Ganztagesschule: Schule statt Sportverein

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91673595.jpg(c) Frank Aussieker / Visum / picturdesk
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Dass Schüler zunehmend auch den Nachmittag in der Schule verbringen, macht den Sportvereinen zu schaffen. Sie drängen auf eine gesetzlich verankerte Einbindung.

Wien. Der Alltag von Österreichs Schülern ist im Wandel begriffen. Für immer weniger von ihnen endet die Schule zu Mittag oder früh nachmittags, immer mehr verbringen den ganzen Tag in der Schule. Die Ganztagsschulen sind – vor allem durch politische Ausbaubemühungen – auf dem Vormarsch. Eine Entwicklung, die keineswegs alle freut. Große Vorbehalte gibt es etwa bei den Sportvereinen.

Sie sehen sich in diesem Wandel gleich als mehrfacher Verlierer: Ihnen gehen durch die Ganztagsschulen nicht nur Trainingsplätze, sondern auch Mitglieder verloren. Denn Turnsäle sind nun vermehrt durch den Unterricht blockiert, und den Kindern fehlt für den nachmittäglichen Vereinsbesuch zunehmend die Zeit. Zudem sind Vereine in der Nachmittagsbetreuung (zu) wenig eingebunden: „Im Gesetz gibt es keine gesicherte Einbindung eines Sportvereins in den Schulalltag. Es kommt zu einer vollkommenen Verstaatlichung des Bewegungs- und Sportangebots“, moniert Walter Strobl, Präsident der Wiener Sportunion und einstiger Vizepräsident des Stadtschulrats.

Tatsächlich wurde vom Gesetzgeber weniger auf die Zusammenarbeit von Schulen und Vereinen und mehr auf die Schaffung neuer Berufsbilder für die Nachmittagsbetreuung gesetzt. So sollen sich ab Herbst erstmals Bewegungscoaches und Freizeitpädagogen um Sportaktivitäten abseits der Turnstunden an Ganztagsschulen kümmern. Die Ausbildung richtete sich vor allem an Sportstudenten, Instruktoren und Trainer.

Als „erste Öffnung der Schulen für Vereine und Trainer“ sieht das der Präsident der Bundessportorganisation, Herbert Kocher. Der Einsatz dieser ausgebildeten Einzelpersonen allein reicht aber nicht. Es müssten rechtlich abgesicherte Kooperationen zwischen Vereinen und Schulen gefunden werden. „Hier sind Vereine im Zuständigkeitsdickicht zwischen Bund, Ländern und Gemeinden immer noch die Leidtragenden“, sagt Kocher. Strobl ist die Regelung, die Vereine nur über die Seitentüre, also über die Person des Trainers, in Schulen lässt, ein Dorn im Auge: „In Schulgesetzen soll der Verein verankert sein und nicht bloß irgendein Trainer, der zufällig mit einem Verein in Kontakt ist – oder auch nicht.“

„Macht den Verein überflüssig“

Die gesetzliche Verankerung sei keine formale Spitzfindigkeit, sondern überlebenswichtig für Vereine: „Der Sportverein hört auch nach Ende der Schulzeit nicht auf, Sportverein zu sein. Lernen Kinder einen solchen kennen, dann gibt es einen Klebeeffekt. Tun sie das nicht, verlieren sie den Kontakt zum Sport“, sagt Strobl. Insofern lehnt er die staatlichen Qualifizierungen von Bewegungscoaches und Sport-Freizeitpädagogen sowie die Anstellung von Trainern ab: „Es macht den Verein weiter überflüssig.“ Das wiederum würde dem Sportangebot in Österreich langfristig schaden.

Die vielen Kooperationen zwischen Schulen und Vereinen, die es trotz fehlender gesetzlicher Verankerung bereits jetzt gibt, hält Strobl für keine befriedigende Alternative: „Solche Kooperationen sind zeitlich befristet. Sie sind nicht nachhaltig.“

Dass es auch anders geht, zeigt Deutschland. Dort hat man den Vereinen einen höheren Stellenwert eingeräumt. In Nordrhein-Westfalen ist die Konzeption und Umsetzung des außerunterrichtlichen Sports Aufgabe von Schulen, Schulträgern und eben Sportorganisationen. In Hamburg wird der Sportjugend bzw. dem Sportbund sogar Vorrang gegenüber kommerziellen Sportanbietern gegeben. Und in Schleswig-Holstein werden Verträge über die Durchführung der außerunterrichtlichen Sportangebote vorrangig mit Vereinen und Verbänden des Landessportverbands abgeschlossen.

Derartige Regelungen können aber eines nicht verhindern: Die Situation für Sportvereine (wie auch für Musikschulen, Theatergruppen und Pfadfinder usw.) wird sich mit der Zunahme an Ganztagsschulen weiter verschärfen. Denn nicht alle Vereine einer Stadt können Teil der Nachmittagsbetreuung sein. Strobl plädiert dafür, vor allem Turn- und Breitensportvereinen einen gesetzlich abgesicherten Platz zu geben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2016)

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