NMS: "Schreibtischtäter wollten Schwächen nicht sehen"

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Lehrervertreter Kimberger kritisiert, dass in den Neuen Mittelschulen sehr gute und sehr schlechte Kinder zu wenig gefördert werden. Trotzdem will er nicht zurück zur Hauptschule.

Die Presse: Die Evaluierung zeigt, dass die NMS nicht besser ist als die Hauptschule, obwohl viel mehr Geld hineingesteckt wird. Waren die Hauptschulen so gut – oder sind die NMS so schlecht?

Paul Kimberger: Die Hauptschulen waren gut. Und die NMS sind gut. Die Praktiker wissen aber schon lange, dass es natürlich im Bereich der NMS auch Schwachstellen gibt, die die sogenannten Schreibtischtäter und Theoretiker nicht gesehen haben bzw. bis heute nicht sehen wollen.

Wo sind diese Schwachstellen, von denen Sie sprechen?

Kimberger: Die Bildungsstandards haben uns gezeigt, dass die NMS ohne Weiteres bei den Spitzenleistungen mitkann, das Problem ist die Inhomogenität nach unten, verknüpft mit den Herausforderungen Migration und Integration. Denn die haben wir nur in diesem Schultyp. Und Teamteaching ist kein Allheilmittel. Es gibt Bereiche, wo es gut funktioniert. Aber wir brauchen ganz dringend die Möglichkeit zu differenzieren.

Zurück zu Leistungsgruppen?

Kimberger: Das muss man nicht Leistungsgruppen nennen - man könnte auch temporär differenzieren. Durch die Inhomogenität können wir einerseits die Talente nicht richtig fördern und andererseits können wir uns um die Defizite nicht entsprechend kümmern. Das mag den Sozialromantikern nicht passen, die dauernd mit einer rosaroten Brille herumlaufen und das Motto "die Schwachen lernen von den Guten und umgekehrt" hochhalten. Es müsste jedes Kind individuell gefördert werden.

Würden hier zwei Lehrer für zwei Leistungsgruppen reichen?

Kimberger: Wir brauchen mehr Differenzierung, mehr Förderung und kleinere Gruppen, in denen wir uns um die Talente und die Defizite kümmern. Das hat in den alten Hauptschulen doch sehr sehr gut geklappt und wird momentan einfach nicht zugelassen, weil gewisse Superpädagogen der Meinung sind, Teamteaching sei die einzig moderne Pädagogik. Dem kann ich nichts abgewinnen. Wir brauchen eine Möglichkeit zu differenzieren.

Waren denn die Leistungsgruppen das Gelbe vom Ei?

Kimberger: Es gibt das Allheilmittel in der Pädagogik nicht. Daher muss Schluss sein mit dieser Dauerbevormundung vonseiten des Minoritenplatzes (Sitz des Unterrichtsministeriums, Anm.) und vonseiten der Schulbehörden. Wir müssen den Schulen die pädagogische Freiheit geben, am Standort selbst zu entscheiden, was das Beste ist.

Zum Teamteaching: Da hätten Lehrer aus höheren Schulen kommen sollen. Aber nur in wenigen Fällen ist das tatsächlich passiert.

Kimberger: Das ist natürlich eine Frage der Quantität. Wenn ich einen Schulversuch über Nacht ins Regelsystem kippe, kann ich mir ausrechnen, dass ich nicht flächendeckend Bundeslehrer in allen NMS einsetzen kann. Nebenbemerkung: Die pädagogische Benefit bei manchen Bundeslehrern war sowieso nicht sichtbar.

Ist auch das neue Notensystem ein Flop?

Kimberger: Es ist nicht transparent, keiner kennt sich aus. Und sogar jene, die es erklären sollten, können es nicht erklären. Dieses siebenteilige Notensystem ist absolut untauglich, es ist schädlich.

Im Bericht steht auch, dass nur wenige Lehrer das Konzept und die Idee der NMS so umgesetzt haben, wie es gedacht war.

Kimberger: Die Umsetzung eines neuen Konzepts geht im Bereich der Schule nicht von heute auf morgen. Das sind sehr langfristige Prozesse. Wir sind hier noch nicht fertig. Deshalb kann ich dem nichts abgewinnen, wenn jetzt gesagt wird: Gut, die Erwartungen sind nicht erreichbar, das Ganze gehört jetzt abgedreht. Die Defizite müssen wir beheben, gewisse Dinge müssen wir ändern. Insgesamt bin ich der Meinung, dass sich im Bereich der Lernkultur schon vieles positiv entwickelt hat. Das ist ein guter Ansatz, auf dem man aufbauen kann.

Ausbaustopp oder Rückbau, wie es im Sommer ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka gefordert hat, ist keine Option.

Kimberger: Reinhold Lopatka ist kein Bildungsexperte. Ich kann dieser Meinung nichts abgewinnen, im Gegenteil: Wir müssen die Dinge weiterentwickeln.

Stehen die Lehrer dahinter? Wollen die diesen Schultyp weiterentwickeln?

Kimberger: Es gibt unter den Lehrern totale Verfechter, aber auch eine beträchtliche Gruppe von Skeptikern. Und irgendwie haben alle Recht.

Wird die NMS nicht immer eine Art Restschule bleiben, solange das Gymnasium besteht?

Kimberger: Ich kann das so betrachten: Wir haben im ländlichen Bereich Schulen, die ganz starke Hauptschulen waren und jetzt ganz starke NMS sind. Die haben nichts an Qualität eingebüßt. Aber wir haben in den Zentralräumen die Tendenz, dass wir in der AHS-Unterstufe eine undifferenzierte Gesamtschule haben, vom hochbegabten bis zu Kindern mit Defiziten.

Was bleibt dann für die NMS?

Die großen Herausforderungen Migration und Integration. Und das ist eigentlich eine Situation, die mich ganz unglücklich macht. Und hier gilt es auch nachzudenken über die Aufgaben der unterschiedlichen Schultypen.

Die FPÖ hat die Bildungsministerin als rücktrittsreif bezeichnet. Was sagen Sie?

Das kann ich aufgrund des Berichts nicht erkennen. Da kann man ihr sicher andere Dinge vorwerfen, Stichwort Zentralmatura und andere Hoppalas und Fettnäpfchen, in die sie hinein gesprungen ist. Ich gehe davon aus, dass es auch ihr Wunsch ist, die richtigen Konsequenzen aus dem Bericht zu ziehen.

Paul Kimberger ist Vorsitzender in der Gewerkschaft der Pflichtschullehrer (FCG)

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