Jürgen Rainer: "Zentralmatura ist eine sinnlose Angelegenheit"

„Ich habe die Lehrer gestärkt, indem ich nicht zu viel geschrien habe“, sagt Lehrergewerkschafter Jürgen Rainer.
„Ich habe die Lehrer gestärkt, indem ich nicht zu viel geschrien habe“, sagt Lehrergewerkschafter Jürgen Rainer.(c) APA/GEORG HOCHMUTH
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Jürgen Rainer, Noch-Chef der Gewerkschaft an berufsbildenden Schulen, über Intelligenzunterschiede bei Kindern, "abgelutschte" Arbeitszeitdiskussionen und das strategische Lehrer-Bashing der Ex-Bildungsministerin.

Die Presse: Es wird kaum ein gutes Haar an den Pflichtschulen gelassen: Die Kinder würden dort oft nur unzureichend rechnen, lesen und schreiben lernen. Wie kann es sein, dass die berufsbildenden höheren Schulen (BHS), die diese Schüler ja aufnehmen, dann einen guten Job machen?

Jürgen Rainer: Wir kompensieren die Schwächen. Ob wir sie ausmerzen können, weiß ich nicht. Die Herausforderungen sind vor allem in der ersten Klasse enorm. Da gibt es unter den Schülern mindestens fünf verschiedene Leistungsstufen.

Wie geht man damit um?

Die wichtigste Maßnahme der letzten Jahre war die Einführung der Klassenteilung in der ersten Klasse in den Kernfächern. Das hat nachweislich dazu geführt, dass wir 5000 Schüler, die wir ansonsten verloren hätten, halten konnten. Grundsätzlich muss man aber sagen, dass die Schule zwar einen großen Anteil daran hat, ob ein Kind schulisch erfolgreich ist, aber nicht allein entscheidend ist. Wir müssen auch über die kognitive Ausstattung der Kinder reden. Es wird ja so getan, als würden alle gleich dumm und gleich gescheit zur Welt kommen.

Bei uns hängt die Leistung stark vom Sozialstatus ab. Aber Intelligenz hat ja nicht zwingend mit sozialem Hintergrund zu tun.

Natürlich hat das damit zu tun. Es ist eine Frage der frühkindlichen Förderung. Und leugnen Sie nicht, dass es auch geburtgegeben ist. Studien haben gezeigt, dass Kinder heute, wenn sie in die Schule kommen, kognitiv deutlich höhere Vorbedingungen mitbringen als in den 1960ern. In Deutschland wurde zudem die Schwierigkeit von Mathematikbeispielen im Zeitvergleich untersucht. Demnach sind auch die Anforderungen gestiegen. Dass nun mehr Kinder Probleme haben, Schritt zu halten, ist klar.

Was müsste sich ändern?

Die gesamten Strukturdiskussionen, wie etwa jene um die Gesamtschule, sind Firlefanz. Der Fokus muss auf gutem Unterricht liegen. Und dazu braucht es gute Lehrer.

Braucht es eine strengere Auswahl der Lehrer?

Die guten Lehrer sind da. Wenn ich sehe, dass die Kollegen mit einer großen Freude arbeiten, aber leider dabei behindert werden, dann frustriert mich das.

Inwiefern werden sie behindert?

Heute ist es so, dass nur 40 Prozent der Lehrerarbeitszeit für unterrichtliche Tätigkeit aufgewandt werden. 60 Prozent werden für alles andere, was als Lehrer so auf einen einstürzt, aufgewandt. Wir haben eine neue Zentralmatura, eine neue Oberstufe und überall neue Lehrpläne. Wissen Sie, wie viele Konferenzen es deshalb gibt? Wie viele Multiplikatoren da sind, die immer allen alles erklären müssen? Kaum hat man sich in einer Fachgruppe zusammengesetzt, kommt aus einer anderen Ecke etwas Neues.

Sind alle Reformen per se falsch?

Sie sind unnötig. Sie bringen keinen besseren Unterricht. Ich halte die Zentralmatura beispielsweise für eine sinnlose Angelegenheit.

Heuer findet diese erstmals an den BHS statt. Fürchten Sie sich?

Mir geht es da wie dem Kleinkind im tiefen, dunklen Wald. Ich pfeife vor mich hin und hoffe, jeder hört mich und lässt mich in Ruhe. Das Ministerium ist zuversichtlich, das Bifie-Institut hat gelernt und die Schüler sind gut vorbereitet.

Der Kanzler hat zuletzt angesprochen, dass das Loch im Bildungsbudget durch die Mehrarbeit der Lehrer gestopft werden könnte. Hat er damit komplett unrecht?

Natürlich ist das eine mächtige Schraube. Es wurde daran schon mehrmals gedreht – beim neuen Lehrerdienstrecht, bei der Kürzung der Auszahlung der Überstunden.

Ist es denkbar, dass noch einmal daran gedreht wird?

Man wird es immer wieder probieren. Ich glaube aber, dass die Diskussion abgelutscht ist. Das finanzielle Problem des Bildungsministeriums ist ein Problem der Regierung bzw. des Finanzministers. Denn das strukturelle Defizit hat nicht die Ministerin verschuldet.

Zum Finanzminister sollten Sie als schwarzer Gewerkschaftsvertreter einen guten Draht haben.

Ich bin kein Erfüllungsgehilfe einer politischen Partei, sondern christlicher Gewerkschafter. Ich versuche klarzumachen, wer es in der Hand hätte, etwas zu ändern. Warum geht die Bildungsministerin nicht her und stellt ihre Position zur Disposition, wenn sie nicht das nötige Geld kriegt? Denn eines ist klar: Ohne frisches Geld geht es nicht. Die Idee der Ministerin, dass schulautonom fünf Prozent der Lehrerkosten umgewandelt werden sollen, ist die größte Schnapsidee, die ich je gehört habe. Das kann nur einem Österreicher einfallen.

Sie waren lange an der Spitze der BMHS-Lehrergewerkschaft. Hat sich das Lehrerimage verändert?

Die Phase, in der sich Lehrer nicht einmal mehr sagen trauten, dass sie Lehrer sind, ist wieder vorbei. Aber es hat einen Imageverlust durch die lehrerverachtende Diskussion gegeben. Dabei hat Ex-Ministerin Claudia Schmied sicher gute Arbeit geleistet. Ihre Strategie, um mehr Geld zu kriegen, war, öffentlich über die Schulprobleme zu sprechen und das Lehrerimage zu beschädigen. Denn je größer die mediale Aufmerksamkeit, desto größer wird der Druck auf die geldgebenden Institutionen. Und je mehr ich als Gewerkschafter das System verteidige, desto geringer wird der Druck.

Eigentlich hätten Sie also ziemlich ruhig sein müssen.

Ich war auch relativ ruhig. Ich habe die Lehrer gestärkt, indem ich nicht zu viel geschrien habe.

Demnach schadet Ihr lauter AHS-Gewerkschaftskollege Eckehard Quin dem Lehrerimage.

Nein. Das schadet nur den Gewerkschaftsfunktionären selbst. Er hat eben andere Themen als ich. Es ist angesichts der Gesamtschuldiskussion seine Aufgabe, die Unterstufe der AHS zu verteidigen.

Was soll Ihr Nachfolger anders machen als Sie?

Er soll bitte ja nichts ändern.

Zur Person

Jürgen Rainer (65) ist seit 2005 Vorsitzender der Gewerkschaft an berufsbildenden mittleren und höheren Schulen. Der Steirer wird morgen, Donnerstag, beim Gewerkschaftstag in Wien seine Funktion an Roland Gangl (siehe rechts) abgeben. Der studierte Wirtschaftspädagoge ist außerdem seit 1999 Vorsitzender des Zentralausschusses der BMHS. Dieses Amt wird er im Herbst übergeben und in den Ruhestand treten.

Sein Nachfolger ist der Niederösterreicher Roland Gangl (43). Er gilt als logische neue Spitze, da er seit einigen Jahren Stellvertreter des scheidenden Vorsitzenden war. Gangl, der wie Jürgen Rainer ein Wirtschaftspädagogik-Studium abgeschlossen hat, eilt der Ruf eines peniblen Fachmannes für Dienstrechtsangelegenheiten voraus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2016)

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