Nachhilfe für die Ganztagsschulen

Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ).
Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ).(c) APA/GEORG HOCHMUTH
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750 Millionen Euro werden investiert, um mehr Ganztagsschulen in Österreich zu schaffen. Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) holt sich Tipps von Vorreitern in Hamburg.

Hamburg. Am Dienstag der Vorwoche saß Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) noch im Bundeskanzleramt und paktierte in zähen Verhandlungen die Ausbauoffensive bei den Ganztagsschulen. Genau eine Woche später steht die Ministerin im Hof einer Ganztagsschule in Hamburg – weniger, um die Schüler beim Klettern, Sackhüpfen oder Badminton zu beobachten, sondern mehr, um sich von den Pädagogen Tipps zu holen.

Denn der Prozess, der den meisten österreichischen Schulen noch bevorsteht, ist an Hamburgs Schulen bereits abgeschlossen. Hier wurden in den vergangenen Jahren alle Grund- und Stadtteilschulen (Letztere sind die einzig bestehende Alternative zu den Gymnasien) von Halb- zu Ganztagsschulen umgewandelt. Obwohl die Teilnahme am Ganztag in den meisten Hamburger Schulen freiwillig ist, nützen mehr als 78 Prozent aller Grundschulkinder das Angebot. In Österreich sind nur rund 22 Prozent der Pflichtschüler in ganztägigen Schulformen. Auf 40 Prozent soll diese Quote durch die beschlossene Finanzspritze von 750 Millionen Euro bis zum Jahr 2025 angehoben werden.

Die Grund- und Stadtteilschule Alter Teichweg, in der Bildungsministerin Hammerschmid zu Gast ist, begann schon 2005, sich zur Ganztagsschule zu wandeln. Mittlerweile bietet die Schule von sechs bis 18 Uhr Betreuung an – und zwar auch in den Ferien. „Wir haben nur zwischen Weihnachten und Neujahr geschlossen“, sagt Schulleiter Björn Lengwenus.

Von neun bis 16 Uhr ist das Angebot (während des Schuljahres) gratis. Für die Betreuung in Rand- und Ferienzeiten müssen die Eltern zahlen. Die Kosten dafür sind sozial gestaffelt. Auch beim Mittagessen gibt es für Kinder aus ärmeren Familien Vergünstigungen.

Ganztägige Schulen führen zu mehr Chancengerechtigkeit – so argumentieren die SPD in Deutschland sowie die SPÖ in Österreich die Ausbauoffensive. An der Schule Alter Teichweg könnten sich viele Eltern ohne die kostenlose Ganztagsschule tatsächlich keine Nachmittagsbetreuung leisten. Ihre Kinder würden den Nachmittag allein zu Hause verbringen. Die Schule liegt in Dulsberg, einem der ärmeren Stadtteile Hamburgs. Fast 20 Prozent der Eltern beziehen Hartz IV. 80 Prozent der 1150 Schüler haben Migrationshintergrund.

Die Ganztagsschule ist politisch aber alles andere als unumstritten. In Österreich wird seit Jahren diskutiert. Die ÖVP will niemanden zum ganztägigen Schulbesuch zwingen. Bei verschränkten Ganztagsschulen, die sich die SPÖ wünscht, ist ein früheres Verlassen der Schule aber nicht möglich. Dadurch, dass sich in diesen Unterricht und Freizeit abwechseln besteht automatisch eine Pflicht. Viele derartige Schulen gibt es in Österreich nicht. Verbreiteter sind Ganztagsschulen, die eine reine Nachmittagsbetreuung anbieten.

An der Schule Alter Teichweg hat man sich bei den jüngeren Schülern für ein Mischmodell entschieden. Hier müssen die Kinder nur dienstags und donnerstags bis 16 Uhr bleiben. An den anderen Tagen gibt es für die, die es wollen, Nachmittagsbetreuung. Die älteren Schüler, also jene ab der fünften Schulstufe, haben am Nachmittag aber Anwesenheitspflicht.

Schule nicht nur Lehreraufgabe

Eine Ganztagsschule zu führen ist auch eine logistische Herausforderung. Davon können die Pädagogen der Grund- und Stadtteilschule Alter Teichweg berichten. Neben dem Schulessen müssen Sport-, Musik- und Freizeitangebote organisiert werden. Dafür wird u. a. mit Musikschulen, Sportvereinen und Theatern zusammengearbeitet. In den Randzeiten, vor acht und nach 16 Uhr, übernehmen die Erzieher von den Lehrern. Deren Arbeitszeit verändert sich, wird aber nicht länger. Die Erzieher kümmern sich auch um die Ferienbetreuung. Damit der ganztägige Betrieb läuft, gibt es eigene Ganztagskoordinatoren.

Schule scheint hier schon lange nicht mehr nur Aufgabe der Lehrer zu sein. Selbst der Unterricht nicht. An der Schule am Alten Teichweg sind neben den Lehrern meist Sozial- und Sonderpädagogen im Einsatz. Eine Dreifachbesetzung. Leisten kann sich die Schule das, weil sie als sozial belasteter Standort mehr Geld als andere Schulen bekommt. Sozialindex nennt sich das. Die Einführung eines solchen ist Hammerschmids nächstes politisches Ziel. Die Verhandlungen werden sicherlich hart werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2016)

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