Bildungsreform: Mehr Geld und mehr Gesamtschule

Das Bildungsreformpapier, das Heinisch-Hosek und Mahrer vergangene Woche präsentiert haben, wird noch seine Schatten werfen.
Das Bildungsreformpapier, das Heinisch-Hosek und Mahrer vergangene Woche präsentiert haben, wird noch seine Schatten werfen.(c) APA/HELMUT FOHRINGER
  • Drucken

Nach der Verhandlung ist vor der Verhandlung. Alle geplanten Maßnahmen der Reformgruppe stehen unter Finanzierungsvorbehalt, und es braucht Kompromisse im Parlament.

Wien. Als „Startschuss“ betitelte Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) den 17. November zuletzt. Tatsächlich ist es offenbar so: Nach der Verhandlung ist vor der Verhandlung. Auch nachdem acht Verhandler aus SPÖ und ÖVP, Ländern und Bund fast ein Jahr lang – und zuletzt die ganze Nacht unmittelbar vor dem Präsentationstermin am 17. – darum gerungen haben, wie das Reformpapier aussehen soll, sind viele Fragen offen.

Bis Mitte kommenden Jahres sollen aus der „Punktation“ – nicht mehr und nicht weniger ist das Papier –, Gesetze werden. „Die Presse“ hat sich angesehen, wo die Stolpersteine sind – und was sich voraussichtlich ändern wird.

1 Alle geplanten Maßnahmen stehen unter Finanzierungsvorbehalt.

Wenig überraschend wird das Geld wohl eine der größeren Hürden für die Reformvorhaben. Alle paktierten Maßnahmen stehen unter Finanzierungsvorbehalt. Zwar soll die Reform – abgesehen vom zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr – kostenneutral sein. Ob das wirklich gelingt, ist aber zu bezweifeln – jedenfalls dann, wenn die Maßnahmen auch sinnvoll umgesetzt werden sollen. Eines von mehreren Beispielen: Die Kindergärten haben mehr Personalbedarf angemeldet, wenn sie die Entwicklung der Kinder ab dreieinhalb Jahren genauer dokumentieren und begleiten sollen, wie das mit dem geplanten Bildungskompass vorgesehen ist.

Ob abgesehen von solchen faktischen Zusatzforderungen mit der Reform tatsächlich so viel eingespart wird, dass, wie angekündigt, die Lehrerarbeitsplätze besser ausgestattet werden können, alle Schulen schnelles Internet bekommen und auch noch Geld für eine neue Bildungsstiftung übrig bleibt, die innovative Projekte fördert, ist fraglich. Ein großer Brocken ist auch das zweite Pflichtkindergartenjahr – das dann beitragsfrei sein müsste.

Den Bund kostet das derzeitige erste Gratiskindergartenjahr rund 70 Millionen Euro pro Jahr, den (größeren) Rest müsste Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) mit den Bundesländern verhandeln. Bildungsministerin Heinisch-Hosek und Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP) gaben sich positiv gestimmt. Im Finanzressort zeigte man sich zuletzt aber noch eher zurückhaltend.

2 Bei der Gesamtschule braucht es Kompromisse mit Grün oder FPÖ.

Für einige der Reformvorhaben – etwa die Gesamtschulmodelle und die Bildungsdirektionen – ist eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig. Das heißt: Grüne oder FPÖ müssten zustimmen. Zufrieden ist keine der beiden Oppositionsparteien, insofern dürften es härtere Verhandlungen werden. Die Grünen wollen großzügigere Modellregionen und eine Entpolitisierung der Bildungsdirektionen. Die FPÖ ist dagegen, sowohl, was die geplanten Gesamtschulmodellregionen angeht als auch bei der Verwaltung. Es liegt nahe, dass die Regierung mit den Grünen verhandelt.

Was diese nun nützen dürften, um die paktierte Höchstgrenze von 15 Prozent der Schüler bzw. Schulen bei den Gesamtschulversuchen nach oben zu treiben. Die Verhandler haben damit womöglich ohnehin gerechnet. Manche Beobachter sind der Meinung, dass die Modellregionen in dem Reformpapier aus taktischen Gründen relativ klein gehalten wurden – weil es hier eben für eine grüne Zustimmung Zugeständnisse braucht.

3 Manches könnte intern noch für weitere Debatten sorgen.

Nicht einmal die Verhandler konnten bei der Präsentation darüber Auskunft geben, wie die Modellregionen für die Gesamtschule konkret aussehen sollen. Das weckt zumindest Zweifel daran, wie weit die nun fixierten Überschriften im Detail ausverhandelt wurden – und inwiefern es hier auch nach der offiziellen Deadline für die Reform noch interne Diskussionen zwischen SPÖ und ÖVP bzw. Bund und Ländern geben wird.

AUF EINEN BLICK

Zentrale Punkte der Bildungsreform, die die Regierung präsentiert hat.

Kindergarten. Der Kindergarten soll auch für die Vierjährigen Pflicht sein. Im Bildungskompass wird die Entwicklung ab 3,5 Jahren dokumentiert.

Autonomie. Schulen sollen bei Lehrplan und Organisation mehr Freiheit haben. Bei Lehrern haben sie ein Vetorecht.

Verwaltung. Landesschulräte werden durch Bildungsdirektionen ersetzt. Alle Lehrer werden zentral abgerechnet.

Gesamtschule. Die Bundesländer dürfen Gesamtschulversuche starten, diese sind aber mit 15 Prozent der Schulen bzw. Schüler begrenzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Schule

"Über das Bildungssystem soll Gesellschaft reformiert werden"

Bildungshistoriker Wilfried Göttlicher warnt mit Blick auf Bildungsreformen vor „übertriebenen Machbarkeitsfantasien“, hält die Aussage, dass sich in Österreichs Schulen seit Maria Theresia nichts verändert hat, für „ausgemachten Blödsinn“ und sieht Volksschullehrer als Aufsteiger.
Schule

Bildungsreform: „Viele völlige Absurditäten“

Expertin Heidemarie Lex-Nalis hält die nur dreimonatige Kindergartenpflicht für Vierjährige für „fachlich suspekt“.
Schule

„Vieles, was in dem Papier steht, gibt es schon jetzt“

Für Bildungsexpertin Heidi Schrodt ist das vorgelegte Papier kein Schulreformpaket. Es fehle die Vision. Und der politische Einfluss sollte wohl erhalten bleiben.
Im Alter von dreieinhalb Jahren sollen Kinder künftig Entwicklungs- und Sprachscreenings unterzogen werden.
Schule

Kindergarten: Opt-out erst nach drei Monaten

Eltern, die ihr vierjähriges Kind nicht in den Kindergarten schicken wollen, müssen das trotzdem tun – zumindest drei Monate lang.
Bildungsministeirn Heinisch-Hosek.
Schule

Bildungsreform: „Beinharte Verhandler“

Die Regierung braucht für die Umsetzung der Bildungsreform die Stimmen von FPÖ oder Grünen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.