„Es braucht keine Gesamtschulversuche, sondern Autonomie“

(c) Michaela Bruckberger
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Bildungsforscher Hopmann über Minimalkompromisse bei der Bildungsreform, gezielte Interventionen für benachteiligte Schüler und mehr Mittel für einige Schulen.

Die Presse: Als die Bildungsreform präsentiert wurde, haben Sie sich „mehr Mut“ gewünscht. Dieser scheint nun auch bei der Umsetzung zu fehlen. Oder?

Stefan Hopmann: Wunder gibt es immer wieder, aber es hat sich wie so oft herausgestellt, dass am Tag nach der Einigung keiner mehr wusste, worauf man sich geeinigt hat. Und im Moment sieht es so aus, als würden leider nur Minimalkompromisse herauskommen.

Welche Punkte des Papiers gehören denn unbedingt umgesetzt?

Zuerst: Völlig vergessen wurde alles, was mit Inklusion zu tun hat. Das wird im ganzen Papier systematisch nicht angesprochen.

Und von dem, was bereits in dem Reformpapier steht?

Das wäre, die Schulautonomie substanziell auszugestalten. Die Befürchtung ist, dass nur das Gehäuse übrig bleibt – aber neue Kontrollmechanismen kommen. Dass mehr standardisierte Überprüfungen eingeführt werden, um feststellen zu können, wie gut oder schlecht die Schulen mit der Autonomie zurande kommen. Dabei ist von echter Autonomie gar nicht die Rede.

Was wäre verzichtbar?

Die Gesamtschulmodellregionen braucht es wirklich nicht. Die Erwartung, dass man durch so eine Oberflächenveränderung nachhaltig Chancengleichheit verbessern könnte, ist empirisch nicht haltbar.

Aber jene, die für Gesamtschulversuche plädieren, meinen damit ja auch mehr interne Differenzierung, bessere Förderung der einzelnen Schüler. Geht das nicht in die richtige Richtung?

Um Schule von innen pädagogisch zu verändern, braucht man keinen Gesamtschulversuch, sondern eine ordentliche Schulautonomie, damit sich die einzelnen Schulen an ihre Verhältnisse anpassen können. Und das lässt sich auch in den existierenden Strukturen lösen, das könnte man ebenso im Rahmen der Neuen Mittelschule machen.

Was müsste man also tun, um die Probleme anzugehen?

Ich bin auch kein Vorkämpfer für das Gymnasium. Aber es gibt keinen Grund anzunehmen, dass man mit der Gesamtschule Benachteiligungsprobleme lösen kann. Wenn man diese lösen will, muss man den Benachteiligten helfen. Das heißt: Man braucht gezielte Interventionen für sie – und nicht irgendwelche Gießkannenstrukturen, von denen man Wundereffekte erwartet.

Was meinen Sie genau mit diesen gezielten Interventionen?

Das Zentrale ist: Man muss in der Schule lernen können, was es für die Schule braucht. Aber das österreichische Schulsystem ist sehr stark von den außerschulischen Ressourcen abhängig. Ich nenne das manchmal Prämienverteilung an fleißige Mütter. Was wir brauchten: eine Schule, in der jene Kinder, die diese außerschulischen Ressourcen nicht ausreichend haben, diese in der Schule bekommen.

Und das ist natürlich wieder eine finanzielle Frage.

Das setzt auch den Einsatz von Mitteln zugunsten dieser Kinder voraus. Und diese Bereitschaft zur Umverteilung zugunsten der Benachteiligten ist aus der Bildungsreform herausgefallen. Die sogenannte sozialindizierte Mittelverteilung – dass Schulen mit schwierigeren Bedingungen mehr Mittel, anderes Personal bekommen können als andere – wurde im letzten Moment fallen gelassen. Dabei wäre das viel wichtiger gewesen als der ganze übrige Kram.

DISKUSSION ZUR BILDUNGSREFORM

Stefan Hopmann (61) ist Bildungsforscher an der Uni Wien. Das Institut für Bildungswissenschaft veranstaltet in Kooperation mit der „Presse“ eine Diskussionsreihe zur Bildungsreform. Den Auftakt macht „Die verspätete Gesamtschule“ am 4. April (15 Uhr, Sensengasse 3a, Hörsaal 1). Es diskutieren: Stefan Hopmann, Fritz Enzenhofer (ÖVP-Landesschulratspräsident in Oberösterreich), Daniel Landau (grüner Bildungsexperte) und Günter Haider (Ex-Chef des Bifie).

Weitere Termine: „Die vergessene Inklusion“ (2. Mai), „Die vergebene Chance der Schulautonomie“ (23. Mai) und „Die verplante Kindheit“ (13. Juni), jeweils 15 Uhr, Uni Wien. [ Michaela Bruckberger]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2016)

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