Mathematik: "Schüler täuschten Niveau vor, das sie nicht hatten"

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Heute, Montag, steht mit Mathematik bei der Zentralmatura das am heftigsten diskutierte Fach an. Ein Testlauf im Winter fiel sehr schlecht aus.

Wien. Was den Spannungsfaktor angeht, ist die Mathematikklausur, der sich rund 19.100 AHS-Schüler heute stellen, der Höhepunkt des ersten Durchlaufs der Zentralmatura. Kein anderes Maturafach sorgte für ähnliche Kontroversen wie Mathematik. Während die einen einen regelrechten Fünferregen befürchten – nicht zuletzt, weil eine Probeschularbeit im Winter sehr schlecht ausgefallen ist –, beklagen die anderen, dass das Mathematikniveau sinken werde, weil komplexere Aufgaben im Unterricht fehlen würden.

Einen Niveauverlust kann Mathematikdidaktiker Werner Peschek nicht erkennen. Die komplexen Aufgaben, die Maturanten früher angeblich gekonnt hätten, hätten sie gekonnt, weil sie zuvor zehnmal in genau dieser Form geübt worden seien. So hätten sie zum Teil kein Verständnis dafür, was eine Exponentialfunktion eigentlich macht– aber kein Problem, Halbwertszeiten auszurechnen. „Das hat nichts mit mathematischem Können zu tun“, sagt Peschek, der an der Konzeption der Matura beteiligt war.

Die Zentralmatura stelle durch ihren Fokus auf Kompetenzen, auf Verständnis zumindest halbwegs sicher, dass wesentliche – „zugegebenermaßen einfache“ – mathematische Grundlagen bei allen Maturanten vorhanden seien. „Insofern mag es sein, dass es jetzt leicht ist“, sagt der Didaktiker. „Aber ich hätte gern, dass die Maturanten zumindest das Leichte können.“ Ohne diese Basis könne man nicht eigenständig mathematisch tätig sein.

In eine ähnliche Kerbe schlägt die frühere AHS-Lehrerin Christa Koenne: Bisher sei Mathematik oft Routineleistung gewesen. Maturanten hätten gerechnet ohne zu wissen, was sie eigentlich taten. „Sie erzählen bei der Matura das Blaue vom Himmel, aber verstehen es eigentlich nicht. Man hat sie dazu angeleitet, ein Niveau vorzutäuschen, das sie nicht hatten.“ Das sei jetzt nicht mehr möglich. „Die Schüler werden vielleicht weniger punktuelle Höhen erreichen. Aber Schule bedeutet Allgemeinbildung. Und wer diese Fächer dann studiert, hat noch Zeit genug, sich mit den Höhen zu beschäftigen.“

An Realgymnasien leichter

Koenne sagt aber auch: Die Mathematikmatura für alle AHS einheitlich zu gestalten sei ein Fehler gewesen. Die Zahl der Unterrichtsstunden sei je nach Schulform völlig unterschiedlich. Ein neusprachliches Gymnasium habe viel weniger Mathematik als ein Realgymnasium. „Das sollte sich in der Matura wiederfinden“, fordert Koenne. Was die derzeitige Konstellation bedeutet? Unter anderem, dass die Matura für die Schüler an Realgymnasien leichter geworden ist. „Es wäre skurril, wenn es nicht so wäre.“

Das ist aber nicht der Grund, warum Didaktiker Werner Peschek nicht mit dem befürchteten Fünferregen rechnet: Man dürfe sich von den Ergebnissen der Probeklausur nicht irritieren lassen – es sei üblich, dass solche Testläufe schlechter ausfallen als die echte Matura. „Ich bin überzeugt, dass der Österreich-Schnitt gut sein wird.“ Allerdings nicht an allen Schulen.

„An fünf bis zehn Prozent der Schulen wird es größere Probleme geben, wenn die Matura ehrlich und objektiv durchgeführt wird.“ Peschek forderte als „Notfallaktion“ schon einmal provokant, die Notenschlüssel für diese Schulen hinunterzusetzen. „Dafür hat es viel Kritik gegeben. Aber: Was macht man mit einer Klasse, die mehr als 50 Prozent Fünfer hat?“

Da hier Überlegungen offenbar fehlen würden, befürchtet er, dass schlechte Resultate so weit als möglich verhindert werden: „Es gibt viele Möglichkeiten, die Objektivität zu unterlaufen – auch bei der Zentralmatura.“ Es gibt keine Fremdaufsicht bei den Prüfungen, korrigiert wird zwar auf vorgegebener Basis, aber von den Lehrern selbst und in einer mündlichen Kompensationsprüfung können Fünfer ausgebessert werden. „Wenn man hier kaschiert und Sachen unter den Teppich kehrt, wird es aber keine Verbesserungen geben.“ (beba/j.n.)

AUF EINEN BLICK

Zentralmatura. Heute stellen sich rund 19.100 AHS-Maturanten der zentralen Mathematikmatura. Insgesamt dauert sie 270 Minuten. Den ersten Teil bilden 24 sogenannte Aufgaben, bei denen die Schüler Grundwissen und Grundfertigkeiten nachweisen müssen. Der zweite Teil besteht aus vier bis sechs umfangreicheren Aufgaben.

Noten. Für eine positive Note müssen zwei Drittel der Aufgaben im ersten Teil richtig sein – unabhängig von der Punktezahl in Teil zwei. Im zweiten Teil können aber extra gekennzeichnete Ausgleichspunkte gesammelt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2015)

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