Schule: Die Mär von den bösen Eltern

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Migranten interessieren sich teilweise mehr für die Schule als einheimische Eltern. Zentral ist vielfach die gesellschaftliche Schicht. Benachteiligte Eltern fühlen sich oft unverstanden.

Wien. Die Eltern mit ausländischen Wurzeln, die sich hartnäckig weigern, in die Schule zu kommen, ja die sich eigentlich überhaupt nicht für die Bildung ihrer Kinder interessieren: Dieses Bild wurde rund um die jüngste Diskussion über Strafen für „integrationsunwillige“ Eltern reichlich strapaziert. Eine aktuelle Auswertung des Schulevaluationsprojekts Noesis, für das in Niederösterreich Eltern von Zehn- und 14-Jährigen befragt wurden, zeigt jetzt: Es gibt gewisse Unterschiede, was das Engagement von Eltern mit und ohne Migrationshintergrund angeht. Entscheidend ist vielfach aber die gesellschaftliche Schicht.

Bei den Eltern mit Migrationshintergrund in der Unterschicht ist das schulische Engagement demnach deutlich niedriger als das der Einheimischen. In der Oberschicht kehrt sich das aber um: Hier liegen die ausländischen Eltern beim Engagement in der Schule klar vorne. Interesse für das, was das Kind in der Schule erlebt hat, zeigen so gut wie alle Eltern – schlechter bis mittel gestellte Migranten geringfügig weniger, Migranten aus der Oberschicht jedoch wieder etwas mehr.

„Es gibt immer einzelne Eltern, die mit Schule überhaupt nichts anfangen können“, erklärt der Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann, der die Umfrage verantwortet. „Aber es ist Unfug, dass es eine signifikante Gruppe von Eltern mit Migrationshintergrund gäbe, die sich einfach nicht an schulischen Angelegenheiten beteiligt. Es gibt ein generelles Problem mit der Unterschicht – und bei Eltern mit Migrationshintergrund kommen noch andere Barrieren dazu.“

Kulturelle Unterschiede

Diese Barrieren seien nicht nur sprachlicher Natur – sondern auch kulturell. „Es wird nicht überall so ein intensiver Kontakt zwischen Eltern und Schule erwartet wie in Österreich“, sagt Hopmann. „In der Türkei etwa sind Schule und Familie strikt getrennte Sphären. Dass Eltern mehr tun sollen, als das Mitteilungsheft zur Kenntnis zu nehmen, ist dann teils nicht nachvollziehbar. Und es ist naheliegend, dass gebildetere Eltern diese Umstellung leichter hinkriegen.“

Häufiger als andere Eltern geben die mit Migrationshintergrund auch an, dass sie keine Möglichkeit haben, sich zu engagieren. Das liegt teils wohl an der Sprache, bisweilen dürfte es auch an der Jobsituation liegen. Und auch an den Schulen, meint Hopmann: „Wie viele Schulen geben mehrsprachige Informationen? Wie viele setzen sich wirklich mit den Eltern hin? Wie viele Lehrer besuchen die Eltern zu Hause? Immer müssen die Eltern in die Schule kommen.“

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Mit der Bildung zu den Eltern nach Hause zu kommen – genau das war die Idee einer Dortmunder Brennpunktschule, die der Innsbrucker Erziehungswissenschaftler Michael Schratz als Jurymitglied des Deutschen Schulpreises kennengelernt hat: In Kooperation mit der Kommune wurden in jenen Wohnsilos, aus denen die meisten Schüler der Kleinen Kielstraße kommen, Bildungszentren aufgebaut, eine Art früher Kindergarten.

Der Gedanke dahinter, schildert Schratz: „In das Wohnumfeld zu gehen, um den Eltern die Scheu zu nehmen und die Kinder vorzubereiten, damit sie nicht schon benachteiligt in die Schule kommen.“

Eine Idee, die es mitunter auch in Österreich gibt, ist die mit den Nähmaschinen, die Schulen anschaffen, um Mütter in die Schule zu holen. Damit würden Schwellenängste abgebaut, und die Lehrer könnten eine viel stärkere Beziehung zu den Kindern und ihren Eltern aufbauen, sagt Schratz. „Gerade benachteiligte Eltern brauchen möglichst niederschwellige Zugänge. Wenn sie einzeln zu den Lehrern kommen müssen, tun sie sich eher schwer.“

Eltern werden beschämt

Maria Wolf, die ebenfalls Erziehungswissenschaftlerin in Innsbruck ist, bestätigt das. Sie hat sozioökonomisch benachteiligte Eltern von Volksschülern über ihr Verhältnis zur Schule befragt. „Viele dieser Eltern haben die Erfahrung gemacht, dass sie im Kontakt mit der Schule immer den Kürzeren ziehen“, sagt sie. „Es ist überhaupt nicht so, dass sie kein Interesse an der Schule haben. Aber viele haben schon resigniert, was den Kontakt mit der Schule angeht.“

„Diese Familien entsprechen oft nicht der Schulkultur – also dem, wie man in der Schule auftritt, wie man dort spricht“, sagt Wolf. Und das würden viele auch deutlich erleben: Sie bekämen den Eindruck, als ärmere Eltern, weniger gebildete, Migranten, „nicht die richtigen Eltern“ zu sein. „Sie fühlen sich in der Schule sozial abgewertet und beschämt. Und viele von ihnen ziehen daraus die Konsequenz, nicht mehr hinzugehen.“

Das Kernproblem: Diese Eltern könnten schlecht vermitteln, was sie sagen möchten. Und hätten das Gefühl, sich nicht verständlich machen zu können. „Viele der Eltern, die sich von der Schule nicht ernst genommen fühlen, wünschen sich, dass sie jemand dorthin begleitet“, sagt Wolf: eine Art Moderator.

Die Erziehungswissenschaftlerin plädiert dafür, sich grundsätzlich Gedanken zu machen, wie viel Elternengagement gewünscht ist. „Es spricht auch vieles für das Modell einer strikten Trennung von Familie und Schule – in dem die Schule ihre Aufgaben auch ohne Eltern leisten kann.“ Und wenn man sich für eine Zusammenarbeit entscheidet – wie in Österreich –, müsse man diskutieren, was nötig sei, damit diese funktioniere.

Nicht zuletzt sei das die Ausbildung der Lehrer: Studierende würden derzeit nicht für Elterngespräche ausgebildet. „Es wäre wichtig, dass die nächste Lehrergeneration eine sorgfältige Schulung über Elternkontakt und Familien in unserer Gesellschaft erhält.“

AUF EINEN BLICK

Umfrage. Im Rahmen des niederösterreichischen Schulevaluationsprojekts Noesis wurden zwei Mal 1500 Eltern befragt, einmal von Volksschülern (2010/11) und einmal von Schülern in der achten Schulstufe (NMS, Hauptschule, AHS). Diese Daten wurden nun ausgewertet. Mit Noesis wird die niederösterreichische Neue Mittelschule evaluiert. Geleitet wird es vom Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2015)

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