Talente: Auf der Suche nach Hochbegabten

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Bleiben mehr als die Hälfte der hochbegabten Schüler unerkannt? „In Oberösterreich nicht“, heißt es in Linz. Mit 600.000 Euro Budget fördert die Stiftung Talente begabte Schüler.

Linz. Der Bereich der Hochbegabung ist ein pädagogisches Minenfeld. Lehrer klagen über Eltern, die ihre Kinder bei Verhaltensauffälligkeiten kurzerhand als hochbegabt titulieren. Eltern klagen über Lehrer, die nicht willens sind, hochbegabten Kindern mehr Input zu geben. Schulen heften sich gern ein paar wohlklingende Schlagworte an die Eingangstür, einen Streit mit den beiden Seiten vermeiden sie häufig aber doch lieber.

Die Zahl der Kinder, die auf Hochbegabung getestet werden, steigt stetig an, hört man etwa von der Test- und Beratungsstelle der Universität Wien. Doch bleiben viele hochbegabte Kinder unerkannt? Gar mehr als die Hälfte, wie der Hamburger Erziehungswissenschaftler Thomas Trautmann jüngst in der „Presse“ sagte?

Zahlen sind grundsätzlich ein Problem: In Österreich gibt es diverse Stellen, die Kinder auf Hochbegabung testen. Zu den Universitäten und schulischen Stellen kommen auch viele niedergelassene Psychologen, die die Begabung der Kinder mit unterschiedlichen Methoden testen. Die Ergebnisse laufen nicht zusammen, ein Konzept sucht man in den meisten Bundesländern vergebens. Anders in Oberösterreich: Hier hat man sich überlegt, wie man hochbegabte Kinder finden kann. Denn man sieht sie nicht als Belastung für das System, sondern als Potenzial.

„Die Gesellschaft soll stolz auf kluge Leute sein“, sagt Wolfgang Lanzinger, Generalsekretär der Stiftung Talente. So begibt sich die Stiftung des Landes in der zweiten Klasse Volksschule aktiv auf die Suche: Schüler, die den Lehrern aufgefallen sind, werden zu einer Gruppentestung im eigenen Bezirk eingeladen. Die Lehrer treffen die Auswahl nicht „nach Gefühl“, sie werden vorab informiert und mit Beobachtungsbögen ausgestattet – und Eltern können auch noch „nachnominieren“. Wobei fast alle Begabten von Lehrern aufgespürt werden.

Die erfolgreichsten unter diesen rund 450 Schülern werden dann noch zu einem ausgefeilteren Test mit Gespräch nach Linz eingeladen, ohne dass die Eltern etwas zahlen müssen. Zuletzt wurde bei der Hälfte dieser Kinder – rund 250 – eine Hochbegabung festgestellt. Die Schüler kommen dann in ein Förderprogramm, das die gesamte weitere Schullaufbahn umfasst.

Lernwerkstätten, Förderkurse

Derzeit werden für die Volksschüler Lernwerkstätten erprobt, ein Großteil der Förderung findet aber in der Freizeit statt. Für die Schüler von Neuer Mittelschule und AHS gibt es etwa Talentförderkurse an den Schulen und Sommerakademien. Lanzinger freut sich besonders darüber, dass man mittlerweile „in der Bevölkerung angekommen“ sei und nicht nur die ohnehin bildungsaffinen Schichten erreiche. „In Oberösterreich werden sicher sehr viele hochbegabte Schüler erkannt“, sagt Lanzinger. Auch wenn man nie eine hundertprozentige Rate erreichen könne. So hinke man im Migrantenbereich leider hinterher.

Doch viele Erfolge sieht der Generalsekretär direkt, bei den einzelnen Schülern: „Erst gestern sprach ich mit einem Jugendlichen, bei dem die Situation schon sehr eskaliert war“, sagt Lanzinger. „Er war nicht mehr schulfähig, wurde psychologisch betreut. Wir haben Konzepte und eine neue Schule für ihn gefunden, jetzt macht er Matura. Damit habe ich eine echte Freude.“

Ziel ist eine flächendeckende Struktur, in jedem Bezirk gibt es Lehrer, die eigens als Talentecoach abgestellt seien. Mit einem Budget von 600.000 Euro pro Jahr (die Hälfte kommt vom Land, die Hälfte von der Wirtschaft) sei man auch finanziell gut ausgestattet. „So viel haben alle anderen Bundesländer zusammen“, sagt Lanzinger. Und man kann Kurse finanzieren wie beispielsweise die Woche der angewandten Informatik, in der sich Oberstufenschüler gemeinsam mit Uni-Lehrenden spezielle Aufgaben vornehmen.

Viele begabte NMS-Schüler

Da sich Begabungen oft erst später entwickeln, werden diese in Oberösterreich bis zum Alter von 14 Jahren kontinuierlich getestet. Und man macht dabei auch für das Institut überraschende Entdeckungen: „Von den 600 bis 700 Schülern, die wir in der Sekundarstufe positiv testen, kommen rund 150 aus der Neuen Mittelschule.“ Allerdings gibt es eine Einschränkung: Das betrifft nur den ländlichen Bereich.

Mittlerweile habe sich das Programm sehr gut herumgesprochen, sagt Lanzinger, der die Institution vor neun Jahren im Auftrag des Landesschulrats neu organisiert hat. Trotzdem gebe es immer noch Probleme mit Eltern, weil diese ihre Kinder nicht testen lassen wollen. „Viele Eltern tabuisieren Hochbegabung immer noch und sehen sie als Problem“, sagt Lanzinger. Im vergangenen Jahr habe eine Mutter zu ihm gesagt, sie wolle ihren Sohn nicht testen lassen. Die Begründung: So dumm sei er ja gar nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2016)

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