Chinesen schicken ihre Vorschulkinder in Programmierkurse

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Eltern wollen ihre Vorschulkinder auf die Berufswelt der Zukunft vorbereiten. Neun der zehn Berufe, die 2012 am stärksten gefragt waren, gab es 2003 noch gar nich.

Vor einigen Monaten hat Wu Pei begonnen, ihrem sechsjährigen Sohn das Programmieren beizubringen. Sie glaubte, es würde ihm Spaß machen, eine Fertigkeit zu erlernen, die in einer zunehmend digitalisierten Welt seine beruflichen Chancen verbessert. Inzwischen gibt sie im chinesischen Nanjing Unterricht und hilft mehr als hundert Eltern, ihren Kindern das Programmieren nahezubringen.

Die 35-jährige Programmiererin bei Foxconn Technology Group profitiert von einem zunehmenden Wunsch von Eltern, ihre Vorschulkinder auf die Berufswelt der Zukunft vorzubereiten. Laut Studien der Universität Oxford wird in einigen Ländern die Hälfte der Arbeitsplätze durch Roboter und Computer überflüssig gemacht werden.
In ganz China werden mittlerweile ähnliche Kurse angeboten.

Unterricht "von nationaler strategischer Bedeutung"

Reynold Ren unterrichtete etwa 150 Grundschulkinder in Peking in der Nutzung von Scratch, einem Projekt von MIT Media Lab und Arduino. Dabei sollen die Schüler lernen, interaktive Objekte wie Roboter zu erschaffen. Und in Hongkong haben bereits 2500 Schüler Kurse in der First Code Academy von Michelle Sun besucht.

“Die kommende Generation im Programmieren zu unterrichten sollte eigentlich den Rang einer Tätigkeit von nationaler strategischer Bedeutung haben", sagte Wang Jiulin, Schöpfer der Website Kidscode.cn, auf der kostenlose Informationen und Kurse angeboten werden. "Sogar heute noch beherrscht die Mehrheit der Programmierer in China nur sehr einfache Aufgaben, und es gibt eine riesige Nachfrage nach Spitzen-Programmierern."

Spielerisches Erlernen

Wu überlegte wochenlang, wie sie Vorschulkindern, die gerade erst anfangen, Mathematik oder Chinesisch zu lernen, die Grundlagen der Programmierung nahebringen kann, so dass sie sie auch verstehen. Sie entschloss sich, den Schülern ein Gitter mit drei mal drei Feldern zu zeigen und mit ihnen ein Spiel zu spielen, bei dem sie durch Richtungsangaben wie hoch, runter, rechts und links Positionen benennen sollten. Dann führte sie ein Zahlensystem ein und forderte die Kinder auf, die Positionen mit Hilfe von Koordinaten zu kennzeichnen.

Wenn die Schüler mit dem Konzept der X- und Y-Achse vertraut sind, bringt Wu ihnen einfache Spiele mit Flugzeugen bei, die auf Scratch basieren. Sobald sie daran Spaß gefunden haben, ermutigt sie sie, die ersten einfachen Spiele selbst zu entwickeln. "Normalerweise braucht man ein Spiel, um Interesse zu wecken, und dann kann man neue Konzepte einführen", erklärte Wu.

Aufholjagd

Zhang Minyan aus Nanjing ermutigte ihre fünfjährige Tochter, Programmieren zu lernen. Auslöser war ein Video über ein amerikanisches Kind, das eine App programmiert hatte, um sich mit Freunden über den kanadischen Sänger Justin Bieber auszutauschen. Vorher habe sie so etwas nicht für notwendig gehalten, sagte Zhang.

"Mich hat das sehr beeindruckt", erinnerte sich die 32- Jährige, "ich dachte, wenn mein Kind schon jeden Tag Spiele auf dem iPad spielt, warum sollte ich ihm dann nicht zeigen, wie es dabei etwas lernen kann". Zudem wolle sie nicht, dass ihre Tochter zurückbleibt, wenn Kinder in anderen Ländern das Programmieren erlernen.
Werden Kinder ermutigt, das Programmieren zu lernen, könnte das dazu beitragen, dass China auf der technologischen Wertschöpfungskette weiter nach oben rückt und sich von einem Massenhersteller und Komponentenlieferanten zu einem Innovator bei Software und digitalen Arbeitsmitteln entwickelt. Nach jetzigen Stand liegt die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt bei der Integration des Programmierens in die Lehrpläne von Schulen hinter mindestens 16 europäischen Ländern und den USA zurück.

“In den chinesischen Schulen gibt es Informatikunterricht, und in manchen wird sogar Programmieren gelehrt, aber diese Kurse spielen eine untergeordnete Rolle gegenüber anderen Fächern, wenn es darum geht, wie die Leistung von Schülern bewertet wird", erklärte die Programmierlehrerin Wu. Es werde nicht erkannt, dass Programmierunterricht sehr wichtig für die Zukunft ist.

Neue Berufsfelder entstehen

“Es ist absolut denkbar, dass dein Kind mit zwölf Jahren eine Millionen-Dollar-App programmiert - dafür braucht man keinen Uniabschluss", sagte Wayne Xiong, Partner beim Venture- Capital-Fonds China Growth Capital in Peking. "Ein Bildungssystem, in dem es mindestens 21 Jahre braucht, um seine Investitionsrendite zu überprüfen, ist riskant und unvernünftig."

Aber nicht jeder vertritt die Meinung, dass Programmieren die Zukunft eines Kindes sichert. Durch die Automatisierung könnten Maschinen in einem Jahrzehnt sogar den Großteil der Programmieraufgaben übernehmen, sagt Tom Davenport, Professor für IT und Management am Babson College in Wellesley, USA. "Es ist nicht unbedingt nötig, dass Dreijährige in Programmierung unterrichtet werden", glaubt er.

Prognosen, welche Berufe in der Zukunft am dringendsten gebraucht werden, sind kaum zu treffen. Neun der zehn Berufe, die 2012 am stärksten gefragt waren, gab es 2003 noch gar nicht, erklärte das World Economic Forum im September.

Grundkompetenz wie Fremdsprache

Auch Wu verlässt sich nicht auf das Programmieren, um ihr Kind erfolgreich zu machen. Sie sieht es eher als "weiteres Mittel, mit dem er sich ausdrücken kann" und als Teil der unverzichtbaren digitalen Fertigkeiten, die die Menschen auf der ganzen Welt in den kommenden Jahrzehnten wahrscheinlich brauchen werden. “Viele Berufe aus der Generation meiner Eltern gibt es nicht mehr, und ich mache mir Gedanken, was das in 20 Jahren bedeutet", sagte sie. "Wenn unsere Kinder erwachsen werden, dann stehen sie im weltweiten Wettbewerb, und dann wird Programmieren genau so eine Grundkompetenz sein wie Englisch."

(Bloomberg)

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