Jeder zehnte Schüler ist ein echter Risikofall

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Elf Prozent der österreichischen Schüler sind im Rechnen und Lesen sehr schwach. Es wird angenommen, dass sie sich "in einer modernen Gesellschaft nicht vollständig zurechtfinden".

Das sind die Schüler, die wirklich Grund zur Sorge haben - und auch Sorgen machen: Elf Prozent der österreichischen Schüler haben bei der letzten PISA-Studie in allen drei Testgebieten schwach abgeschnitten. Sie erreichten sehr schlechte Ergebnisse sowohl im Lesen als auch in der Mathematik und den Naturwissenschaften. Das zeigt eine am Mittwoch veröffentlichte Auswertung der OECD, die die PISA-Testung von 2012 noch einmal unter die Lupe nahm.

Sie werden sich nicht vollständig zurechtfinden

Insgesamt haben also rund 9500 Jugendliche des  entsprechenden Altersjahrgangs der 15- bzw. 16-Jährigen ernste Leistungsschwächen in allen Bereichen. Als "Schüler mit Leistungsschwächen" definiert die OECD jene Jugendlichen, die bei der PISA-Studie eine bestimmte Punktezahl (in Mathe sind das 420, im Lesen 407 und in den Naturwissenschaften 410 Punkte) unterschritten haben.

Für diese wird angenommen, dass sie sich "in einer modernen Gesellschaft nicht vollständig zurechtfinden". Sie können mithilfe klarer Anweisungen und unter Heranziehung einer einzigen Informationsquelle zum Teil zwar simple Schlüsse ziehen, etwas komplexere Aufgaben aber nicht selbstständig lösen.

Forderung nach Gesamtschule

Als Reaktionen auf diese Zahlen kam bisher von der SPÖ nicht ganz überraschend die Forderung nach Gesamtschule und Ganztagssschule. Bildungsministerin Heinisch-Hosek: "Meine Forderung nach einer gemeinsamen Schule hat positive Auswirkungen auf die Leistungen der SchülerInnen." Und: "Die Ganztagsschulen bieten eine Verlängerung des Schulalltags und stellen damit eine effektive Förderung der SchülerInnen dar. Risikofaktoren wie geringe Sprachkenntnisse oder Sozialstatus sind besser ausgleichbar." In dasselbe Horn stößt Wiens neuer Stadtschulratspräsident Jürgen Czernohorszky.

Estland, Finnland, Polen viel besser

Zu diesen schwachen Schülern gehören in Österreich in Mathematik 19 Prozent, im Lesen 19,5 Prozent und in Naturwissenschaften 16 Prozent. In allen drei Gebieten zählen eben elf Prozent zur  Risikogruppe.

Zum Vergleich: Der OECD-Schnitt liegt bei zwölf Prozent. Am geringsten ist dieser Anteil in Shanghai und Hongkong mit jeweils knapp zwei Prozent, in Europa liegen Estland (drei Prozent), Finnland (fünf Prozent), Polen und Liechtenstein (je sechs Prozent) am besten. Am unteren Ende der Skala findet sich Peru (53 Prozent), innerhalb der EU haben Bulgarien (29 Prozent), Rumänien (24 Prozent) und die Slowakei (19 Prozent) Aufholbedarf.

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Die OECD geht aber auch den Gründen für die Leistungsschwächen nach. Ergebnis: "Den" einzigen Risikofaktor gibt es nicht: Vielmehr sei es "eher eine Kombination und Anhäufung verschiedener Hindernisse und Benachteiligungen, die Schüler ihr ganzes Leben lang begleiten". Über alle OECD-Staaten gerechnet wird etwa die Wahrscheinlichkeit eines schwachen Abschneidens in Mathematik von Faktoren wie Geschlecht, Sprache, sozioökonomischem Status, Migrationshintergrund, Familiensituation, Wohnort, Schulwahl sowie dem Besuch eines Kindergartens und dem Umstand, ob eine Klasse wiederholt wurde, bestimmt.

Mädchen mit Migrationshintergrund

Das höchste Risiko eines schlechten Abschneidens hätte OECD-weit demnach ein Mädchen mit Migrationshintergrund aus einem im ländlichen Raum gelegenen Alleinerzieher-Haushalt mit geringem Einkommen und Bildung, in dem eine andere Sprache als jene des Untersuchungslandes gesprochen wird, das keinen Kindergarten besucht hat und in eine Schule mit berufsbildendem Schwerpunkt geht, wo sie bereits eine Klasse wiederholt hat. Für Österreich gilt Ähnliches, allerdings sind die Zusammenhänge mit der Familiensituation und den Wohnort nicht so signifikant ausgeprägt.

Sitzenbleiber sind - no na - besonders schwach. Wer bei der untersuchten Gruppe eine Klasse wiederholte, hatte das 6,4-fache Risiko, ein leistungsschwacher Schüler zu sein. Der sozioökonomische Hintergrund macht sich auch bemerkbar: 34 Prozent der Schüler aus einem Haushalt mit geringem Einkommen bzw. Bildung fielen in Österreich unter die Leistungsschwachen in Mathematik.

Geld nicht überbewerten

Allerdings sollte der sozioökonomische Hintergrund aufgrund vieler anderer Faktoren nicht überbewertet werden, zeigt ein anderer Vergleich: Ein männlicher Schüler aus einem aus beiden Elternteilen bestehenden Haushalt mit mittlerem Einkommen bzw. Bildung, der keinen Migrationshintergrund hat, daheim die gleiche Sprache spricht wie in der Schule, in einer Stadt lebt, mehr als ein Jahr einen Kindergarten besucht hat, keine Klasse wiederholt hat und eine allgemeinbildende Schule besucht, hat OECD-weit eine zehnprozentige Wahrscheinlichkeit, zu den schlecht abschneidenden Schülern in Mathematik zu gehören.

Bei einem Migranten-Mädchen mit gleichem sozioökonomischen Hintergrund, das in einem Alleinerzieher-Haushalt am Land lebt und das eine andere Sprache als in der Schule spricht, keinen Kindergarten besucht, dafür eine Klasse wiederholt hat und in eine berufsbildende Schule geht, beträgt die Wahrscheinlichkeit dagegen 76 Prozent.

Der Link zur Auswertung: >>>

(APA/rovi)

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