Schule: Geschimpft wird (auch) im Dialekt

(c) Clemens Fabry
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So gut wie alle Lehrer sind in der Schule mit Umgangssprache konfrontiert. Jeder zehnte lässt Dialekt in Referaten gelten. Wenn es emotional wird, verzichten auch Lehrer auf Standard.

Wien. „Der Lehrer wechselt ganz oft ab. [. . .] Er erklärt schon hochdeutsch, damits ja alle verstehen, und dann schiebt er einen Schmäh rein, den aber nur die halbade Klasse versteht, weil der einfach so im Dialekt ist“, schildert ein Schüler. „Wichtiges wird [. . .] im schönsten Standarddeutsch eingestreut, und es gibt aber glaub i kaum Lehrerinnen und Lehrer, die konsequent in der Standardsprache sprechen“, meint ein Lehrer.

Dass viele Pädagogen vor allem dann in die Umgangssprache oder in den Dialekt wechseln, wenn es um persönlichere oder emotionalere Angelegenheiten geht, ist eines der Ergebnisse eines FWF-geförderten Forschungsprojekts unter Leitung des Sprachwissenschaftlers Rudolf de Cillia an der Uni Wien, für das Lehrer und Schüler befragt wurden. Während die Lehrer angeben, dass sie in ihren Vorträgen zu 85 Prozent Standarddeutsch sprechen, sieht es bei Disziplinierungen ganz anders aus: Diese werden zu 45 Prozent in der Umgangssprache ausgesprochen, zu sieben Prozent im Dialekt (siehe Grafik).

Womöglich sprechen die Lehrer in der Schule aber tatsächlich noch mehr Umgangssprache und Dialekt, als sie zunächst angeben: „Wenn man Menschen fragt, wie sie sich sprachlich verhalten, geben sie generell eher die sozial erwünschte Antwort“, sagt de Cillia im Gespräch mit der „Presse“. „Und in der Schule ist die Vorgabe: Unterrichtssprache ist Standardsprache.“

Mehr Dialekt im Westen

In der Schuldebatte – und auch in der Forschung – ist das Thema Dialekt eher aus dem Fokus geraten, nachdem in den 1970er-Jahren relativ viel dazu geforscht wurde. „Es ist heute kein Thema mehr – zu Unrecht“, sagt de Cillia. Womöglich sei es überlagert von der Frage nach dem Umgang mit Schülern mit anderen Muttersprachen. Wobei Dialekt sogar im Zusammenhang mit Migrantenkindern und Deutschlernen relevant sein könnte. Klar ist: Es gibt in der Schule viel mehr als die Standardsprache. „Das ganze Dialekt-Standard-Kontinuum wird auch in der Schule verwendet“, sagt de Cillia.

So gut wie alle der rund 160 befragten Lehrerinnen und Lehrer geben an, dass sie in der Schule mit Dialekt oder Umgangssprache zu tun haben: Nur sechs Prozent sind überhaupt nicht mit Dialekt konfrontiert – fast gleich viele meinen übrigens, dass sie von den Schülern überhaupt kein Standarddeutsch hören. Am stärksten ist der Dialekt demnach im Westen vertreten – mehr als die Hälfte der Vorarlberger Lehrer geben an, dass fast alle Schüler im Gespräch mit ihnen den Dialekt verwenden. Im Osten des Landes sagen das lediglich drei Prozent.

Ähnlich wie bei den Lehrern wechselt auch bei den Schülern die Verwendung der jeweiligen Variante je nach Kontext: So wird vor allem in den Pausen eher Dialekt gesprochen, ebenso bei Gruppenarbeiten – wenn Schüler also untereinander kommunizieren. Am seltensten sprechen sie laut ihren Lehrern in Referaten Dialekt.
Wenn sie doch Dialekt verwenden, werden Schüler bei Referaten auch am häufigsten korrigiert. Immerhin zehn Prozent der Pädagogen lassen aber auch hier Dialekt gelten – die übrigen fordern Standarddeutsch ein oder weisen die Schüler zumindest darauf hin. Im Einzelgespräch legen die Lehrer nicht so viel Wert darauf: Knapp 40 Prozent korrigieren, gleich viele halten den Dialekt hier für okay.

Manche Pädagogen entscheiden auch im Unterricht je nach Situation, wie einer schildert: „Wenn die Schüler sogn: ,Derf mas im Dialekt sogn?‘ Sog i: ,Jo freilich.‘ [. . .] Und i sag ihnen gleichzeitig, Ziel is des, dass sie den Standard bis zur Matura hin sprechen können.“

Zitate von Schülern und Lehrern sind aus dem Originaltranskript übernommen.

Auf einen Blick

Österreichisches Deutsch. In dem FWF-geförderten Projekt untersuchen Rudolf de Cillia, Jutta Ransmayr und Elisabeth Fink von der Uni Wien die Rolle des österreichischen Standarddeutschen in der Schule. Dafür werden etwa Lehrbücher analysiert, Lehrer und Schüler befragt, Diskussionen beobachtet. Eine der Hypothesen ist, dass es einen Zusammenhang zwischen den Normvorstellungen, die in der Schule vermittelt werden, und der geringen Sprachloyalität der Österreicher gibt.
Lehrer sind unsicher. Ein erstes Ergebnis, über das „Die Presse“ bereits berichtet hat: Lehrer sind unsicher, was den Umgang mit österreichischem Deutsch angeht. Gut die Hälfte hält die bundesdeutsche Varietät für überlegen.

Dialekt versus Standard. Was unter Dialekt, Umgangssprache und Standard zu verstehen ist, geben die Forscher den Befragten nicht vor: Die Antworten beziehen sich auf das Verständnis, das Lehrer und Schüler selbst haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2015)

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