Lieber gemeinsam oder getrennt lernen?

Gemeinsam oder getrennt lernen?
Gemeinsam oder getrennt lernen?Die Presse
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Nach Geschlechtern getrennte AMS-Kurse für Migranten haben vergangene Woche eine Debatte ausgelöst. Im Schulbereich sind Vertreter der Monoedukation nur mehr eine kleine Minderheit.

Grundwert. Es war dieses Wort, mit dem Integrationsminister Sebastian Kurz vergangene Woche ausrückte. Um etwas zu verteidigen, das er in Gefahr wähnte – das gemeinsame Lernen und Arbeiten von Männern und Frauen, nämlich. Da das AMS einige nach Geschlechtern getrennte Kurse, sogenannte Kompetenzchecks, für Migranten, vornehmlich aus dem arabischen Raum, angeboten hatte, pochte er darauf, dass sich die Zuwanderer an die Gegebenheiten in Österreich zu halten hätten und das AMS keine „falsch verstandene Toleranz“ zu üben hätte.

Abgesehen davon, dass im Rahmen der dabei aufkeimenden Debatte viel aus dem Bauch und ohne genauen Blick auf Fakten diskutiert wurde, das AMS und der dafür zuständige Sozialminister zunächst auch noch etwas konfus mit völlig unterschiedlichen Erklärungen aufwarteten, blieb ein zentraler Punkt weitgehend unberührt. Ob es nämlich nicht vielleicht – Grundwerte hin oder her – sinnvoll sein könnte, in manchen Bereichen nach Geschlechtern getrennt zu arbeiten. Vor allem im Bildungsbereich gibt es nach wie vor Stimmen, die eine Trennung für sinnvoll halten. Besonders in Hinblick auf Mädchen taucht dieser Wunsch immer wieder auf. Vergangenes Jahr etwa pries die deutsche Kinder- und Jugendbuchautorin Cornelia Funke, die mit dem Fantasyroman „Tintenherz“ berühmt wurde, die Vorteile der getrennten Erziehung: „An einer Mädchenschule kannst du lernen, dass es keine Grenzen für Frauen gibt“, sagte sie in der „Zeit“. Die Mädchen, so die Idee dahinter, könnten sich besser entfalten, weil sie nicht durch Buben abgelenkt würden, kein Imponiergehabe zeigen müssten. Und außerdem könnten sie in naturwissenschaftlichen Fächern besser gefördert werden – wo sie sonst im Schatten der Buben stünden. Tatsächlich sieht das nach wie vor tradierte Geschlechterbild so aus, dass Buben mehr Talent für Naturwissenschaften haben, Mädchen dagegen etwa in Physik oder Mathematik unbegabt seien. Dem, so die Schlussfolgerung, könne man durch eine Trennung der Geschlechter in der Schule entgegenwirken.

Allein, die Vertreter der reinen Lehre der Monoedukation sind mittlerweile eine Minderheit. In Österreich gibt es nur noch eine Handvoll Institutionen, die nur einem Geschlecht offenstehen. Die wenigen Verbliebenen findet man vor allem im Westen. In Wien gibt es getrennten Unterricht nur noch in den orthodox-jüdischen Schulen im zweiten Bezirk. Das traditionelle Wiener Schottengymnasium bietet schon seit 2004 gemeinsamen Unterricht an. Die übrig gebliebenen Schulen mit getrenntem Unterricht im Westen sind katholisch und haben meist eine lange Tradition. Eine der verbliebenen Mädchenschulen ist etwa die katholische Mittelschule Goldenstein in Salzburg.


Strebsamere Mädchenklasse. Die Vorteile, die darin liegen, nur Mädchen aufzunehmen, werden dort klar angesprochen: „Wir haben viele Probleme gar nicht, die es sonst an Schulen gibt“, heißt es aus der Schule. Gemeint sind vor allem disziplinäre Schwierigkeiten. Dass Mädchenklassen strebsamer seien, sieht man auch am Sacre Coeur Riedenburg in Bregenz so: „Mädchen sind stärker am Schulerfolg interessiert, und das nicht nur in den Fächern, die sie interessieren“, heißt es von der Schulleitung. Die Mädchen müssten sich nicht im Umgang mit dem anderen Geschlecht beweisen – und durch die eigene Schulkleidung falle auch der Modedruck weg. Die katholische Schule ist auch für andere Konfessionen offen – besonders für Mädchen mit muslimischem Hintergrund könnte das interessant sein, meint etwa Direktor Gebhard Hinteregger. Derzeit gebe es aber nur etwa 20 von ihnen unter den mehr als 500 Schülerinnen.

Doch selbst unter den verbliebenen reinen Buben- und Mädchenschulen ist ein Umbruch zu bemerken. Das Borromäum, ein katholisches Privatgymnasium in Salzburg, wird bald die einzige Bubenschule in Österreich sein. Denn für das Collegium Bernardi (Mehrerau) in Bregenz ist schon das letzte Jahr als reine Bubenschule angebrochen, ab kommendem Herbst werden in dem Privatgymnasium auch Mädchen aufgenommen.


Zeitgemäße Pädagogik. Der Schule ist nun eine „zeitgemäße Pädagogik im Hier und Heute“ wichtig. Der gemeinsame Unterricht sei eine Vorbereitung auf das gemeinsame Leben. Ebenso im letzten Jahr der Monoedukation befindet sich das Mädchengymnasium St. Ursula in Klagenfurt. Grund dafür sei der Druck der Eltern gewesen – dem habe man nun nachgegeben. Die Unterstufe, an der Buben bereits zugelassen waren, würde nun in die Oberstufe hineinwachsen. Die übrigen Schulen des Trägers St. Ursula in anderen Städten sind bereits für beide Geschlechter offen.

Die Schulen folgen damit einem Konsens in der Wissenschaft, dass nämlich Koedukation, der gemeinsame Unterricht von Mädchen und Buben, zu besseren Ergebnissen führe. Doch innerhalb dieses Rahmens gibt es Stimmen, die zumindest eine teilweise Trennung für sinnvoll halten. „Es soll nicht der ganze Unterricht sein“, sagt etwa Sylvia Soswinski. Die akademische Referentin für feministische Bildung und Politik, die unter anderem Coachings im Schulbereich anbietet, kann sich, je nach Schultyp, einen eigenen Unterricht in Physik, Mathematik oder Deutsch vorstellen. Um gezielt auf Lernbedürfnisse und sozialisationsbedingte Vorerfahrungen von Mädchen und Buben eingehen zu können.

Auch in der Sexualerziehung hält sie getrennten Unterricht für sinnvoll: „Ich bin dafür, geschlechtshomogene Räume zu schaffen, um Dinge anzusprechen, die ein bestimmtes Geschlecht betreffen.“ Auf diese Weise würden etwa Hemmungen wegfallen, man könne offener über eigene Probleme und Fragen sprechen. Klar sei aber auch, dass man die Ergebnisse der beiden Gruppen am Ende wieder zusammenführen müsse. Schließlich sollen ja auch Männer wissen, wie der weibliche Körper funktioniert und umgekehrt.

Eine Überlegung, die Christiane Spiel nachvollziehen kann – einen kurzen getrennten Einstieg, meint sie, könne man überlegen (siehe Interview rechts). Doch insgesamt hält es die Bildungspsychologin von der Uni Wien für sinnvoll, auch in sensiblen Bereichen wie der Sexualität Buben und Mädchen gemeinsam lernen zu lassen. Viel wichtiger sei es, dass die Lehrer darauf achten, Stereotype zu vermeiden. Und zu vermitteln, wie Männer und Frauen wertschätzend miteinander umgehen. Das Zusammenleben sei gesellschaftliche Realität – warum sollte man sie in der Schule ausblenden. Wiewohl es in manchen Extremsituationen, wie Spiel meint, sinnvoll sein könne, Männer und Frauen separat zu betreuen – nur sei eine gemischte Schulklasse in der Regel keine solche Situation.


Ungleichgewicht im Kurs. Und das AMS, durch dessen getrenntgeschlechtliche Kompetenzchecks die Debatte erst aufgekommen ist? Das rechtfertigt sich unter anderem damit, dass es einfach viel mehr männliche als weibliche arbeitssuchende Migranten gebe. In manchen Kursen, so AMS-Vorstand Johannes Kopf, würde dann ein Ungleichgewicht entstehen, weil zahlreichen Männern etwa nur ein oder zwei Frauen gegenüberstünden. Dadurch würden gewisse Themen zu kurz kommen. Und abgesehen davon gehe es auch darum, „klassische Rollenbilder zu hinterfragen und Frauen auch für technische Berufe zu interessieren“, so Kopf im „Presse“-Interview.

Motive, die aus praktischer Sicht nachvollziehbar wirken. Die aber bei oberflächlicher Betrachtung eine ideologische Debatte befeuern können, in der dann Schlagwörter die Argumente in den Hintergrund drängen. Grundwerte, zum Beispiel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.12.2015)

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