule wechseln.

Auf einen Blick

Die PTS Telfs wurde vom Bildungsministerium mit dem Schulpreis ausgezeichnet. Die Schule stelle jeden einzelnen Schüler ins Zentrum, und es gelinge, den Schülern Fundament und Sprungbrett für ihr weiteres Leben zu bieten. 79 Schulen haben sich für den Preis beworben.

Insgesamt gibt es in Österreich 250 polytechnische Schulen. Die Zahl der Schüler ist zwischen 1980 und 1990 drastisch gesunken – von 33.300 auf 19.500. 2012 besuchten 16.900 Schüler diesen Schultyp. Das sind 18 Prozent aller Schüler in der neunten Schulstufe.

Mit einem Schulversuch will das Bildungsministerium den Schultyp aufwerten. An 13 Standorten werden unter dem Titel „PTS 2020“ die polytechnischen Schulen weiterentwickelt. Schwerpunkte: Individualisierung, Modularisierung. Auch eine (optionale) Ausweitung auf zwei Jahre ist ein Ziel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2014)

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