Fernweh: Schüler wollen immer weiter weg

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Auslandsaufenthalte werden bei Jungen immer beliebter. Durch die Zentralmatura werden Austauschschüler immer jünger. Teils fehlt in den sechsten Klassen ein Drittel der Schüler.

Wien. Die Herausforderungen beim Schüleraustausch begannen für Lea Zauner damit, ihre Mutter von der Idee zu überzeugen. Sie mochte Japan schon, seit sie elf war, japanische Cartoons sah sie im Original. Ein Jahr im Ausland erschien ihr als großes Abenteuer – zu dem sie ihre Mutter schlussendlich tatsächlich überreden konnte: Die Niederösterreicherin absolvierte über das Austauschprogramm AFS die gesamte sechste Klasse in Sapporo.

Bei 16-Jährigen ist ein halbes oder ganzes Jahr weit weg von der Familie keine Seltenheit mehr. In den meisten Fällen werde ein Auslandsaufenthalt mittlerweile für die zehnte Schulstufe – also die sechste Klasse AHS – geplant, berichten die Institute. Das hat auch damit zu tun, dass die Zentralmatura schon in der siebten Klasse einiges an Arbeit erfordert und viele Eltern vor der Reifeprüfung befürchten, dass ihr Kinder in der Zielgeraden an Metern verlieren.

Doch die Austauschschüler werden nicht nur jünger, sie reisen auch in immer weiter entfernte Länder. Nordamerika, Südamerika und Asien werden immer attraktiver, heißt es von den Instituten. Beim Anbieter Education First (EF) sind die USA nach wie vor das am stärksten nachgefragte Land, hierhin gingen im Schuljahr 2012/13 rund 400 österreichische Schüler. Konkrete Zahlen werden vom Unterrichtsministerium nicht gesammelt, für Wien hat auch der Stadtschulrat keinen Überblick, und die Institute selbst wollen teils keinen Einblick in ihre Statistik geben. Doch der Trend, so die Institute, sei klar: Die Zahlen steigen.

Schulen orten Boom

Das sehen auch die Schulen so. Mittlerweile gibt es Gymnasien, bei denen in der sechsten Klasse ein Drittel der Sessel leer bleibt. „Wir haben seit dem letzten Schuljahr einen Anstieg von etwa 15Prozent in den sechsten Klassen. Es ist ein wahrer Boom“, sagt etwa Walter Hollmann, Direktor des Wiener Privatgymnasiums St.Ursula.

Dreißig Prozent der Schüler in zwei der drei sechsten Klassen sind im kommenden Sommersemester im Ausland. Die Schule steht dem positiv gegenüber – allerdings seien die Schüler nach ihrer Rückkehr stark gefordert, da sie den versäumten Stoff in irgendeiner Form aufholen müssen. Wenn das Auslandssemester ab Jänner absolviert werde, seien die Vorschriften seitens des Stadtschulrats auch recht schülerfreundlich und ein Aufsteigen ohne Noten gewährleistet. Doch es gibt noch einen weiteren, für viele belastenden Faktor: Auslandsaufenthalte sind teuer. Rund 10.000 Euro kostete das Schuljahr in Japan Leas Eltern – je nach Ziel und Anbieter kann es etwas günstiger, aber auch viel teurer werden.

Woher kommt trotz dieser Belastungen der Anstieg bei den Reisen? Viele Eltern sehen den Aufenthalt als Investition in die Zukunft, sie wollen die Bildungswege ihrer Kinder perfekt modellieren. Auch die Institute bestätigen, dass die Entscheidung teils durchaus karriereorientiert getroffen wird. Lea ist in dieser Hinsicht noch unbefangen: Sie ging weg, weil sie „etwas Neues“ erleben wollte, wie sie sagt. Der Anfang war irritierend, da die anderen Schüler die Blondine mit offenen Mündern anstarrten. „Mein Gott, ist die süß“, war der Satz, den sie ständig hörte.

Der Abstand war nie kleiner

Fernab der Orientierung an künftigen Karrieren gibt es aber noch einen anderen Punkt, der einen Auslandsaufenthalt heute attraktiver macht: Wenn ein Kind heute für längere Zeit weggeht, können die Eltern trotzdem noch an seiner Seite sein. Denn durch die digitale Kommunikation kann es seine Eltern schnell nach Rat fragen, wenn es nicht weiß, was es am Abend anziehen soll. Es kann (theoretisch freilich, denn es handelt sich um Teenager) täglich die Stimmen seiner Eltern über Skype hören, ihnen Bilder vom Abendessen oder vom Konzert schicken, auf dem es eben noch war. Der Abstand war nie kleiner, auch wenn er sehr groß ist. Zurechtkommen müssen die Kinder aber trotzdem selbst.

AUF EINEN BLICK

Anbieter von Auslandsaufenthalten haben lange Tradition. Das zeigen gleich zwei Jubiläen: So feiert EF Education First seinen 50.Geburtstag. Wie viele Schüler sie ins Ausland schicken, sagt EF nicht. Nur so viel: Allein in das Hauptziel USA gehen jährlich rund 400. Das klassische Austauschprogramm AFS, bei dem nicht für die Betreuung durch die Familien gezahlt wird, ist 100 Jahre alt. Das nutzen jährlich 300 Schüler. Abgesehen davon bevölkern viele junge Anbieter den Markt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2014)

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