Schulschrift unter Druck: Zwischen Schnörkeln und Tastatur

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Seit zwanzig Jahren lernen österreichische Volksschüler eine recht schnörkellose Schreibschrift. Sie steht gewaltig unter Druck.

Am schwierigsten war das große H. Wer heute über dreißig Jahre alt ist, mühte sich mit den geschwungenen Bögen an den Extremitäten des Buchstabens ab (siehe Bild unten), versuchte sie mit den Gesamtproportionen in Einklang zu bringen und haderte dann mit dem Ergebnis. Auch die berühmten Zierleisten konnten das Gesamtbild nicht mehr retten. Stante pede gaben viele das in sich verschlungene H am letzten Volksschultag ab – und setzten es nie wieder ein.

So schnörkelig und verspielt geht es heute nicht mehr zu (siehe Bild oben). Seit 1995 gilt eine neue Schulschrift, die sich moderner gibt und stärker an den Druckbuchstaben orientiert ist. Bestanden die Lehrer früher darauf, dass man jedes Wort in einem Zug schreiben sollte, ist dies nun schwer möglich. Die strengen Regeln zur Anwendung von Schleifen und Bögen haben aber schon vorher massiv an Bedeutung verloren, denn das Fach „Schönschreiben“ wurde bereits 1963 gestrichen. Die Note für das Schriftbild ist seither Vergangenheit.

Kontinuierlich wurde die Handschrift unpopulärer, in den vergangenen Jahren diskutierten viele Länder sogar ihre Abschaffung. In Deutschland etwa lernen heute viele Schüler gar keine Schreibschrift mehr, sondern nur noch eine „Grundschrift“, die der Druckschrift sehr stark ähnelt. Einzelne Buchstaben, keine Verbindungslinien: Könnte das auch auf Österreich zukommen? Ist das Erlernen von zwei Schriften überhaupt noch zeitgemäß? Immerhin verändern die digitalen Medien nicht nur das Leseverhalten sehr stark, sondern auch das Schreibverhalten. Selbst Einkaufszettel befüllen viele mittels Handy-App, da bleibt nicht mehr viel Raum für die Handschrift.

Je nachdem, welcher Experte befragt wird, ist die Handschrift entweder eine unnötige Plage für Schüler, die einem modernen Unterricht im Weg steht, oder sie aktiviert weit mehr Hirnregionen als das Tippen, stärkt das Gedächtnis und wirkt einer motorischen Verarmung entgegen. Unbestritten ist jedenfalls: Der Verlust der Schreibschrift wäre der Verlust eines Kulturguts. Dessen Wert wird aber unterschiedlich angesetzt.

In Österreich steht die Abschaffung derzeit jedenfalls nicht zur Debatte, betont das Bildungsministerium. Auch eine weitere Modernisierung der Schulschrift von 1995 werde nicht angedacht, heißt es aus der Fachabteilung. Man will die Schulschrift beibehalten, die vor zwanzig Jahren nach langer Arbeit von einer Gruppe aus Psychologen, Wissenschaftlern und Praktikern als Vorbild erstellt wurde. Schönheit wird nicht mehr gefordert: Die Schüler sollen sich eine gut lesbare und flüssige Handschrift aneignen, „an ein normgerechtes Schriftbild herangeführt“ werden, so das Ziel.

Ihr individuelles Schriftbild dürfen und sollen (das variiert wohl von Lehrer zu Lehrer etwas) sie selbst entwickeln. Die Schrift fließt in der Volksschule in die Note mit ein – ist aber nicht Hauptbestandteil. Dass wegen unschöner Schrift schlechter beurteilt wird, darf es also nicht geben. Ob erst die Druckschrift oder die Schreibschrift gelehrt wird, entscheiden die Lehrer selbst. Interessanterweise auch, ob sie die Schrift von 1969 oder jene von 1995 vermitteln.

Wenn eine Abschaffung der Handschrift auch ausgeschlossen wird: Ein „Mix aus handschriftlicher Arbeit und Neuen Medien“ wird sehr wohl diskutiert. Das Schreiben mit der Hand dürfte also weiter peu à peu an Bedeutung verlieren. Lehrer klagen schon jetzt darüber, dass viele Kinder unleserlich schreiben. „Die Schrift wird nicht mehr gefestigt, weil viele zu früh auf die Tastatur wechseln“, sagt die Kalligrafin Claudia Dzengel.

In Workshops und in ihrem Buch „Kalligrafie und kreatives Schreiben für Kinder“ will sie einen positiven Zugang zur eigenen Handschrift vermitteln und Lust auf das Schreiben machen. Wie begeistert die Kinder bei den Übungen dabei wären, überrasche sie immer wieder. Allerdings gebe es einen starken Gegner: Die IT-Branche, warnt sie, habe eine starke Lobby, die „schon in den Löchern scharrt“.

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Über 30-Jährige lernten sie noch: Die Schulschrift von 1969.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2015)

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