Alltagswissen: Kochen, wählen, Knopf annähen

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Die deutsche Bildungsministerin will ein neues Fach Alltagswissen. An einer Wiener Schule werden Schüler bereits aufs Leben vorbereitet.

Wien. Helene (16) hackt eine Zwiebel, Elena tupft eine Hühnerbrust trocken, und Caro plagt sich beim Schälen eines Apfels, während die zwei Burschen am Nebentisch akribisch Schinken in Streifen schneiden und auf ihre Nudeln warten. „Wie lange müssen die denn drin bleiben?“ – „Bis sie weich sind“, ruft Lehrerin Maria Gaksch. Mit einem Dutzend Schülern kocht sie heute ein leichtes Sommermenü: einige Salate – einer eben mit Pasta –, eine Nachspeise. Und das, obwohl sie eigentlich Geschichte und Französisch unterrichtet – und AHS-Schüler normalerweise gar kein Kochen auf dem Stundenplan haben.

Trotzdem ist es kein bloßer Juxnachmittag, den die Schülerinnen und Schüler des BRG 14 in Wien-Penzing da in der Küche einer benachbarten NMS verbringen, sondern ein echtes Schulfach. Das Kochen ist Teil eines Wahlpflichtfachs, das Gaksch vor fünf Jahren an dem Gymnasium gestartet hat. Und Nudelkochen oder Zwiebelhacken ist noch längst nicht alles, was sie ihren Schülern in den je zwei Stunden pro Woche beibringt.

Über(s)leben heißt das Fach. Und es beinhaltet vom Mietvertrag über die Arbeitnehmerveranlagung bis zum Knopfannähen eine ganze Reihe an Kenntnissen, die Schüler irgendwann ganz bestimmt für das Leben brauchen: Alltagswissen eben. Etwas, das in der Schule – und vor allem im Gymnasium – häufig zu kurz kommt. Worüber immer wieder diskutiert wird. Erst kürzlich dachte die deutsche Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) laut über ein neues Schulfach Alltagswissen nach, das von Handyverträgen bis zu Kochkenntnissen allerhand Praktisches abdecken solle. Zuvor hatte eine deutsche Gymnasiastin mit einem Kommentar auf Twitter eine heftige Debatte ausgelöst: „Ich bin fast 18 und hab' keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen“, klagte die Kölnerin Naina. Nachsatz: „Aber ich kann 'ne Gedichtanalyse schreiben. In vier Sprachen.“

„Nicht überlebensfähig“

Dass das zumindest für einen Teil der Schüler am BRG 14 nicht mehr ganz so ist, hat seinen Ursprung in einer Französischstunde vor sechs Jahren. Damals sprach Gaksch mit ihren Schülern über deren Ferialjobs – und bemerkte, dass sie keine Ahnung von brutto und netto hatten, geschweige denn von Sozialversicherung und Steuern. „Wir bereiten die Schüler zwar auf die Matura vor – aber im praktischen Sinn sind sie nicht wirklich überlebensfähig“, sagt die Professorin.

Gaksch ergriff die Initiative und reichte ein Wahlpflichtfach ein, das auch die Schulbehörde genehmigte. Das Programm ist ziemlich breit. Es reicht vom Bankwesen (Kredite, Sparen, Onlinebanking) über die Bewerbung (wenn möglich inklusive fiktivem Bewerbungsgespräch mit Unternehmern) bis zu Benehmen. „Wenn sie das erste Gespräch versemmeln, weil sie sich nicht benehmen, bringt es nichts, wenn sie Lohnzettel lesen können.“

Der Lohnzettel ist in diesem Fach auch Thema, so wie die Frage, wie man sich Geld von der Steuer zurückholt und was es bei Versicherungen zu beachten gilt. Auch Wohnen ist wichtig: Die Schüler sollen entschlüsseln lernen, was es bei Wohnungssuche und Vertrag zu beachten gilt. Vorige Woche waren sie Zuschauer bei zwei Verhandlungen am Wiener Handelsgericht.

Einen Knopf anzunähen, lernen die Schüler mithilfe von YouTube. „Früher haben wir auch immer ein Hemd gebügelt“, erzählt Gaksch. „Dafür hat heuer die Zeit gefehlt.“ Auch, weil ein Thema eingehender behandelt wurde: die Politik. Immerhin steht in Wien die Wahl an, und die Programme der antretenden Parteien wurden analysiert.

„Das Fach heißt Über(s)leben – und wir haben auch übers Leben gelernt“, meint Elena (16). Für sie ein positiver Kontrast zum übrigen Schulbetrieb. „Normalerweise lernen wir in der Schule, Graphen so zu zeichnen, dass sich ein Physiker auskennt – aber nicht, wie wir im Leben über die Runden kommen.“ Am meisten in der Praxis angewendet haben die meisten Schüler bisher das Kochen. „Vor Kurzem waren bei mir zu Hause alle krank außer mir – und ich habe Suppe gekocht“, schildert Helene. „Da hat es das Fach also voll gebracht.“

Keine geschenkten Noten

Wie so oft stellt sich aber die Frage: Sind das wirklich Fähigkeiten, die die Schule vermitteln muss – zumal ohnehin viele klagen, von der Schule werde zu viel verlangt? „Wenn die Schüler es von den Eltern nicht bekommen, muss ihnen die Schule das liefern“, meint Maria Gaksch. Und weiter: „Es ist ein großes Manko im Schulsystem, dass es nicht für alle ein solches Fach gibt.“
Geschenkte Noten gibt es übrigens nicht: Auch in Über(s)leben gibt es Tests oder Stundenwiederholungen, etwa zu Lohnzettel oder Mietvertrag. Knöpfeannähen wird allerdings nicht abgeprüft.

Auf einen Blick

Praxisfach. Seit fünf Jahren unterrichtet die Französisch- und Geschichtelehrerin Maria Gaksch am BRG 14 das Wahlpflichtfach Über(s)leben lernen. Ein Jahr lang befassen sich die Schüler zwei Stunden pro Woche mit Steuern, Mietverträgen und Recht, Bewerbung, Benehmen und Politik sowie praktischen Fähigkeiten wie Kochen oder Knöpfeannähen. Zwei Jahre lang war das Fach vierstündig und in Kombination mit Geschichte sogar zur Matura wählbar.

Über Alltagswissen in der Schule wird immer wieder diskutiert – zuletzt dachte die deutsche Bildungsministerin laut über ein entsprechendes Fach nach. Aus dem österreichischen Bildungsressort hörte man bis dato keine Forderungen nach einem solchen Fach.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.