Flüchtlinge und faule Kompromisse: Die Bildungsbilanz zum Schulende

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Vom Umgang mit Flüchtlingskindern über stecken gebliebene Bildungsreformen bis zu offenen Finanzfragen: eine Beurteilung des bildungspolitischen Schuljahrs.

Nicht nur für die 446.673 Schüler, die heute in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland ihr Zeugnis bekommen, war es ein intensives Schuljahr, sondern auch für die Bildungspolitik: Ab September stieg von Tag zu Tag die Zahl der Flüchtlingskinder. Nach langen Verhandlungen wurde am 17. November ein Reformpapier präsentiert. Und infolge der internen Turbulenzen in der SPÖ löste Sonja Hammerschmid im Mai Gabriele Heinisch-Hosek als Bildungsministerin ab. Eine verbale Beurteilung des bildungspolitischen Schuljahrs.

Flüchtlinge

Es war zweifellos die größte Herausforderung des Schuljahrs: die laufend ankommenden, insgesamt mehr als 13.000 schulpflichtigen Flüchtlingskinder in die Schulen zu integrieren. Was auch halbwegs gelang. Viele Schulstandorte bewiesen Willen und ebenso das nötige Improvisationstalent. Hier und da wurde auch ideologischer Ballast über Bord geworfen: etwa bei den Flüchtlingsklassen, die zumindest zeitweise notwendig sind, um Kindern einen Platz in der Schule zu sichern. Das lang versprochene Geld für Unterstützung floss aber erst spät. Weiter besteht großer Bedarf. Ein vielfach ungelöstes Problem sind Flüchtlinge, die älter als 15 Jahre und nicht mehr schulpflichtig sind. Sie können zwar in Schulen aufgenommen werden – haben aber keinen Anspruch.

Schulreform

Man kann nicht einmal sagen, dass das größte bildungspolitische Vorhaben seit Jahren auf halbem Weg stecken geblieben ist. Eher schon nach den ersten zwei Schritten. Eigentlich sollte die Reform bis Juni in Gesetze gegossen werden. Bisher ist von den acht Paketen, in die sie dividiert wurde, nur eines durch: Ziffernnoten können in der Volksschule künftig leichter abgeschafft werden, und der Übergang vom Kindergarten in die Schule wird verbessert. Die Schulautonomie ist auf Herbst verschoben. Bei Gesamtschulversuchen und Verwaltung scheint die Umsetzung völlig offen. Angesichts der faulen Kompromisse ist das aber vielleicht ohnehin nicht das Schlechteste.

Kindergarten

Eines muss man honorieren: Der Kindergarten wird wichtiger genommen. Es gibt zwar nach wie vor manche, die ihn als bloße Betreuung durch Tanten mit Herz sehen. Durchgesetzt hat sich aber die Überzeugung, dass es sich um eine Bildungseinrichtung handelt, die mindestens so wichtig ist wie die ersten Schuljahre. Dass trotzdem nichts passiert ist – Stichwort Bundeskompetenz oder Akademisierung der Pädagoginnen –, ist umso ärgerlicher. Ob der nicht unumstrittene Bildungskompass, der die Entwicklung der Kinder dokumentieren soll, vernünftig umgesetzt wird, ist offen: Ende Juli wird nicht nur das Konzept vorgestellt, sondern auch die nötigen Ressourcen. Und daran hakt es bekanntlich.

Finanzierung

Das strukturelle Budgetdefizit des Bildungsressorts ist genauso wenig neu wie in der Nähe einer Lösung. Es fehlen 550 Millionen Euro. Ob der Finanzminister diese herausrückt, ist offen. Realisierbare Sparmöglichkeiten im größeren Ausmaß hat das Bildungsressort bisher keine geortet. Ein vernünftiger Ansatz ist die geplante bessere Kontrolle über den Einsatz der Landeslehrer. Auch das aber: offen. Dass nun erstmals Extrageld nach einem sozialen Kriterienkatalog an Schulen verteilt wird, ist ausbaufähig.

Matura

Gröbere Pannen bei der Durchführung sind auch dieses Jahr ausgeblieben – und das, obwohl erstmals auch alle BHS-Schüler zentral maturieren mussten. Die Ergebnisse bei der Matura werden dagegen noch länger Stoff für Diskussionen sein. Die Mathematikklausuren fielen heuer doppelt so schlecht aus wie im Vorjahr, vielen Schülern rettete nur die Kompensationsprüfung die Reifeprüfung. Tatsächlich muss sich der neue Maturamodus erst einspielen. Hoffentlich nicht auf dem Rücken der Schüler.

Koalition

Der Tiefpunkt war der Moment, als ÖVP-Staatssekretär Harald Mahrer Heinisch-Hosek medial unterstellte, sie könne wohl nicht sinnerfassend lesen. Mit dem Umgang zwischen den angeblichen Partnern war es aber schon ab dem demonstrativen Handschlag bei der Präsentation der Bildungsreform bergab gegangen. Taktische Tricks und gegenseitige Blockaden inklusive.

Ministerin

In der Schule wäre Hammerschmid ein klarer Fall von Nicht beurteilt: Sie ist gerade einmal anderthalb Monate im Job und in dieser Zeit noch nicht wirklich aufgefallen. Den einen oder anderen Stehsatz verzeiht man angesichts der nötigen Einarbeitungszeit. Allzu lang darf diese aber nicht mehr dauern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2016)

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