Auslaufmodell Schreibschrift?

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ein Blick über die Ländergrenzen zeigt: Nicht nur Finnland schafft die Schreibschrift ab.

Als „Kniefall vor der fortschreitenden motorischen Verarmung unserer jungen Leute" bezeichnete der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Josef Kraus, die finnische Schulreform. Wie die "Presse" berichtete, stellt es der PISA-Seriensieger stellt es Lehrern ab dem Schuljahr 2016 frei, ob sie ihren Schülern die verbundene Schreibschrift unterrichten. Zusätzlich zum Tippen auf der Computertastatur versteht sich. Schließlich sei die digitale Revolution im Alltag angekommen und flüssiges Tippen daher eine unerlässliche Fähigkeit. Für handschriftliche Notizen muss zukünftig Druckbuchstaben ausreichen.

Dabei holt der skandinavische PISA-Champion ab Herbst kommenden Jahres nur nach, was in Deutschland bereits in mehreren Bundesländern Gang und Gäbe ist. Dort frönt man dem Schriftföderalismus und lehrt gleich vier unterschiedliche Schriftsysteme an den Grundschulen. Darunter die Grundschrift, die einer Druckbuchstabenschrift stark ähnelt. Sie ist beispielsweise bereits in den Lehrplänen von Hamburg, Berlin, Thüringen und Nordrhein-Westfalen verankert. In diesen Bundesländern ist es teils Schulen, teils sogar einzelnen Lehrern freigestellt, ob sie zusätzlich oder alternativ die verbundene Schreibschrift lehren.

US-Lehrplan verbannt Schreibschrift

Schon 2013 einigten sich 45 der 50 US-Bundesstaaten in den Common Core State Standards auf ihre Abkehr von der verpflichtenden Schreibschrift in den Volksschulen. Der Grundtenor war damals derselbe wie heute in Finnland. Schülern sollen sich nicht mit einer überkommenen, schwierigen Schriftform plagen, wenn der Trend sowieso Richtung PC, Smartphone und Tablet ginge. Als die Diskussion in Amerika gerade ihren Höhepunkt erreichte, schrieb die "Los Angeles Times", man müsse Platz für neue, technologiebasierte Unterrichtsformen schaffen. Es bringe nichts, "an der Schreibschrift zu hängen, nur weil man die romantische Vorstellung hat, sie sei Tradition, eine Kunstform oder eine Fähigkeit, deren Verschwinden einer kulturellen Tragödie gleichkäme".

In dieselbe Kerbe schlagen viele kanadische Schulen, welche sich bereits vor einigen Jahren von der verbundenen Schreibschrift verabschiedet haben. Doch gibt es dort ähnlich wie in Deutschland keine einheitliche Regelung. Es ist jeder einzelnen Provinz überlassen, wie sie diese Frage handhabt. So hat die kanadische Provinz Quebec die verbundene Schreibschrift bereits aus ihrem Schulplan gestrichen, in Ontario hingegen ist sie verpflichtender Teil des Curriculums. In anderen Provinzen wie in Nova Scotia können die Lehrer wiederum entscheiden, wie sehr sie das Erlernen der verbundenen Schreibschrift im Unterricht forcieren.      

Ähnliche Tendenzen gibt es zurzeit in der Schweiz, wo das Aus für die traditionelle Schnürlischrift zur Debatte steht. Mehr als 60 Jahre war die verbundene Schweizer Schulschrift in den Lehrplänen von 15 der 21 deutschsprachigen Kantone verankert. Bald könnte sie von der schnörkellosen, einfacher erlernbaren Basisschrift abgelöst werden. Schüler sollen nach dem "Lehrplan 21" zuerst mit Druckbuchstaben vertraut gemacht werden, bevor sie diese ab der zweiten oder dritten Klasse langsam zu verbinden lernen. Der NZZ zufolge ergab eine Untersuchung in Luzern, dass die Kinder mit den Druckbuchstaben nicht nur leserlicher und schneller, sondern auch lieber schreiben als jene, die "Schnürli" üben müssen.

Traditionalisten: Frankreich und Österreich

Eine 2012 vom britischen Schreibwarenhändler Docmail in Auftrag gegebene Studie scheint den weltweiten Trend im Bildungssystem zu bestätigen. Dieser zufolge hätte jeder Dritte von 2000 befragten Briten im vorangegangenen Halbjahr keinen Stift mehr zur Hand genommen habe. Zwei Drittel gaben an, dass sie - wenn überhaupt - nur mehr hastig hingeworfene Notizen oder Erinnerungen für sich selbst kritzelten.

Nachdenklich stimmen sollte hingegen eine Studie von Forschern des renommierten französischen Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) aus demselben Jahr. Sie belegte, dass Kinder, die per Hand schreiben, bessere Merkfähigkeiten an den Tag legen, als solche die das Gehörte nur mittippen. Beim handschriftlichen Vorgang würden mehr Hirnregionen aktiviert und so bliebe das Geschriebene stärker im Gedächtnis haften. Ganz im Sinne dieser Erkenntnisse ist der französische Grundtenor zurzeit pro Schreibschrift - eine öffentliche Debatte zu dem Thema blieb dort bisher aus. Ähnlich in Österreich, wo das Bildungsministerium auf Anfrage der "Presse" vergangenes Jahr antwortete, es gäbe "keine Bestrebungen, den Status Quo zu ändern". 

>>> Zum Artikel in der Los Angeles Times

>>> Zur Studie Death of Handwriting

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