Geheimcodes und Holztürme: Informatik ohne Computer

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die „Zauberschule der Informatik“ zeigt Kindern, wie Computer rechnen. Lokalaugenschein in einer Wiener Volksschule.

Wien. „Ein Zauberer ist da!“ Die Drittklässler sind begeistert, als ein Mann mit Zauberstab, schwarzem Umhang und Hut die Klasse betritt. „Gulewutelewen Moleworgelewen“ spricht er und wird von den Kindern der Global Education Primary School, einer öffentlichen Volksschule in Alterlaa, irritiert beäugt. „Das war Guten Morgen in der Löffelsprache“, erklärt er. Das Thema geheime Sprachen und Codes kommt naturgemäß bei den Kindern gut an. Dadurch lässt sich aber auch Informatik begreifbarer machen: Auch die hat eine eigene Sprache.

„Wie viele Ziffern kennt ihr?“ Um zu verstehen, wie Computer zählen und rechnen, müssen die Kinder erst einmal verstehen, wie sie das tun. Es dauert eine Weile, bis man sich im Klassenzimmer darauf einigt, dass es zehn Ziffern sind: eins bis neun und die Null. „Mit dem Zehnersystem rechnen wir erst seit ein paar hundert Jahren. Vorher gab es die römischen Ziffern, da war das Dividieren so schwierig, dass das nicht einmal die Erwachsenen konnten. Nur ein paar: die Rechenmeister“, erzählt der Zauberer, dessen Name eigentlich Johann Stockinger lautet.

An diesem Novembermorgen werden die Volksschulkinder in Wien-Liesing in einem Workshop an die Denkweisen der Informatik herangeführt. In diesem Unterricht haben sie nicht nur Hände, die Technologien bedienen sollen – sondern vor allem Köpfe, die diese gestalten können. Dass der Computer nur zwei Ziffern braucht, sorgt für ungläubige Blicke. Wie man trotzdem mit wenigen Nullern und Einsern sehr weit zählen kann, lernen die Drittklässler wenig später. Alle haben das binäre Zählen am Ende wohl nicht verstanden, aber bei manchen sieht man die Freude an der Logik aufblitzen.

Stockinger benutzt in den folgenden zwei Stunden Holzspielzeug, Papierkarten und Reifen – aber ganz bewusst keinen Computer. Es ist Informatik unplugged, die in den zwei Stunden geboten wird. Durch die Türme von Hanoi, ein Holzspiel mit drei Stäben, wird ihnen ein erster Algorithmus nähergebracht. Auf einem der drei Stäbe befindet sich ein kleiner Turm aus unterschiedlich großen Holzscheiben (siehe Bild). Je eine Scheibe darf man auf einen anderen Stab legen und niemals eine größere auf eine kleinere. Wie viele Züge braucht man zur Umschichtung eines Turm aus zwei Scheiben? Und für einen Turm aus drei oder vier?

Probieren und denken

„Herumprobieren ist gut. Aber wenn es nicht geht, müssen wir wieder mal nachdenken“, sagt Stockinger. Dieser Erkenntnis kommt – so banal sie klingt – eine zentrale Rolle bei jedem Problem zu. Und auch, wenn das Wort Problemlösungskompetenz gern in Bildungsprogramme geschrieben wird, bleibt es an zu vielen Schultagen doch nur ein Wort.

Die Türme von Hanoi werden abgetragen und neu formiert, während die Drittklässler langsam die Konzentration verlieren. Der nächste Programmpunkt, die Geheimsprachen, kann sie wieder fesseln. Von beschriebenen Streifen, die vor 2500 Jahren nur über eine Rolle gewickelt gelesen werden konnten, bis zur bekannten Cäsar-Scheibe: Der Kaiser ersetzte jeden Buchstaben seiner geheimen Nachrichten durch den Buchstaben, der im Alphabet drei Stellen danach kommt. Das a wurde also ein d, das b wurde ein e und so weiter. Wie viele verschiedene Möglichkeiten der Codierung gibt es? Darauf kommen die Schüler schnell: Da das Alphabet 26 Buchstaben hat, sind es 25. Mithilfe eines Computers ist das natürlich kein Problem mehr.

Die „Zauberschule der Informatik“ ist ein Projekt der Österreichischen Computer Gesellschaft (OCG) und wurde bis dato durch die Wirtschaftsagentur Wien gefördert. Viele Klassen meldeten sich dafür an, rund 40 konnte Stockinger – der Kultur- und Sozialanthropologe ist und in der Computer-Gesellschaft als Innovationsmanager arbeitet – tatsächlich besuchen. Die Zukunft der „Zauberschule“ ist noch ungewiss, einerseits hofft man auf weitere Sponsoren für den Besuch der Schulen, andererseits möchte man das Projekt auch an Pädagogischen Hochschulen verankern.

Bevor sich am Ende des Workshops die Kinder noch in Zahlen verwandeln und ihre Wege über Reifen suchen, um zu sehen, wie ein Computer Zahlen sortiert, ist jedenfalls eines klar: Wie oberflächlich die Erwartung ist, dass durch WLAN an den Schulen oder E-Books schließlich Digitalisierung stattfindet. Dazu braucht man gute Ideen, Know-how und vor allem begeisterte Lehrer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2015)

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