"NMS mit Wiener Brille zu sehen, ist schädlich"

„Ich wehre mich, in einen Topf mit der Situation in Wien geworfen zu werden“, so Niederösterreichs Landesschulratspräsident.
„Ich wehre mich, in einen Topf mit der Situation in Wien geworfen zu werden“, so Niederösterreichs Landesschulratspräsident. (c) Stanislav Jenis
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Niederösterreichs Landesschulratspräsident Johann Heuras (ÖVP) hält den zwangsweisen Einsatz von AHS-Lehrern in NMS für "nicht sonderlich gescheit" und die siebenteilige Notenskala für "eine Geburt aus der Not".

Die Presse: Ist das Teamteaching, der gemeinsame Unterricht zweier Lehrer in der Neuen Mittelschule, gescheitert?

Johann Heuras: Nein. Diese sechs vom Bund finanzierten Zusatzstunden sind ein wesentliches Merkmal der Neuen Mittelschule. Daher würde ich davor warnen, sie infrage zu stellen. Damit stellt man nämlich die gesamte Neue Mittelschule infrage.

Ist das Teamteaching Ihrer Meinung nach pädagogisch wertvoll?

Ich habe nichts dagegen einzuwenden. Entscheidend ist allerdings nicht, dass in der Klasse ein Pflichtschullehrer gemeinsam mit einem AHS- oder BHS-Lehrer steht, sondern dass diese Lehrer miteinander können und wollen. Sie haben die Stunde gemeinsam vor- und nachzubereiten. Deshalb halte ich die zwangsweise Beglückung der NMS für nicht sonderlich gescheit.

Offenbar wollen vor allem AHS-Lehrer nicht mit den Lehrern an der NMS zusammenarbeiten.

Die Motivation, sich das anzutun und zu sagen, ich fahr hinüber in die NMS, fehlt an den AHS da und dort. Grund dafür sind die Organisation und die Entfernung.

Es geht rein um Machbarkeit?

Ja. Und da im Unterricht von zwei NMS-Lehrern die gleiche Qualität erreicht werden kann, ist es vollkommen egal, aus welchem Bereich die beiden Lehrer kommen.

Dem Bildungsministerium ist es nicht egal. Dort erwartet man sich vom Einsatz von AHS- bzw. BHS-Lehrern mehr Maturanten aus der Neuen Mittelschule.

Der Akademisierungswahn ist ein Irrsinn. Es gibt auch andere gute Möglichkeiten – eine Lehre etwa. Außerdem kommen 50 Prozent aller Maturanten über die NMS bzw. die frühere Hauptschule. Ich sehe hier also kein Defizit.

Eher als AHS-Lehrer unterrichten BHS-Lehrer in Neuen Mittelschulen. Sie haben angedeutet, dass das so ist, weil die BHS-Lehrer sich dort ihre künftigen Schüler aussuchen. Richtig?

So ist es. Letztendlich werden Schulen auch deswegen Partnerschaften eingehen, um für sich Schüler zu akquirieren. Und jetzt frage ich: Ist das wirklich der Sinn der Sache? Aus meiner Sicht nein.

In der NMS gibt es sieben Noten. Die vertiefende Skala geht bis Genügend. Dann rutscht man in die grundlegende Skala, die von Befriedigend bis Nicht genügend reicht. Ist diese Regelung gut?

Die Notenskala ist entstanden, weil man die Leistungsgruppen, die es in der Hauptschule gab, aufgehoben hat. Man hat nicht gewusst, wie man die Beurteilung sonst gewährleisten sollte. Die Parallelverschiebung der vertiefenden und grundlegenden Skala war eine Geburt aus der Not heraus. Es ist zu hinterfragen, warum man in der grundlegenden Skala bestenfalls ein Befriedigend haben kann. Was mich daran stört, ist, dass es zu einer Verunsicherung der Eltern, Schüler und Lehrer geführt hat. Und das hat letztendlich dem Schultyp nicht gutgetan.

Sollte es in der NMS künftig wieder eine einfache fünfteilige Notenskala geben?

Das wird schwierig sein. Ich wäre zumindest dafür, dass man sagt, es gibt eine grundlegende Skala von eins bis fünf und eine vertiefende Skala von eins bis fünf, und eben keine Parallelverschiebung. Das wäre einfacher und transparenter.

Oder wünschen Sie sich die Leistungsgruppen zurück?

Die braucht es momentan nicht. Wir haben ein anderes Modell mit innerer Differenzierung gewählt. Diese ständigen Diskussionen sind sehr schädlich für die NMS.

Diese Diskussion wurde in der Vergangenheit aber sehr gern von der ÖVP, Ihrer Partei, angestoßen. Etwa von Klubchef Reinhold Lopatka oder Parteichef Reinhold Mitterlehner.

Die Debatte darf man schon führen. Aber die Beispiele, die Sie mir genannt haben, erwecken für mich den Eindruck, dass die Debatte in Wien geführt wird. Und ich wehre mich als Präsident des niederösterreichischen Landesschulrates, in einen Topf mit der Situation in Wien geworfen zu werden. Ich besuche viele NMS, und ich sage Ihnen: Die sind top. Die mit der Wiener Brille zu sehen ist schädlich.

In einer Großstadt haben Schulen ganz andere Startvoraussetzungen. Deshalb wird ja eine soziale Staffelung des Geldes diskutiert. Was halten Sie davon?

Natürlich haben es manche Schulen in Wien schwieriger. Da sollte man zusätzliche Ressourcen, etwa Psychologen und Sozialarbeiter, bereitstellen. Das Geld darf man aber nicht woanders wegnehmen. Es braucht zusätzliche Mittel – vielleicht auch aus dem Sozialressort, weil es um soziale Probleme geht.

Sehen Sie kein Einsparungspotenzial im Bildungssystem? Internationale Studien zeigen, dass wir viel Geld ausgeben.

Widerspruch. Das stimmt nicht. Es gibt eine OECD-Studie, die zeigt, dass Österreich gemessen am BIP unterdurchschnittlich wenig für Bildung ausgibt.

Widerspruch. Die OECD-Studie sagt auch, dass Österreich pro Schüler mehr Geld ausgibt.

Es werden Äpfel mit Birnen vermischt. Österreich hat im Unterschied zu anderen Ländern kaum Unterstützungspersonal. Daher sind das alles Lehrerkosten.

Da sind wir dann ja an einem Punkt, an dem gespart werden könnte – und zwar, wenn man Lehrer für pädagogische Tätigkeiten einsetzen würde.

Da bin ich bei Ihnen. Das verlangt, dass das Bildungssystem aus einer Hand kommt und finanziert wird.

Finanziert wird es großteils vom Bund. Soll der entscheiden?

Das Geld kommt vom Steuerzahler. Ich hätte gern, dass das Geld mit Kopfquoten verteilt wird, die Länder Zielvorgaben erhalten und ihnen ansonsten freie Hand gelassen wird. Derzeit stößt man auf Hürden, die man sich auf der Zunge zergehen lassen muss. Wenn man Campusschulen für mehrere Schularten errichten will, ist das nur schwer machbar, weil es verschiedene Finanzierungstöpfe von Bund, Ländern und Gemeinden braucht. Wer zahlt den Turnsaal? Wer zahlt den Schulwart?

Da hat man mit der Bildungsreform ja gerade eine sehr große Chance verspielt, das zu ändern.

Ja, weil es leider Strömungen in diesem Land gibt, die glauben, dass man Bildung zentralisieren kann.

ZUR PERSON

Johann Heuras (geb. 1957) ist seit Herbst 2015 Niederösterreichs Landesschulratspräsident. Er ist selbst ausgebildeter Lehrer, war Bürgermeister, Landtagsabgeordneter, Landesrat und zuletzt Zweiter Präsident des Landtages.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2016)

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