Ganztagsschulen könnten Ferienbetreuung übernehmen

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Archivbild: Sonja HammerschmidClemens Fabry / Die Presse
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Die Schulen könnten in den Sommerferien offen sein, sagt Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ). Direktoren sollen aussuchen, ob sie Lehrer oder Sozialarbeiter wollen.

Habe ich das richtig verstanden? Am Montag begleiten Sie den kleinen Elias an seinem ersten Schultag, und dann gibt es ein Video von Ihrem ersten Schultag als Ministerin.

Sonja Hammerschmid: Ja.

Das ist ja eine süße Idee – aber haben Sie für so etwas wirklich Zeit? In der Schulpolitik gäbe es einiges, was drängt.

Natürlich haben wir alle Hände voll zu tun, unsere Ziele schnellstmöglich umzusetzen. Aber für mich ist es auch total wichtig, immer wieder draußen und vor Ort in den Schulen zu sein.

Manchen geht es aber viel zu langsam. Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl hat unlängst eine Bildungsrevolution gefordert.

Diese habe ich eine Woche vorher selbst skizziert, als ich darauf hingewiesen habe, dass wir uns mitten in einer technologischen Revolution befinden. Und dass wir daher andere Skills brauchen: digitale, unternehmerische, soziale.

Im Zuge dessen haben Sie den Fächerkanon infrage gestellt. Was soll sich denn ändern?

Ich stelle nicht die Fächer an sich infrage. Es wird immer Deutsch, Fremdsprachen und mathematische Kompetenz brauchen. Aber man muss die Lehrpläne in den Fächern kritisch hinterfragen, um Freiräume zu schaffen.

Was heißt das?

Es braucht eine Neugestaltung des Unterrichts. Wir müssen stärker entlang von thematischen Fragestellungen unterrichten. Zum Klimawandel kann der Geograf mit dem Biologen und dem Physiker arbeiten. Mit der Schulautonomie wird das erleichtert werden.

Mehr Schulautonomie war einer der wenigen Punkte, über die sich bei der Bildungsreform eigentlich alle einig waren. Warum dauert es dann so lang, bis es konkret wird?

Wenn man Autonomie wirklich breit aufsetzen will, berührt das unglaublich viele Gesetzesmaterien, die alle mitgedacht werden müssen. Die pädagogische Autonomie haben wir gerade angesprochen – aber das geht von der Abschaffung von Unterrichtseinheiten bis zur Tagesgestaltung an Ganztagsschulen und der Einbindung von Musikvereinen und Sportvereinen.

Dann stellt sich die Frage, ob der Zeitplan für die Reform nicht völlig unrealistisch war.

Das kann ich nicht beurteilen, da war ich noch nicht Ministerin. Fakt ist, dass wir jetzt, da wir intensiv daran arbeiten, sehen, wie komplex es ist.

Kritisiert wurde, dass Schulleiter bei der Lehrerauswahl nur ein Vetorecht haben.

Ich möchte, dass der Direktor wirklich über sein Personal entscheiden kann. Uns ist es ein Anliegen, dass Schulleiter ihr Personal selbst aussuchen können. Sie sollen sich auch aussuchen können, ob sie einen Lehrer brauchen – oder vielleicht eher einen Sozialarbeiter oder einen Psychologen.

Es ist schwer vorstellbar, dass die Lehrergewerkschaft da begeistert ist. Haben Sie von den Herren schon Anrufe bekommen?

Wir führen auf allen Ebenen Gespräche. Wenn wir Autonomie ernst nehmen, heißt das auch das.

Die finanzielle Autonomie war im Reformpapier kaum enthalten. Wird sie verstärkt?

Daran arbeiten wir noch intensiv. Aber wir sind dabei, den finanziellen Spielraum aufzumachen. Was auch hier viel Flexibilität bringen kann, sind Cluster. Dass sich Schulen freiwillig zu Verbünden mit 200 bis 2000 Schülern zusammenschließen. Das gibt unter anderem Spielraum bei den Ressourcen: vom Lehrereinsatz bis zu den Turnsälen.

Ein anderes Thema ist die Ganztagsschule: Dafür gibt es 750 Millionen Euro. Wie wollen Sie es schaffen, dass halbtägige Schulen zu Ganztagsschulen werden?

Wir gehen aktiv hinaus und informieren darüber, wie eine ganztägige Schule aussehen kann. Wenn man an eine Schule denkt, die fünf Tage in der Woche von acht bis 16 Uhr geht, legen alle sofort die Ohren an. Aber das ist es nicht. Wie die Ganztagsschule ausgestaltet ist, liegt am Standort. Wenn die Eltern etwa wollen, dass man an zwei, drei Tagen in der Woche Vereine hereinholt, wird das möglich sein.

Ihr Ideal wäre die verschränkte Ganztagsschule, bei der sich Unterricht und Freizeit im Lauf des Tages abwechseln.

Ja, aber auch das muss nicht starr fünf Tage in der Woche von acht bis 16 Uhr sein. Aber wir fördern eben auch Projekte, die nicht verschränkt sind und innovative Nachmittagsbetreuung anbieten. Das kann so weit gehen, dass Ferienbetreuung im Rahmen der Ganztagsschule möglich wird.

Das würde bedeuten, dass die Schulen in den Ferien geöffnet haben?

Genau. Die Schulen könnten in den Sommerferien offen sein. Dort könnten Freizeitpädagogen die Kinder betreuen, deren Eltern das wollen. Im ganztägigen Schulpaket sind ja Freizeitpädagogen für die Nachmittagsbetreuung mitbudgetiert. Das kann man natürlich auch über die Ferien anbieten.

Das würde die Debatte über kürzere Sommerferien beenden, die Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) angestoßen hat. Sie haben dazu nie Ja oder Nein gesagt.

Die Sommerferien zu stückeln hilft den Eltern nicht, weil sie trotzdem nur ihre fünf Wochen Urlaub haben. Ich halte die Länge der Sommerferien für adäquat, da Kinder Zeit brauchen, um abzuschalten. Und da wir wirklich Zeit für intensive Fortbildung der Lehrer brauchen.

Sie wollen, dass sich mehr Lehrer in den Ferien fortbilden?

Das findet ja jetzt schon in den Ferien statt. Und es wird mehr. Wir brauchen zunehmend Fortbildung, etwa im Kontext der Digitalisierung. Das kann nur in der Ferienzeit sein, da hier die Spielräume da sind, sich einer Fortbildung wirklich zu widmen.

Ein anderes Thema: Die reinen Flüchtlingsklassen sollten nur eine Übergangslösung sein. Jetzt startet Wien schon mit fünf solcher Klassen ins neue Schuljahr.

Von zuvor 17 auf fünf Klassen zu kommen ist eine ordentliche Leistung. Das zeigt den Einsatz der Pädagogen, um Flüchtlingskinder möglichst schnell in die Regelkassen aufzunehmen.

Die Flüchtlingsklassen scheinen inzwischen dennoch mehr als ein Provisorium zu sein.

Es ist jetzt erst das zweite Jahr. Ich würde sie schon noch als Provisorium sehen.

Im vergangenen Jahr sind alle von der eigentlichen SPÖ-Linie abgegangen, dass es keine Extraklassen geben soll. War sie vielleicht immer schon etwas realitätsfern?

Ich glaube, wir haben uns allesamt nicht vorstellen können, was da auf uns zukommt.

Die Salzburger SPÖ-Vizebürgermeisterin will keine Kopftücher bei Kindergartenkindern und wünscht sich ein Kopftuchverbot in der Volksschule. Finden Sie das gut?

Mir ist es wichtig, dass die Mädchen in der Schule sind und sie die Bildung bekommen, um ihre Potenziale auszuschöpfen.

Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat mit seiner Kritik an den Zugangsbeschränkungen in Informatik zuletzt eine Debatte ausgelöst. Da hat er Sie vorher aber nicht um Ihre Meinung gefragt, oder?

Nein.

Als Rektorin haben Sie immer darauf gepocht, dass man sich bei den Studienplätzen an den Kapazitäten der Unis orientieren muss – dass es also ohne Zugangsbeschränkungen nicht gehen wird. Erklären Sie das auch als Ministerin dem Bundeskanzler?

Wir sprechen immer wieder über Hochschule. Wichtig ist, dass wir den tertiären Bereich erweitern. Dass alle – unabhängig von ihrer Herkunft – Bildungschancen haben. Aber wir dürfen nicht die Augen vor der Realität verschließen. Das muss kapazitätsorientiert stattfinden – und da wird es irgendwann auch um das Thema Aufnahmeregelungen gehen.

Steckbrief

Sonja Hammerschmid wird 1968 als Kind einer Arbeiterfamilie in Steyr geboren. Im Mühlviertel besucht sie die Volksschule, Hauptschule und das Oberstufengymnasium. Sie studiert Biologie an der Universität Wien und wechselt nach einem Postdoc in die Wirtschaft. Im Jahr 2010 wird sie zur Rektorin der Wiener Veterinärmedizinischen Universität gewählt. Ab Jänner 2016 steht sie als erste Frau an der Spitze der Universitätenkonferenz. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) holt sie weniger als ein halbes Jahr später in die Regierung. Am 18. Mai 2016 wird sie als angelobt. Sie ist inzwischen auch SPÖ-Parteimitglied.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 4. September 2016)

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