„Legasthenie ist keine Krankheit“

(c) EPA (Alessandro Della Valle)
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Lehrer sollten eine Legasthenie/ Dyskalkulie bei der Benotung berücksichtigen. Das Schulsystem stellt eher eine Förderung betroffener Kinder in den Vordergrund.

WIEN. In Julias Texten tanzen oft die Buchstaben durcheinander. Jan wiederum hat so seine Probleme mit Zahlen. Wie Julia und Jan leiden viele Schülerinnen und Schüler unter Legasthenie (Schreibschwäche) oder Dyskalkulie (Rechenschwäche). Bis zu 15 Prozent eines Jahrgangs sind davon betroffen. Wie aber geht das Schulsystem mit diesen Kindern um? Wie wird gefördert? Wird bei der Benotung Rücksicht auf die Schwäche genommen?

Mathilde Zeman, Leiterin der Wiener Schulpsychologie, betont dazu: „Es ist wichtig zu wissen – weder Legasthenie noch Dyskalkulie ist eine Krankheit.“ Durch eine Krankheitszuweisung würde das betroffene Kind nur stigmatisiert. „Es handelt sich um Kinder, die eine Lernschwierigkeit haben, die einen bestimmten Namen hat.“

Das Schulsystem versuche dieser Lernschwierigkeit durch Förderung zu begegnen, so Zeman. Früher sei dies in Legasthenikerkursen passiert, dazu habe das betroffene Kind den Klassenraum für die Dauer der Kursstunde verlassen. Heute passiere dies durch den Einsatz eines Team- oder Stützlehrers, der sich eine Zeit lang ganz gezielt mit dem betroffenen Kind befasse. Manche Eltern würden noch zusätzlich mit dem Kind arbeiten.

Auch Astrid Kopp-Duller, Präsidentin des Ersten Österreichischen Dachverbands Legasthenie, streicht hervor: „Diese Kinder sind nicht schwach, gestört, krank oder gar behindert. Sie finden lediglich mit den angebotenen Unterrichtsmethoden nicht das Auslangen, das Schreiben, Lesen oder Rechnen ausreichend zu erlernen.“ Das Gros dieser Kinder brauche schlicht andere pädagogisch-didaktische Ansätze. Der Dachverband bilde seit zwölf Jahren Trainer aus, die genau diese Ansätze anwenden.

Warten hilft nicht

Weitaus weniger Kinder bräuchten darüber hinaus eine psychologische Betreuung. Wichtig sei daher eine Abklärung, welcher Weg im einzelnen Fall der richtige ist. Testen lassen können Eltern ihr Kind im Verdachtsfall sowohl bei den schulpsychologischen Beratungsstellen der Landesschulräte als auch durch einen Legasthenietrainer (siehe auch Link: www. legasthenietrainer.com).

Wichtig ist Kopp-Duller: „Es hilft kein Warten, denn eine Legasthenie löst sich leider ohne gezielte Hilfe nie in Wohlgefallen auf. Wird die Problematik ignoriert, sind zumeist psychische Erkrankungen der Kinder die Folge, die unbedingt vermieden werden sollten.“ Zum Umgang der Lehrer mit Legasthenie beziehungsweise Dyskalkulie an Österreichs Schulen meint Kopp-Duller, dass dieser „sehr unterschiedlich“ sei.

Kein Freibrief für Fehler

Jeder Lehrer pflege seinen persönlichen Umgang damit. Pädagogen, die die Materie kennen, brächten Verständnis auf und berücksichtigten die Schwäche auch bei der Beurteilung. Andere ließen die Legasthenie oder Dyskalkulie nicht gelten. „Es gibt auch kein Gesetz in Österreich, das speziell für legasthenische Kinder entwickelt wurde, lediglich Erlässe oder Handreichungen, wie man mit den Kindern im Unterricht umgehen soll.“

Zeman betont, Legasthenie und Dyskalkulie dürften jedenfalls „kein Freibrief“ sein, um ohne Konsequenzen Fehler machen zu dürfen. Die Schulpsychologin verweist aber auf die gesetzliche Regelung, wonach für die Leistungsbeurteilung nicht nur der schriftliche Ausdruck, sondern beispielsweise auch die mündliche Mitarbeit miteinbezogen werden müsse. Dazu sagt Kopp-Duller: „Tatsächlich gibt es viele interessierte Lehrer, die bei der Notengebung darauf Wert legen, dass einerseits natürlich das Bemühen nach ständiger Verbesserung der schriftlichen Leistungen da ist, die aber auch mündliche Leistungen gewichten, sodass eine insgesamt positive Note entsteht.“

Gibt es dennoch Probleme mit einem Pädagogen, rät Kopp-Duller den betroffenen Eltern, zunächst den Lehrer aufzuklären und ihn dazu zu bringen, „nicht ständig Kritik zu üben, sondern motivierend zu unterstützen“. Falsch sei es allerdings, „den Lehrer dazu zwingen zu wollen, dem Kind zu helfen“.

Viel Geduld und Verständnis

Dafür seien Stützlehrer oder Legasthenietrainer zuständig. „Auch wird es problematisch, wenn manche Eltern und auch Kinder glauben, eine Legasthenie oder Dyskalkulie wäre der Grund dafür, sich beim Schreiben, Lesen, Rechnen nicht mehr bemühen zu müssen. Viele bauen auf die Mitleidsschiene, was aber schließlich irgendwann zum Problem wird, denn jeder Mensch sollte doch in irgendeiner Form lesen, schreiben und rechnen können.“

Daher lautet Kopp-Dullers Appell: Wenn die nötigen Voraussetzungen geschaffen würden, könne jedes Kind die Kulturtechniken erlernen. Es brauche nur den für ihn geeigneten didaktischen Weg. „Und viel Geduld und Verständnis“ – von Eltern- wie von Lehrerseite.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.01.2009)

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