Kein Leistungsschub durch Ganztagsschule

Die Regierung steckt 750 Millionen in die Ganztagsschule: Eher eine sozialpolitische Maßnahme als eine pädagogische?
Die Regierung steckt 750 Millionen in die Ganztagsschule: Eher eine sozialpolitische Maßnahme als eine pädagogische? (c) Clemens Fabry
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750 Millionen Euro werden in die Ganztagsschule gesteckt. Doch der Effekt auf die Leistungen der Schüler ist längst nicht so deutlich wie oft angenommen.

Wien. Sind die 750 Millionen Euro, die die Regierung nun in die Ganztagsschulen steckt, hinausgeworfenes Geld? Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann von der Uni Wien ist dieser Meinung. Denn: Es gebe keinen messbaren Nachweis dafür, dass die Ganztagsschule die Chancengleichheit fördere, sagte er im „Standard“. Und das sei immerhin eines der Hauptargumente für den Ausbau ganztägiger Schulen.

Was bringt die Ganztagsschule wirklich? Nun, der Effekt auf die Leistungen der Schüler ist tatsächlich längst nicht so deutlich wie oft angenommen. „Die Ganztagsschule ist eine sinnvolle sozialpolitische Maßnahme, aber man darf sie nicht als eine pädagogische Maßnahme verkaufen“, sagt der Erziehungswissenschaftler Ferdinand Eder von der Universität Salzburg.

Sie entlaste die Familien von Betreuungsaufgaben. Und pointiert könne man sagen: Vielleicht werde dann zu Hause etwas weniger über die Schule gestritten. Die pädagogischen Effekte seien aber so klein, dass er sie als neutral ansehen würde. Und es gebe auch keine belastbaren Befunde, die zeigen würden, dass Nachteile ausgeglichen würden. „Man würde sich etwas vormachen, würde man sagen: Das bringt einen Schub für das Kerngeschäft von Schule: die Leistungen.“

Eder bezieht sich auf die deutsche Steg-Studie, die mit einer ganzen Reihe von Untersuchungen seit mehr als zehn Jahren die Entwicklung von Ganztagsschulen begleitet und in deren Beirat er sitzt. Diese Studie wird auch in dem eigenen Ganztagsschulkapitel im nationalen Bildungsbericht 2012 zitiert. In dem es insgesamt – etwas positiver formuliert – heißt: Die Effekte der Ganztagsschule auf die Schülerleistungen seien widersprüchlich.

Es gibt weniger Sitzenbleiber

Für Österreich gibt es demnach keine Befunde. Querschnittsdaten zeigen für Deutschland insgesamt keine Leistungsvorsprünge für Schüler aus ganztägigen Schulen, in Längsschnittuntersuchungen gibt es kleinere Effekte bei jüngeren Schülern. Ein kompensatorischer Effekt für benachteiligte Jugendliche ist bei den Schulleistungen laut dem Bericht nicht belegt.

Je dichter das Ganztagsangebot, desto weniger relevant ist aber die soziale Herkunft für den Weg ins Gymnasium. Des Weiteren: Die Ganztagsschüler bleiben nach der Volksschule seltener sitzen. Und sie sind motivierter und entwickeln ein besseres Sozialverhalten – Letzteres gilt vor allem für Kinder aus ärmeren Familien.

Die direkten Effekte der Ganztagsschule auf die Leistungen seien vielleicht nicht so groß wie erhofft, sagt Ulrike Popp vom Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Klagenfurt und Mitautorin des Ganztagsschulkapitels im Nationalen Bildungsbericht. Es wäre aber falsch, die Ganztagsschule abzuschreiben. Das Potenzial von Ganztagsschulen würden etwa Details aus jüngeren Untersuchungen im Rahmen der Steg-Studie zeigen.

Demnach lesen Ganztagsschüler mit nicht-deutscher Herkunftssprache besser. Ganztägige Schulen verringern auch den Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und der Mathematiknote. Positive Effekte gebe es nur bei jenen, die das Ganztagsangebot dauerhaft und intensiv nutzen. Also nicht nur ein Jahr lang an ein paar Nachmittagen pro Woche, sondern längere Zeit und jeden Nachmittag.

Lernen auch am Nachmittag

Das spreche für die verschränkte Ganztagsschule, in der alle Schüler einer Klasse jeden Nachmittag verbringen, deren Ausbau – mit Augenmerk auf möglichst hoher Qualität bei der Umsetzung – auch im Bildungsbericht empfohlen wird. Das sagt auch Forscher Eder: Höheres pädagogisches Potenzial habe die verschränkte Ganztagsschule. Wenn man den Nachmittag in der Schule wirklich nutze, um das Lernen effektiv zu organisieren, wenn die Kinder also einen Teil dieser Zeit zusätzlich lernen, dann werde das nicht ohne Ertrag bleiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2016)

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