"Man kann im Vorhinein keine Noten festlegen"

Josef Lucyshyn
Josef LucyshynClemens Fabry
  • Drucken

Trotz größter Sorgfalt könne man Zwischenfälle bei der Zentralmatura nie ausschließen, sagt der einst zuständige Ex-BIFIE-Chef Josef Lucyshyn.

Heute, Dienstag, startet die Zentralmatura. Fünf Stunden haben die AHS-Maturanten Zeit, die Aufgaben im Fach Deutsch zu bearbeiten. DiePresse.com hat mit dem einst für die Zentralmatura zuständigen Ex-BIFIE-Chef Josef Lucyshyn über die stark kritisierte Vorbereitung der Reform gesprochen. 

Die Presse: Glauben Sie, dass die heute startende Zentralmatura nach all den Zwischenfällen bei der Generalprobe reibungslos über die Bühne gehen wird?

Josef Lucyshyn: Bei der Entwicklung, der Testung, der Auswahl und der Lagerung sowie beim Druck der Beispiele und deren Auslieferung ist nach menschlichem Ermessen ein Höchstmaß an Sicherheit hergestellt worden. Man kann nicht mehr machen als die Beispiele in Panzerwagen zuzustellen.

Was kann dann eigentlich noch schief gehen?

Es könnten in den Schulen aus den gesicherten Räumen Aufgaben gestohlen werden. Das ist ein möglicher Risikofaktor. Für Ersatzthemen ist aber auch für diesen Fall Vorsorge getroffen worden: die Prüfungsaufgaben stünden für einen Download bereit.

Bisher waren nie die Schulen, sondern stets das BIFIE für die Zwischenfälle – Stichwort fehlende Angabezettel – verantwortlich.

Man wird trotz größter Sorgfalt nie ausschließen können, dass bei den Aufgabenpaketen irgendwo ein falscher Zettel hineingepackt wird. Für diese Fälle ist Vorsorge getroffen worden. Schulen wissen, was sie in dem Fall machen müssen.

Bei der Generalprobe in Deutsch wurde ein Text mit NS-Ideologie vorgelegt. Das ist wohl kein Fehler, der einfach passieren kann.

Natürlich muss man bei der Auswahl von Aufgaben sehr sensibel umgehen, sie inhaltlich, nach gesellschaftspolitischer Relevanz und sprachlicher Qualität usw. überprüfen. Das ist ein Lernprozess. Klar ist aber auch, dass es an der Auswahl von Aufgaben immer Kritik geben wird. Irgendjemandem wird immer eine Aufgabenstellung nicht passen. Das kann bis zu einem hysterischen Hype – wie eben bei der Deutschzentralmatura im Vorjahr – getrieben werden. Der Text war zweifelsohne ein Fehlgriff, aber zur Verteidigung des BIFIE muss man sagen, dass diese Beispiele schon davor in vom Ministerium approbierten Lehrbüchern gestanden sind. Das hat die IG Autoren und diverse Fachexperten nicht aufgeregt. Erst bei der Zentralmatura meldeten sie sich zu Wort. Als Konsequenz in dieser Frage empfehle ich eine verstärkte Endkontrolle, um die Qualität bestmöglich zu sichern.

Sind die Pannen Ihrer Meinung nach also gar nicht so schlimm?

Ich habe mir die Entwicklung von zentralen Reifeprüfungsmodellen in anderen Ländern angesehen. Und da muss man sagen: Wir hatten in Österreich bisher vergleichsweise wenig Pannen. Vor allem angesichts dessen, dass wir das Projekt, für das andere Länder zehn bis 15 Jahre brauchten, innerhalb von vier Jahren aus dem Boden gestampft haben. Was in Österreich auffällt, ist, dass die Pannen, die passiert sind, ungeheuerlich aufgebauscht wurden – von den Medien, den Politikern und von den Gruppen, die sich gegen die Zentralmatura bis zuletzt zu wehren versuchten.

Hätte man sich bei der Einführung der Zentralmatura mehr Zeit lassen sollen?

In Mathematik hätte man noch ein bisschen Zeit brauchen können. Hier gelang die Umstellung des Unterrichtes nicht so rasch, wie man das angenommen hatte. Immerhin hat das dazu geführt, dass der Beginn um ein Jahr verschoben wurde.

Warum ist die Hysterie in Österreich eigentlich gar so groß?

Weil die Hysterie teilweise geschürt wurde. Es hat viele Gruppen gegeben – auch aus dem Bereich der Lehrervertretung –, die gegen die neue Matura opponiert haben. Auch Wissenschaftler, die dem Bildungsbegriff aus der humboldtschen Zeit noch immer nachweinen oder am Projekt nicht mitarbeiten konnten, haben öffentlich gegen die Zentralmatura Stimmung gemacht.

Würden Sie sagen, dass die Zentralmatura ein gelungenes Projekt ist?

Ich möchte es als großen Erfolg bezeichnen, dass die Reifeprüfung in dieser standardisierten Form durchgeführt werden kann. In anderen Ländern – etwa in Ungarn – wurde das Projekt abgebrochen, als die Politik aufgrund der Interventionen kalte Füße bekam. Dass die Zentralmatura optimierbar ist, ist auch keine Frage, das ist ein Prozess, der noch einige Jahre dauern wird.

Was sollte optimiert werden?

Das sollte man sich auf Basis einer Evaluierung nach den ersten beiden Jahren an AHS und BHS anschauen.

Viele rätseln, wie die Matura ausfallen wird. Die Bildungsministerin hat immer darauf hingewiesen, dass sich bei der Notenverteilung nicht viel ändern wird. Warum kann man das schon vorher wissen?

Solche Äußerungen kann nur jemand machen, der von der ganzen Sache wenig Ahnung hat. Man kann im Vorhinein keine Noten festlegen. Wenn sich jemand im Vorhinein überlegt, wie ein ganzer Maturajahrgang abzuschneiden hat, dann bedeute das nichts anderes, als dass dieser Politiker bei der Leistungsbeurteilung intervenieren möchte, wenn das Ergebnis nicht seiner Wunschvorstellung entspricht. Das ist kontraproduktiv, entwertet jede erbrachte Leistung und ist eine Bankrotterklärung seriöser Leistungsmessungen.

Wurde in Ihrer Zeit als BIFIE-Chef interveniert?

In Ergebnisse wurde nicht eingegriffen, in den Prozess sehr oft. Politiker haben Angst vor negativen Ergebnissen und negativen Schlagzeilen – das kann man durchaus verstehen, denn letzten Endes müssen sie eine solche Reform auch politisch verantworten. Das darf aber nicht dazu führen, dass sie mit Versprechungen geringerer Leistungsansprüche die Motivation der Schülerinnen und Schüler mindern und so die Matura entwerten. Ich habe den Eindruck, dass sich alle Beteiligten sehr um einen Erfolg bemühen, und dafür muss man den Lehrerinnen und Lehrern und den Mitarbeiter des BIFIE  auch einmal danken.

Welche Notenverteilung erwarten Sie sich von der Zentralmatura?

Ich kann nur meine persönliche Einschätzung geben: Es wird keine größeren Schwankungen bei den Lebenden Fremdsprachen, Latein und Griechisch geben. In Deutsch erwarte ich ebenso keine gravierenden Änderungen bei den Ergebnissen, weil hier der Beurteilungsspielraum naturgemäß größer ist. In Mathematik könnte es Schwankungen geben – und zwar an jenen Schulen, die überhaupt nicht an der Vorbereitung zur Zentralmatura mitgemacht haben oder sich bisher mit geringen Leistungen zufrieden gaben. Dort könnte es zu positiven oder negativen Überraschungen kommen.

Das BIFIE soll ja reformiert werden und womöglich die Verantwortung für die Zentralmatura an das Ministerium abgeben. Wie beurteilen Sie das?

Das wäre ein fataler Schritt. Man darf nicht davon ausgehen, dass mit den heurigen Aufgabenbeispielen die Arbeit getan ist und man in den kommenden Jahren keine Weiterentwicklung braucht. Es wird weiterhin notwendig sein, dass qualifizierte Prüfungsaufgaben entwickelt und erprobt werden. Insofern ist es nicht ratsam, das BIFIE stillzulegen, denn es ist unrealistisch, dass ein paar Ministerialbeamte die Entwicklung der ganzen Aufgaben übernehmen. Das war übrigens einer der Gründe, warum man seinerzeit das BIFIE ausgegliedert hat. . .

Das BIFIE als reines Forschungsinstitut und der Staat als Verantwortlicher über die Zentralmatura ist für Sie also nicht denkbar?

Denkbar ist in der Politik alles – auch Schlechtes. Ich plädiere für eine sinnvolle Veranwortungsteilung: Das BIFIE sollte weiter die Aufgaben entwickeln, die Verantwortung des Ministeriums sollte dann bei der endgültigen Auswahl der Prüfungsaufgaben zum Tragen kommen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Home

Lehrervertreter: "Maturazeugnis wird weniger wert"

Die erste in Österreich abgehaltene Zentralmatura ist weitgehend unfallfrei über die Bühne gegangen. Ergebnisse solle es nach Pfingsten geben.
Schule

Matura: Latein startet mit Notfallplan

Nach einem Einbruch müssen Schulen mit elektronischen Ersatzaufgaben arbeiten. 1800 Schüler maturieren in Latein.
Schule

Mathematik-Zentralmatura: Leichte Pflicht, textlastige Kür

Sport, Ötzi und Taschengeld waren Themen. Mathematiker halten die Klausur für „in Ordnung“.
Schule

Mathematik-Zentralmatura: "Aufgaben sind sehr textlastig"

Mathematiker Rudolf Taschner findet die Beispiele insgesamt in Ordnung, aber eher sprachlich als mathematisch anspruchsvoll. Ein "Nonsens-Beispiel" sei ärgerlich.
Schule

Mathe früher oft "eingeübte Dressurnummer"

Ob die neue Matura den Unterricht tatsächlich positiv verändert, sei noch offen, sagt Reinhard Winkler. Bisher fehlte oft das Verständnis.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.