Viele Schüler hätten Potenzial für bessere Leistungen

Viele benachteiligte Schüler in einer Klasse drücken das Niveau für alle Schüler – auch für die bessergestellten.
Viele benachteiligte Schüler in einer Klasse drücken das Niveau für alle Schüler – auch für die bessergestellten.Clemens Fabry
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Viele Schüler hätten das Potenzial für bessere Leistungen – bei mehr Förderung. Dafür sollen sie stärker durchmischt werden. Und besonders belastete Standorte besser finanziert.

Wien. Viele Schülerinnen und Schüler hätten das Potenzial für bessere Leistungen – sie brauchen dafür allerdings mehr Unterstützung. Genau diese Kinder und Jugendlichen sind für den Bildungsforscher Ferdinand Eder von der Uni Salzburg die österreichische Begabungsreserve: Wenn es gelinge, sie zu fördern, steige das durchschnittliche Qualifikationsniveau des Landes. Und zwar substanziell.

Mehr individuelle Förderung, stärkere Durchmischung der Schülergruppen und mehr Geld für jene Standorte, die besonders belastet sind: Das sind einige zentrale Forderungen, die die Autoren des Nationalen Bildungsberichts am Mittwoch präsentiert haben. Der Bericht, den das Bildungsinstitut Bifie alle drei Jahre herausgibt, zeigt neben Daten über die Schule einige bildungspolitische Baustellen auf.

Etwa, dass auch an den Schulen das sogenannte Matthäus-Prinzip herrscht: Wer hat, dem wird gegeben. Wenn sich in einer Schule oder Klasse lernförderliche Merkmale häufen – bildungsaffine Eltern, hoher sozialer Status, keine Sprachprobleme –, ist das für alle Schüler ein zusätzlicher Bonus. Das Problem: Es wirkt auch in die andere Richtung. Sitzen in einer Klasse viele Schüler mit schwierigeren Voraussetzungen, haben sie nochmals schlechtere Chancen – und zwar unabhängig vom eigenen Hintergrund. Ein weiteres Beispiel für eine Häufung negativer Effekte ist die Bundeshauptstadt mit ihrem hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund. Nun erhalte Wien auch noch den größten Anteil an Flüchtlingskindern. So entstünden Brennpunktschulen mit einem zusätzlichen Malus, sagt Eder.

Aus für „Direktorsklassen“

Die Bildungsforscher drängen daher auf eine stärkere Durchmischung der Schüler – was aus mehreren Gründen nicht ganz einfach ist. Ein zentraler Faktor für die Zusammensetzung der Schülerschaft ist die Wohnbaupolitik. Und alles, was mit Verpflichtung zu tun hat, würde die Eltern auf die Barrikaden bringen. Es gibt aber international auch andere Beispiele: Unterstützung für Mittelschichteltern, die mehrere Kinder gemeinsam in eine (ansonsten gemiedene) Schule schicken oder die Planung neuer Schulen an Gebietsgrenzen.

Aber auch innerhalb von Schulen gebe es Segregationstendenzen, sagt Eder: „Früher hat man oft von Direktorsklassen gesprochen“, sagt er – also von den Klassen mit den besseren Schülern. Die Trennung nach Leistungsstärke, Nachmittagsbetreuung oder Religion (wegen des Religionsunterrichts) führe zu Ballungen bestimmter Merkmale, die zu negativen Effekten führen können. Klassen sollten daher nach dem Zufallsprinzip organisiert werden, etwa nach dem Alphabet.

Wo die negativen Effekte nicht durch bessere Durchmischung abgemildert werden können, kommt eine Maßnahme ins Spiel, die ab Herbst zumindest ansatzweise verwirklicht wird: die Ressourcenverteilung nach Sozialindex. Sprich: mehr Geld für Problemschulen. Als einen ihrer letzten kleinen Erfolge setzte Ex-Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) zuletzt noch durch, dass 144 Millionen Euro künftig nach einem Sozialindex verteilt werden. Schulen mit mehr Kindern aus bildungsfernen oder armen Familien bzw. mit Migrationshintergrund oder anderer Muttersprache sollen das Geld – teilweise geht es um das aus dem Integrationstopf – bekommen.

Generell werden Schulen aber weiterhin anhand der Schülerzahl finanziert. Extrageld gibt es für Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf und für Sprachförderung. Sozialer Hintergrund und Bildung der Eltern – zwei der stärksten Hemmnisse für eine Bildungskarriere – spielen keine Rolle. Das zu ändern steht auch auf der Agenda der neuen Bildungsministerin, Sonja Hammerschmid (SPÖ). Ein Index, nach dem Zusatzmittel vergeben werden, setze punktgenau an den Standorten an, sagte Hammerschmid. „Dies bedeutet Chancengerechtigkeit für alle.“

Wunder darf man sich davon aber keine erwarten, wie bei einer Enquete der Wiener Arbeiterkammer am Montag klar wurde. In Hamburg, wo die gezielte Förderung von Problemschulen seit 20 Jahren Praxis ist, zeigt sich: Für den Anschluss an weniger belastete Schulen kann das zusätzliche Geld nicht sorgen. Aber zumindest gehe die Schere nicht weiter auf, sagte die Hamburger Forscherin Martina Diedrich. Ein wirklicher Erfolg sei, dass die Schüler an sozial stark belasteten Standorten gleich viel dazulernen wie jene an weniger belasteten Schulen.

Bessergestellte am Nachmittag

Einige weitere interessante Details zeigt der Bericht: Nur 30 Prozent der sozialen Ungleichheiten beim Übergang von der Volksschule zur AHS-Unterstufe sind durch Leistungsunterschiede zu erklären. Und Schulen mit Nachmittagsbetreuung werden eher von Schülern aus sozial bessergestellten Familien besucht.

AUF EINEN BLICK

Bildungsbericht. Das Bifie-Institut gibt alle drei Jahre den Nationalen Bildungsbericht heraus. Diesmal auch mit Empfehlungen an die Politik. Es brauche mehr individuelle Förderung, eine stärkere soziale Durchmischung bzw. mehr Geld für Problemschulen. Lehrer und Schulleitungen müssten besser auf ihre Herausforderungen vorbereitet werden. Und die Schulverwaltung soll reformiert werden. Es brauche eine einheitliche Bundesverwaltung mit flachen Hierarchieebenen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2016)

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