Die Matura erfährt seit der Einführung 1849 derzeit ihren größten Wandel. Ein Rückblick.
Wien. Der kommende Dienstag markiert für Österreichs Bildungstradition eine Zäsur: Die Matura erfährt die größte Änderung seit ihrer Einführung. Die österreichische Reifeprüfung oder Matura (von lat. maturitas, die Reife) geht auf Unterrichtsminister Leo Thun-Hohenstein zurück, der 1849 mit der Matura die Zugangsvoraussetzung für die Uni schuf. Das damals sechsjährige Gymnasium, dem ein zweijähriger philosophischer Lehrgang zur Erlangung der Uni-Reife folgte, wurde in das – bis heute bestehende – achtjährige Gymnasium umgewandelt, das mit der Matura zum Studium berechtigt.
Um die einzelnen Maturafächer wurde zwischen Kirche und Staat heftig gestritten. Die erste Reifeprüfungsvorschrift legte fest, dass schriftlich in Deutsch, Mathematik, Latein sowie Griechisch maturiert werden musste. Mündlich waren allerdings nicht drei, sondern sechs Fächer vorgeschrieben (Literatur der Muttersprache, Latein, Griechisch, Mathematik, Naturgeschichte/Physik und Geografie/Geschichte). Nach einigem Herumexperimentieren (so wurde der mündliche Prüfungsstoff zwischenzeitlich in manchen Fächern auf das letzte Semester der achten Klasse beschränkt) einigte man sich 1908 auf eine bis heute geltende Festlegung: Neben drei schriftlichen Pflichtfächern – heute Deutsch, Mathematik und meist Englisch – müssen die Schüler aus dem Kanon der Gegenstände noch vier für die mündliche Prüfung wählen. Dieses Konzept wurde später für die berufsbildenden höheren Schulen angepasst. Übrigens: Auch die mit der Zentralmatura eingeführte vorwissenschaftliche Arbeit ist keine neue Erfindung. In der Zwischenkriegszeit gab es ein ähnliches Modell. Der Widerstand der Lehrer brachte das aber zum Kippen.
Matura verliert ihre Exklusivität
Lange war die Matura das einzige Sprungbrett für eine nachfolgende Universitätslaufbahn. Freilich gab es Ausnahmen, also Studierende, die ohne Matura Uni-Karrieren machten. In Deutschland war etwa Albert Einstein ein derartiger Fall, in Österreich der im Vorjahr verstorbene Spitzenphysiker Walter Thirring, der wegen der Kriegsereignisse zu keinem Gymnasialabschluss kam. In Österreich büßte die Matura das Alleinstellungsmerkmal, zum Uni-Studium zu qualifizieren, nach und nach ein. In den 1980er-Jahren wurde mit dem Schlagwort „Studieren ohne Matura“ die Berufsreifeprüfung eingeführt, die den Uni-Besuch in jenem Studienbereich ermöglichen sollte, in dem der Lehrabschluss absolviert wurde. Eine weitere Umgehung der Matura sollte 1993 mit der Gründung der ersten Fachhochschulen erfolgen. Ex-Wissenschaftsminister Erhard Busek wies explizit darauf hin, dass auch Lehrlinge in eine FH aufgenommen werden sollten, nach Möglichkeit bis zu 20Prozent. Erreicht wurde das Ziel nicht. Seit 2005 werden außerdem immer mehr Zugangstests an Unis durchgeführt. Matura allein reicht also meist nicht mehr.
Den Anstoß für den Wandel zur Zentralmatura gab 2003 übrigens nicht eine der Bildungsministerinnen, sondern die Wiener Stadtschulratspräsidentin, Susanne Brandsteidl (SPÖ). (ewi/red.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2015)