Abschied von der ganz individuellen Reifeprüfung

65 Jahre nach der eigenen Matura: Thomas Chorherr, früherer „Presse“- Chefredakteur, im Akademischen Gymnasium in Wien.
65 Jahre nach der eigenen Matura: Thomas Chorherr, früherer „Presse“- Chefredakteur, im Akademischen Gymnasium in Wien.Die Presse
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Viele ganz unverwechselbare Erlebnisse wie den Zweikampf zwischen Schüler und Lehrer wird es in der Form nicht mehr geben. Erinnerungen aus sieben Jahrzehnten.

Die Geschichten unserer Reifeprüfung begleiten uns oft ein Leben lang. Manche Maturanten müssen die Klausur in ihren Träumen noch jahrelang wiederholen, was selten erfreulich ist. Die Erzählungen aber, die Geschichten an der Schwelle zwischen offensichtlicher Unreife und bezeugter Reife, sind fast immer von Humor getragen. Man nimmt das jüngere Ich auf und gleichzeitig in den Arm.

Diese Anekdoten über die „alte“ Matura sind stets individuell, obwohl sie doch alle die gleichen Komponenten haben: Es gibt einen Schüler (den Helden der Geschichte), einen Lehrer (oft Bösewicht, manchmal Retter) und die Fragen. Erzählt wird etwa vom Prüfling, den sein Lehrer unbedingt durchfallen lassen wollte, der aber gerade deshalb eine brillante Leistung lieferte. Oder von der Schülerin, die während ihrer Matura gleich noch die Arbeiten der Freunde korrigierte. Es gibt aber auch den Schüler, der in Religion durchfiel, obwohl ihm der Lehrer die Frage vorab verriet – was sich der Kandidat Jahre später noch immer nicht erklären kann.


Lehrer verliert an Bedeutung. So unverwechselbar werden die Geschichten der zukünftigen Maturanten nicht mehr sein. Denn der Faktor Lehrer, der in den alten Geschichten eben oft der Bösewicht, manchmal aber auch der Held war, wird mit der Zentralmatura, die am nächsten Dienstag verpflichtend an den Gymnasien startet, weit weniger Bedeutung haben. Die schriftlichen Aufgaben werden vom Bundesinstitut für Bildungsforschung erstellt, die Daten sind mehrfach verschlüsselt und die Aufgabenhefte werden in versiegelten Kuverts per Sicherheitstransport in die Schulen gebracht.

Bei der mündlichen Prüfung werden die Fragen zwar nicht zentral vorgegeben, aber die Themenbereiche von allen Fachlehrern des jeweiligen Gegenstandes festgelegt. Der prüfende Lehrer muss dazu dann eine bestimmte Anzahl konkreter Fragestellungen erarbeiten.

Die Matura hat sich aber auch vorher schon stark verändert: Sie wurde vom Privileg weniger zur Pflicht vieler. Mittlerweile maturieren rund 44 Prozent eines Jahrgangs, im Jahr 2033 dürften es mehr als die Hälfte sein.


Der Initiationsritus bleibt. Was bleiben wird, ist der Charakter der Prüfung als Abschluss – und als Startschuss in die Welt der Erwachsenen. Die Matura ist ein Initiationsritus, und in der Erinnerung an die Prüfung wollen wir uns stets auch beweisen, wie klug wir schon damals waren. Nur dass dies – wohl in den meisten Fällen – freilich gar nicht der Fall war. Wer es nicht glaubt, der möge seine alten Matura-Arbeiten einsehen. Es ist ein Unterfangen, das am Ende doch wieder schlechte Träume bescheren kann.

"Sie hatten schon alle Lehrer weggeholt"

Rosa Kaufmann (88) hat im Krieg maturiert. Die Matura empfand sie als eigenartig – in manchen Fächern ersparten sich die Lehrer einfach die Prüfung.

Als eine „sehr sonderbare Sache“ hat Rosa Kaufmann ihre Matura in Erinnerung. Zumal gar nicht klar war, ob sie sich noch ausgehen würde. „Ich habe im Krieg maturiert, im Jahr 1944“, erzählt die 88-Jährige. „Man wollte uns ursprünglich gar keine achte Klasse mehr zugestehen.“ Nachdem die Lehrerinnen in der höheren Mädchenschule in der Novaragasse im zweiten Wiener Gemeindebezirk „einen Aufstand machten“, klappte es letztlich doch noch. „Dann haben sie uns zwei Trimester zugestanden. Wir haben ein Trimester verloren, damit wir rechtzeitig in den Arbeitsdienst kommen.“ Kaufmanns Maturazeugnis datiert also nicht wie üblich vom Frühjahr – sondern vom 11. Februar 1944.

„Die Matura selbst war eigenartig“, erzählt Kaufmann, die später Jus studierte und in der volkswirtschaftlichen Abteilung einer Bank arbeitete. „Eigentlich waren es nur etwas längere Schularbeiten, das war es dann.“ Schriftlich hat sie in Deutsch, Mathematik und Latein maturiert. Maturakommission gab es aber keine, „weil man gar keine mehr zusammengebracht hätte“. Die Lehrerin und der Direktor hätten die Prüfungen abgenommen, wenn möglich eine zweite Lehrerin. „Abgesehen vom Direktor waren es nur noch lauter Lehrerinnen. Die Männer hatten sie schon alle weggeholt, für den Krieg.“

Kaum mündliche Prüfungen. Mündlich habe sie nur in Mathematik maturiert, erzählt Kaufmann. „In den übrigen Fächern haben die Lehrerinnen bloß auf die Jahresschnitte der Oberstufe geschaut und danach die Noten bei der Matura gegeben“, erinnert sie sich. „,Kinder‘, haben sie gesagt: ,Jetzt kennen wir euch schon so lange: Wir wissen, was ihr könnt. Wir sparen uns die Zeit.‘“ Sie habe gut abgeschnitten. „Ich war immer eine Vorzugsschülerin, obwohl ich mich bemüht habe, das zu verheimlichen.“ Es waren widrigste Bedingungen, unter denen sie die Schule besuchte: Fliegeralarm, ausgefallene Stunden. „Aber wir haben alle unsere Frau gestellt.“(beba)

"Der Lehrer hat die Fragen verwechselt"

Franz Thalhammer (69) wollte bei der Matura brillieren. Seine Kollegen auch – doch manchen wurde ein chaotischer Lehrer zum Verhängnis.

Franz Thalhammer und seine Klassenkameraden empfanden es als Auszeichnung, das Akademischen Gymnasium in Linz besuchen zu dürfen. „Es war quasi eine Eliteschule, und wir wollten bei der Matura auch entsprechend brillieren“, erzählt der spätere Arzt. Einige seiner Kollegen bekamen dafür auch eine etwas „unfaire Chance“, wie Thalhammer erzählt. Der Musiklehrer der Klasse war als einziger Lehrer dafür bekannt, dass er stets Tipps zu den Fragen der mündlichen Matura gab. Wer das Fach wählte, musste also nicht die gesamte Musikgeschichte lernen. Doch bei der mündlichen Prüfung gab es plötzlich „bleiche Gesichter“, denn der Lehrer, der ein „verschrobener Künstler war“, hatte die Fragen verwechselt.

Für diejenigen, die ohne ungerechten Vorteil in die Prüfungen gingen, war das „eine Gaudi“, ums Durchfallen ging es ja auch gar nicht, sagt Thalhammer. Aber eine herausragende Leistung zu erbringen, wie sie es sich gewünscht hätten, konnten die Kollegen eben nicht.


Religiöser Zündstoff bei der Prüfung. Auch an seine eigene mündliche Prüfung kann sich Thalhammer noch gut erinnern – von den Beispielen in Mathematik bis zur Auseinandersetzung in Religion. Hier hatte der Lehrer ihm süffisant – „weil ich ein sehr lästiger Mensch war“ – die Mariendogmen gegeben. Im Wissen, dass bei diesem Zündstoff bei der Prüfung wohl ein Streitgespräch entstehen würde, was auch tatsächlich so war. Thalhammer denkt gern zurück: „Wir wurden fachlich nicht auf das Leben vorbereitet, aber wir waren bei der Matura wirklich allgemein gebildet. Das halte ich auch für wesentlich wichtiger. Wenn man weiß, worüber sich die Leute vor tausend Jahren den Kopf zerbrochen haben, weiß man auch, dass sich nicht viel ändert.“ Demnächst steht das 50-Jahr-Jubiläum bevor. Über die bleichen Gesichter der Musikmaturanten wird man wohl auch dort noch lachen. (rovi)

"Manche Lehrer haben sich vor mir gefürchtet"

Für Rainer Münz (60) war es emotional schwer zu begreifen, dass die Schulzeit mit der Matura endet. Er wäre freiwillig noch länger in die Schule gegangen.

Nervös war Rainer Münz vor seiner Matura schon. Allerdings nur aus Ehrgeiz: Er fürchtete, er könne vielleicht in irgend einem Fach einen Zweier bekommen. Die Furcht war umsonst, er schloss wie erwartet mit Auszeichnung ab. Wen wundert es, hat Münz doch während seiner Schulzeit den Brockhaus auswendig gelernt. Er hatte ein derart breites Wissen, dass sich manche Lehrer am Akademischen Gymnasium in Wien vor ihm fürchteten, wie er sagt.

Die Lehrer versuchten auch offensiv, den Schülern einen zumindest sehr selbstbewussten Blickwinkel mitzugeben. „Es hieß, wir seien die zukünftige Elite des Landes und müssten uns auch dementsprechend benehmen. Würden Lehrer das heute zu ihren Schülern sagen, gäbe es wohl Gelächter“, erzählt Münz. Aber die Matura war damals die Ausnahme, den Schülern standen – besonders nach einem Akademischen Gymnasium – zumeist glänzende Karrieren bevor. Und für die Lehrer sei der Hinweis auf die große Zukunft der Schüler wohl auch eine Selbstaufwertung gewesen.


Keine Vorbereitung auf den Tag danach. Der Schritt in die weitere Zukunft fiel Münz nicht ganz leicht: „Ich wäre freiwillig noch ein paar Jahre zur Schule gegangen“, sagt er. „Wir wurden viele Jahre auf die Matura vorbereitet, aber es gab keine Vorbereitung auf den Tag danach.“ So ging der spätere Uni-Professor einfach am Tag nach seiner Reifeprüfung wieder zur Schule – und setzte sich in das nahe Stammcafé. Dasselbe tat er wieder und wieder, um den Alltag Schule nicht ganz zu verlieren. Wie er schließlich damit abschließen konnte? Er ging in die Teinfaltstraße und beantragte am australischen Konsulat ein Visum. Und nach einem kurzen Urlaub in der Schweiz flog er – wenige Wochen nach der Verteilung der Maturazeugnisse – nach Australien, wo er im Lagerhaus einer chemischen Fabrik arbeitete. Wenig später allerdings startete er eine universitäre Karriere. (rovi)

"Die Lehrerin bat mich leise um Hilfe"

Bruni Krivda (48) erfuhr bei ihrer Matura das Mitleid einer Lehrerin mit einem Klassenkameraden ebenso wie die Rachegelüste eines Lehrers.

Bei ihrer schriftlichen Mathematikmatura saß Bruni Krivda im Turnsaal, auf jeden Platz war Traubenzucker gelegt worden. Die Schüler saßen weit entfernt voneinander, schummeln war für die Schwächeren unmöglich. Doch während die Kärntnerin noch konzentriert über den Arbeitsblättern saß und rechnete, kam plötzlich eine Lehrerin, die selbst nicht Mathematik unterrichtete, aber Aufsichtsperson war. „Sie flüsterte, dass es einem Schüler schlecht ging und fragte, wie ein bestimmtes Beispiel zu lösen wäre. Also zeigte ich ihr den Rechenweg vor“, erzählt die Kärntnerin, „und sie gab es weiter.“ Welcher Schüler die Lehrerin zu Krivda geschickt hat, die in Mathematik zu den Besten gehört, hat sie nie erfahren.

Sie bestand Mathematik mit einem Sehr gut. Auch bei der mündlichen Matura schnitt sie gut ab, obwohl ihr ein Lehrer etwas heimzahlen wollte. Sie sollte eine Strafe dafür bekommen, dass sie die Benotungskriterien eben dieses Lehrers bei der weit zurückliegenden Prüfung einer anderen Schülerin kritisiert hatte. Was der Lehrer im Nachhinein auch unumwunden zugab.

Eine weiße Fahne als Zeichen dafür, dass alle die Matura bestanden hatten, konnte die HAK Villach schließlich trotzdem nicht hissen, erzählt Krivda, die nach der Matura als Buchhalterin arbeitete und später noch Handelswissenschaften studierte.


Spekulationsgeld für die Maturareise. Es gab eine Maturareise nach Kreta, für die der Klasse auf einem recht ungewöhnlichen Weg Geld zugeschossen worden war: Schon in der fünften Klasse bekamen sie 100.000 Schilling Kapital von der Länderbank, um damit zu spekulieren. „Es hieß: Wenn es weg ist, ist es weg. Aber wenn ihr Gewinn macht, dürft ihr ihn euch behalten.“ Die Schüler machten in drei Monaten 10.000 Schilling Gewinn, das war für ihre Verhältnisse relativ viel Geld. So konnte der Großteil der zweiwöchigen Maturareise bezahlt werden. (rovi)

"Ich habe einfach alles auswendig gelernt"

Doris Zöser (41) hatte bei ihrer Matura ihre Probleme mit Rechnungswesen. Dafür lieferte sie bei den mündlichen Prüfungen eine Show ab.

Dass sich Doris Zösers Schwierigkeiten in Rechnungswesen ganz und gar nicht in ihrer Maturanote spiegelten, liegt an einer Lernmethode, die bei der Zentralmatura nicht mehr viel bringt: „Ich habe einfach alles auswendig gelernt“, erzählt die 41-Jährige. Das System Rechnungswesen habe sie bis zuletzt nicht verstanden – und trotzdem hatte sie ein Gut oder Sehr gut („Genau erinnere ich mich nicht mehr“) bei der Matura. Die Lehrerin sei jedenfalls ziemlich hart gewesen. „Bei der war wirklich Drill, Drill, Drill.“ Und die ganze Klasse, die da 1993 in der BHAK Wien10 in Favoriten maturierte, habe „unendlich gestrebert, weil alle Angst hatten.“

Nicht in allen Fächern war es ganz so hart wie in Rechnungswesen – Mathematik vielleicht noch („Da hatte ich regelmäßig Blackouts, da habe ich immer ein bisschen zu den anderen rüberschauen müssen“). „Ich glaube, es war damals schon auch viel zu tun – aber da war nicht so viel Angst und Druck wie heute“, meint Zöser, die inzwischen selbst Lehrerin ist – auch an der HAK. „Jetzt ist das alles so eng, viele denken nur noch um dieses Thema herum. Zu meiner Zeit war die Matura nur ein Teil dieses Jahres – und sonst war es Party, Tanzschule, Bälle.“


Star bei der mündlichen Matura. Ehrgeizig war sie trotzdem: „Was ich schon im Fokus hatte: Ich wollte auf jeden Fall mit gutem Erfolg die Matura machen“, sagt Zöser. Daran, dass das klappen würde, hatte sie keine Zweifel. „Mündlich habe ich eine volle Show abgeliefert“, erzählt sie. „Ich habe geredet, einfach so, wie ich halt bin, und frei von der Leber weg, auf Deutsch und Französisch. Da war ich sicher der volle Star.“ Letztlich bestand die Vorsitzende gegen den Willen der Lehrerin auf einem Einser in Französisch – und Zöser maturierte mündlich mit lauter Sehr gut.

Auch beim Rechnungswesen machte es übrigens Klick – auch, wenn es damit in der Schule nicht so recht klappen wollte, erzählt Doris Zöser. „Im Wirtschaftspädagogikstudium habe ich dann begonnen, es zu verstehen.“ (beba)

"Wenn man gut ist, verzeiht der Lehrer viel"

Emanuel Pesendorfer (28) war einer der Ersten, die bei der Matura Powerpoint verwendeten. Die Lehrer
waren hellauf begeistert.

Als Emanuel Pesendorfer seine Fachbereichsarbeit im Fach Chemie präsentierte, erntete er bewundernde Blicke von allen Anwesenden. Nicht wegen des Inhalts der Arbeit, die ein ganzes Prüfungsfach ersetzte, sondern deshalb, weil an seinem Gymnasium sonst der Overheadprojektor das modernste Hilfsmittel war. „Der Präsentationsmodus wäre wohl schon ausreichend gewesen, um ein Sehr gut zu bekommen“, sagt Pesendorfer. 2005, als er maturierte, sei man noch an schlichte mündliche Vorträge gewohnt gewesen. Dabei war es für ihn mit Powerpoint sogar leichter, den roten Faden nicht zu verlieren. Seine Arbeit über Neurotransmitter recherchierte er aber noch ganz klassisch in Bibliotheken: „Online-Recherche gab es noch nicht wirklich, heute würde man so eine Arbeit wohl anders angehen.“ Pesendorfer ging sogar auf die Universität, um einen Professor um Rat zu fragen.


Lehrerin rettet Schüler. Der Grafikdesigner maturierte im heutigen Erich-Fried-Realgymnasium im neunten Wiener Gemeindebezirk, einer Schule, die einen liberalen Ruf hatte. Zwar hatte er zur Sicherheit bei der schriftlichen Matura einen Schummelzettel am Klo liegen wie viele andere, er benötigte ihn aber nicht. Dabei hatte er im Fach Mathematik einen plötzlichen Aussetzer: „Als ich die Angabe eines Beispiels gelesen habe, wusste ich nicht mehr, ob ich davon jemals etwas gehört hatte. Ich hatte das Gefühl, dass dieses Thema irgendwann, als ich mal zwei Tage krank war, durchgenommen worden sein musste. Ich bin dann fünf Minuten so dagesessen und dann habe ich die Lehrerin gerufen.“

Von der bekam er schließlich auch Hilfe, sie lenkte ihn zumindest sehr stark zum richtigen Rechenweg hin. „Ich verdanke der Lehrerin meinen Einser-Durchschnitt“, erzählt Pesendorfer. „Sie wusste ja, dass ich immer ein sehr guter Schüler war. Und wenn man gut ist, verzeiht der Lehrer sehr viel.“ (rovi)

"Wir haben unsere Maturareise noch vor der Matura gemacht"

Thomas Chorherr (82) fuhr mit seiner Klasse schon im April nach Italien. Und mit einem Kollegen, den er abschreiben ließ, dann noch einmal in die Schweiz.

Eine italienische Reise „frei nach Goethe“, hätten sie als Maturareise angetreten, erinnert sich Thomas Chorherr: Rom, Venedig, Neapel, Florenz. Das Ungewöhnliche: „Wir haben die Reise noch vor der Matura gemacht.“ Mit dem Lateinlehrer, der gleichzeitig der Klassenvorstand war, fuhr die ganze Klasse des Akademischen Gymnasiums im ersten Wiener Gemeindebezirk – damals eine reine Bubenschule – im April 1950 für zwei Wochen nach Italien. „Und zwar, damit die, die vielleicht nachher durchfallen, die Reise noch mitmachen können“, erzählt der frühere „Presse“-Chefredakteur und -Herausgeber. Vier oder fünf der Burschen hätten die Prüfung im Juni tatsächlich nicht geschafft – aber: Bei der Maturareise waren sie dabei.

Thomas Chorherr selbst hatte da keine Befürchtungen. Vielleicht, weil er doch immer ein ganz guter Schüler war. „Ich hatte nie einen Vorzug, aber ich war immer im oberen Drittel.“ Generell sei die achte Klasse lockerer gewesen als die anderen. „Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Freunde und ich aufgeregt gewesen wären. Das klingt jetzt blöd, aber wir haben uns darauf verlassen, dass wir es schon machen werden. Und ich persönlich war sowieso immer ein Optimist.“

Schwierige Zeiten. Obwohl seine Schulzeit in schwierige Zeiten fiel. „Die ersten Jahre im Gymnasium waren immer unterbrochen durch Fliegeralarme, dann wurde die Schule in Wien gesperrt und ich kam 1942 in ein Gymnasium nach Hollabrunn.“ Zwei Jahre später hätten die Eltern ihn und seinen Bruder nach Wien zurückgeholt. „Sie meinten: ,Wenn wir schon alle sterben, dann zusammen.‘“

Maturiert hat Chorherr schriftlich in Deutsch, Latein, Griechisch und Mathematik, mündlich in Geografie, Philosophie und „ich glaube Deutsch“. In Mathematik überraschte er sich selbst: „Da hatte ich immer Dreier – bei der Matura einen Zweier. Und ich habe sogar einen Kollegen abschreiben lassen.“ Mit dem machte er noch eine zweite Maturareise: mit dem Fahrrad in die Schweiz. (beba)

Lexikon

Erstmals durchgeführtwurde die Matura (von lat. maturitas, die Reife) im Jahr 1850. Um die Fächer stritten Kirche und Staat zuvor heftig. Es musste schriftlich in Deutsch, Mathematik, Latein und Griechisch maturiert werden.

Am Dienstag startet mit dem Fach Deutsch die Zentralmatura an den AHS. Die Aufgaben werden vom Bundesinstitut für Bildungsforschung (BIFIE) vorgegeben. Es ist die größte Änderung der Matura seit ihrer Einführung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2015)

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