Bildungsreform: Was Schüler und Eltern erwartet

PR�SENTATION DER ERGEBNISSE DER BILDUNGSREFORM-ARBEITSGRUPPE: BM HEINISCH-HOSEK
PR�SENTATION DER ERGEBNISSE DER BILDUNGSREFORM-ARBEITSGRUPPE: BM HEINISCH-HOSEK(c) APA/HELMUT FOHRINGER
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Das nun ausverhandelte Projekt bringt ein zweites Pflichtkindergartenjahr, halbherzige Gesamtschulversuche und WLAN in allen Schulen. Um die Schulverwaltung schummelt man sich herum.

Wien. Die lang ersehnte Bildungsreform ist da. Und wurde sogar pünktlich – wie versprochen am gestrigen 17. November – präsentiert. Das war zuletzt gar nicht mehr so sicher. Denn die Verhandler von SPÖ und ÖVP aus Bund und Ländern rangen bis wenige Stunden vor der Präsentation um eine Einigung. Um fünf Uhr morgens stand der umkämpfte Kompromiss, von dem sich später alle demonstrativ begeistert zeigten.

Es sei „keine Selbstverständlichkeit“, dass die Regierung bei einem Thema, das die politischen Lager lange „auseinanderdividiert“ habe, eine Einigung finde, drückte es Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) aus und gratulierte zu einem „sinnvollen Kompromiss“. Mit der gestern im Ministerrat beschlossenen Punktation gehe das Bildungssystem „in eine neue Zeit“, versprach Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ). Ende Juni 2016 sollen die entsprechenden Gesetze vorliegen. Doch was ändert sich durch die Reform für Österreichs Schüler, Eltern und Lehrer eigentlich? Ein Überblick:


Bildungsdirektionen als Halblösung. Um den größten Streitpunkt hat sich die Reformkommission elegant herumgeschummelt: Die Entscheidung, ob die Lehrer vom Bund oder von den Ländern verwaltet werden sollen, hat man umschifft. Und zwar mit der Gründung von neun Bildungsdirektionen. Diese werden den Landesschulrat ersetzen, sind aber erneut eine eigenwillige Konstruktion: nämlich eine gemeinsame Bund-Länder-Behörde. Der Direktor dieser Behörde ist ein Bundesbediensteter. Er wird aber vom Landeshauptmann bestellt. Der Machtstreit in der Schulverwaltung wird damit freilich nicht beendet. Die Trennung zwischen Landes- und Bundeslehrern bleibt bestehen. Sie werden künftig aber alle zentral über das Bundesrechenzentrum abgerechnet. Das schafft mehr Transparenz.

Unechte Gesamtschulmodelle. Eine Notlösung hat die Bildungsreformkommission auch bei der Gesamtschule gefunden. Verkauft wird es als ein Konzept, das den Bundesländern die Schaffung von Modellregionen zur Gesamtschule ermöglicht. Nur flächendeckend darf kein Bundesland die gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen einführen. Es gibt eine mit 15 Prozent festgesetzte Obergrenze. Diese verunmöglicht indirekt eine echte Gesamtschule (mehr dazu auf Seite 2).

Zweites verpflichtendes Kindergartenjahr. Die Bundesregierung einigt sich auf ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr. Es müssen künftig also nicht nur alle Fünfjährigen, sondern auch alle Vierjährigen in den Kindergarten geschickt werden. So wird die Maßnahme verkauft. Ganz so ist es aber nicht. Dafür hat die ÖVP gesorgt. Es gibt nämlich eine Opt-out-Möglichkeit. Alle Kinder, die keinen akuten Förderbedarf haben, können vom zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr abgemeldet werden. Außerdem hat die Maßnahme einen Haken: Sie ist teuer und ihre Finanzierung (noch) nicht gesichert.

Ein Mutter-Kind-Pass für die Bildung. Unter dem Motto „Früher investieren statt später reparieren“ steht die Einführung eines sogenannten Bildungskompasses – ein Pendant zum Mutter-Kind-Pass. Mit 3,5 Jahren erhalten Kinder diesen Pass. In diesem Alter wird erstmals ihr Sprachverständnis und ihre Entwicklung überprüft. Der Pass soll die Kinder bis zu ihrem letzten Schultag begleiten und Lehrern – vor allem an den Schnittstellen zwischen Kindergarten und Schule bzw. den Schultypen – automatisch Informationen über Leistung und Entwicklung geben. Dadurch wird man sich künftig die Schulreifetests sparen.

Neue Fächer, flexible Klassenschülerzahl. Die einzelnen Schulen erhalten mehr pädagogische, finanzielle und personelle Spielräume. Das war der unumstrittenste Punkt und ist zugleich die einschneidendste Veränderung. Lehrer können ihren Unterricht freier gestalten und sogar eigene Schulfächer schaffen. In den Volksschulen dürfen sie bis zu fünf Prozent, in den Gymnasien bis zu einem Drittel vom Lehrplan abweichen. Auch beim Personaleinsatz gibt es Flexibilität: Eine Schule kann entscheiden, ob anstelle eines Lehrers ein Psychologe, Sozialarbeiter, IT-Experten oder ein anderer Spezialist eingesetzt wird. Mehr Geld bzw. mehr Personal gibt es dafür aber nicht.

Direktoren als Manager. Schuldirektoren sollen durch die Reform zu Schulmanagern aufgewertet werden. Sie werden auf Zeit – konkret auf fünf Jahre – bestellt. Für den Job wird es eine österreichweit einheitliche Funktionsbeschreibung geben und Objektivierungsverfahren für die Auswahl sollen eingeführt werden. Die politische Besetzung der Posten soll damit zurückgedrängt werden.

Direktoren erhalten mehr Freiheiten. Die Direktoren bekommen mehr, aber keineswegs völlige Entscheidungsfreiheit. Bei Neueinstellungen von Lehrern können Direktoren aussuchen, wen sie gern an ihrer Schule hätten. Dazu gibt eine eigene Lehrerdatenbank. Die Schulbehörde hat hier dennoch weiter ein Wörtchen mitzureden, um die Verteilung an alle Schulstandorte zu gewährleisten. Der Schulleitung steht aber immerhin ein Vetorecht bei Neuanstellungen zu. Auch finanziell soll es mehr Freiheiten für Direktoren geben. Wobei diese angesichts der knappen finanziellen Ressourcen nicht allzu groß sein dürfte.

High-Speed-Internet. Auch die Ausstattung der Schulen soll besser werden: Angekündigt sind High-Speed-Internet und WLAN für jede Schule bis 2020 als Grundvoraussetzung für digitale Bildung.

Eigene Bildungsstiftung. Um Innovationen im Bildungsbereich (vor allem im IT-Bereich) zu begünstigen, wird eine eigene Bildungsstiftung geschaffen. Einreichen können Universitäten, Pädagogische Hochschulen, Schulverwaltungen und Schulen. Die Stiftung wird aus Bundesmitteln dotiert.

Die Bildungsreform verspricht also viele Neuerungen – und bedingt wohl durchaus große Investitionen, die es angesichts der angespannten Budgetlage nicht geben wird. Ministerin Heinisch-Hosek und Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP) glauben, dass die Reform auch kostenneutral zu bewältigen sein wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2015)

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