Über Gleise: Lehrerinnen sind Job los

Der Übergang beim am Bahnhof Leobendorf
Der Übergang beim am Bahnhof Leobendorf (c) APA/HERBERT-PFARRHOFER
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Drei der vier Lehrerinnen, die 83 Schüler bei geschlossenen Bahnschranken über die Gleise lotsten, werden entlassen. Die körperliche Sicherheit der Schüler steht an erster Stelle.

Wien. Zumindest drei der vier Schulklassen der Volksschule Neustift am Walde in Döbling werden im September ohne ihre Klassenlehrerinnen dastehen: Nachdem diese 83 sechs- bis zehnjährige Schüler bei geschlossenen Bahnschranken über die Gleise gelotst hatten, kündigte der Wiener Stadtschulrat jetzt an, drei Pädagoginnen zu entlassen. Einer vierten Lehrerin steht ein Disziplinarverfahren bevor, auch da könnte eine Entlassung folgen.

Wie „Die Presse“ bereits berichtete, waren die Schüler und Lehrerinnen, gemeinsam mit einigen Eltern, vor zwei Wochen auf dem Heimweg von einem Ausflug auf die Burg Kreuzenstein. Um die Schnellbahn nach Wien nicht zu verpassen, führten die Lehrerinnen die Schüler am Bahnhof Leobendorf (Bezirk Korneuburg) über die Gleise. Wenige Sekunden später fuhr ein Regionalzug durch, ohne anzuhalten. Zeugen informierten die Polizei, eine der Lehrerinnen meldete sich noch am selben Tag. Inzwischen gaben alle vier Lehrerinnen den Vorfall zu. Das Argument für die gefährliche Aktion: Man sei spät drangewesen. Ein so gravierender Fall sei zumindest in den vergangenen Jahren einzigartig, heißt es aus dem Stadtschulrat zur „Presse“. „Für uns war klar, dass man hier mit Entlassung vorgehen muss.“ Für Schulausflüge gebe es klare rechtliche Vorgaben. Wesentlich sei die Gewährleistung der Sicherheit der Schüler. Wie es konkret im Aufsichtserlass des Bildungsressorts heißt: „Der Lehrer hat [. . .] insbesondere auf die körperliche Sicherheit und auf die Gesundheit der Schüler zu achten und Gefahren nach Kräften abzuwehren.“ Die Pädagoginnen hätten mit der Überquerung der Gleise beim Schulausflug eine schwerwiegende Dienstpflichtverletzung begangen.

Eltern sind gegen Entlassung

Die nun angekündigten Entlassungen sollen nach der vorgesehenen Einbindung der Personalvertretung spätestens Ende des Monats ausgesprochen werden, heißt es aus dem Stadtschulrat. Wie es für die vierte Pädagogin – im Unterschied zu den anderen ist sie Beamtin – weitergeht, ist erst nach dem Disziplinarverfahren klar. Auch das könnte zu einer Entlassung führen. Außerdem wird strafrechtlich wegen des Verdachts der fahrlässigen Gemeingefährdung ermittelt. Das dürfte auch den Eltern drohen, die als Begleitpersonen mit dabei waren. Auch die anderen Eltern stellen sich überraschenderweise hinter ihre Lehrerinnen. „Wir sind überzeugt, dass es sich um ein einmaliges Fehlverhalten gehandelt hat“, heißt es aus dem Elternverein. Man kenne und schätze die vier Frauen als „verantwortungsbewusste, hervorragende Lehrerinnen“. „Da sind natürlich auch Emotionen vorhanden, man kann das nicht verniedlichen“, sagt die Elternvertreterin Julia Köberl, Mutter zweier Kinder, die bei dem Ausflug dabei waren. „Aber die Kinder sollten nicht für die Fehler von Erwachsenen bestraft werden.“ Denn es behält maximal eine Klasse an dem kleinen Schulstandort, der von der Volksschule Krottenbachstraße mitverwaltet wird, ihre Lehrerin.

Schülerin ertrank im Bad

Lehrergewerkschafter Paul Kimberger lässt durchklingen, dass er die Entscheidung des Stadtschulrats für hart hält. „Natürlich ist das Verhalten inakzeptabel und muss entsprechend geahndet werden.“ Fristlose Entlassungen wie im vorliegenden Fall würden aber in der Regel eher ausgesprochen, wenn Lehrer verurteilt würden. Generell gebe es immer wieder Fälle, in denen die Aufsichtspflicht vernachlässigt worden sei und die sanktioniert würden.

Einer der gravierendsten Fälle der vergangenen Jahre passierte 2014 in Salzburg, wo eine syrische Schülerin im Hallenbad ertrank. Zwei Lehrerinnen wurden wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, bekamen aber kein Disziplinarverfahren. Sie seien bereits genug gestraft.

Auf einen Blick

Die Aufsichtspflicht ist einer der heikelsten Punkte im Schulalltag. Laut Gesetz müssen Lehrer die Schüler ab 15 Minuten vor Unterrichtsbeginn, in den Pausen und bei allen schulbezogenen Veranstaltungen – also auch Ausflügen – beaufsichtigen, „soweit dies nach dem Alter und der geistigen Reife der Schüler erforderlich ist“. Zentral: die körperliche Sicherheit, die Gesundheit der Schüler und die Abwehr von Gefahren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2016)

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