Sonderschule: Klassen wandern ab

Philipp und Margit Hödel vor einem Jahr in ihrem Garten.
Philipp und Margit Hödel vor einem Jahr in ihrem Garten.Die Presse
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Viele Eltern von schwerstbehinderten Kindern halten das neue Konzept der Inklusion für ungeeignet. Sie geben ihre Kinder in eine andere Schule.

Wien. Eine Lösung zeichnete sich bereits vor einem Jahr nicht so richtig ab. Die Caritas Wien versicherte zwar, dass die schwerstbehinderten Kinder der Sonderschule Am Himmel auch weiterhin als Sonderschüler dort unterrichtet würden, hielt aber an ihrem Ziel fest, die Schule ab dem Jahr 2016/2017 in eine Inklusionsschule umwandeln zu wollen. Nun tritt die Umwandlung schneller als gedacht in Kraft.

Ein Großteil der Eltern hat beschlossen, ihre Kinder ab Herbst in eine andere Schule, nämlich in die ebenfalls private Clara-Fey-Sonderschule in Döbling, zu geben. Drei Klassen (insgesamt 14 Kinder) wandern ab Herbst geschlossen in die neue Schule. Eine weitere möchte noch wechseln, hat dort aber keinen Platz, ohne aufgeteilt werden zu müssen. „Da suchen wir noch eine Lösung“, sagt Margit Hödel, eine betroffene Mutter.

Auch sieben Lehrerinnen gehen in die Clara-Fey-Schule mit. Weil sie nicht in einer Inklusionsschule arbeiten möchten, wie Caritas-Wien-Generalsekretär Klaus Schwertner erklärt. Fünf Lehrer bleiben, auch die Schulleiterin wechselt – allerdings in den Stadtschulrat. Hinter der Entwicklung steht ein Grundsatzstreit, der wohl noch mehr Eltern und Schulbetreiber treffen wird: Wie weit soll Inklusion gehen?

Inklusion nicht für alle geeignet?

Laut UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung soll jeder Mensch am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Aus diesem Grund wandelt auch die Caritas ihre Schule um. Schwerstbehinderte Kinder sollen mit nicht Schwerstbehinderten lernen und den Schulalltag verbringen. Doch ausgerechnet den Eltern der schwerstbehinderten Kindern gefällt der Gedanke nicht. „Inklusion ist eine wunderbare Idee“, sagt Hödel, „Aber man muss sich an den Gedanken gewöhnen, dass Inklusion für manche Kinder nicht passt“, sagt sie. Ihr Sohn, Philipp, etwa ist nun fast 14 Jahre alt, kann nicht reden, nicht lesen, und wenn er rechnet, dann gerade einmal mit Zahlen von eins bis zehn. Anderen Eltern geht es ähnlich. Ihre Kinder können nicht sprechen, nicht schreiben, und manche brauchen sogar noch Windeln. Wie sie da mit anderen Kindern mithalten sollen, fragen sich die Eltern. Und mit jedem Jahr gehe die Schwere weiter auf, sagt Hödel. „Inklusion ja, aber nicht um jeden Preis.“

Und sie weiß, wovon sie spricht. Die meisten Eltern in der Schule haben bereits Erfahrung mit Inklusionsschulen gehabt – negative. Philipp hätte in seiner alten Inklusionsschule die ganze Zeit Linsen, Bohnen und bunte Steine gezählt. Caritas-Wien-Chef Klaus Schwertner sieht das naturgemäß anders. Eine Inklusionsschule, wie er sie sich vorstellt, gibt es in Wien noch nicht. Sie geht weg vom klassischen Klassenkonzept. „Es wird Projektgruppen geben und gemeinsame Gruppenarbeiten“, sagt er. Es sei nicht so, dass in einer Inklusionsklasse alle immer alles gemeinsam machen müssen. Durch die zahlreichen Abgänge wird nun die private Montessori-Schule Kirschbaumhaus in der Schule Am Himmel integriert. Die verbleibenden 16 Kinder sollen dort ab Herbst mit 20 Kirschbaum-Kindern unterrichtet werden. Vorerst noch nicht gemeinsam, auch wenn es gemeinsame Projekte geben wird. Schlussendlich soll die Schule 45 Kinder beherbergen, davon die Hälfte schwerstbehindert. Margit Hödel muss sich mit diesem Konzept nicht mehr befassen. Seit einem Monat fährt sie bereits jeden Tag an der neuen Schule vorbei, damit Philipp sich an den neuen Standort gewöhnen kann. Das sehe ja keiner, sagt sie, wie viel Arbeit es sei, so ein Kind an neue Umstände zu gewöhnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2015)

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