Schulleitung: „Ähnlich wie bei Start-ups“

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Schulexperte Michael Schratz darüber, wie der Direktor wieder zu einer relevanten Person werden kann.

Die Presse: Manche Direktoren haben an ihren Schulen schon bisher alle möglichen Freiräume ausgenützt, andere nicht. Wird sich mit dem geplanten Schulautonomiepaket wirklich so viel ändern?

Michael Schratz: Es hängt immer davon ab, wie weit Freiräume genutzt werden. Dadurch, dass wir ein stark hierarchisches System haben, sind auch die Verhaltensweisen oft entsprechend. Das wird sich aber ändern müssen, wenn sich der Rahmen erweitert, weil dann auch die Verantwortung für das ganze Tun bei der Schule liegt.

Sehr attraktiv ist der Schulleiterjob nicht. Bisher gibt es oft nur einen Kandidaten pro vakantem Direktorenposten. Wird der Job womöglich noch unbeliebter?

Unbeliebter wird er, glaube ich, nicht. Es ist vom Finanziellen her kein sehr attraktiver Aufstiegsposten und es gibt auch nicht viel administrative Unterstützung. Bisher gab es relativ wenig Spielraum, weil Ideen möglicherweise von der nächsten Instanz nicht mitgetragen oder behindert wurden. Mit der Autonomie kann hier aber neuer Schwung in das System kommen.

Weder finanziell noch bei administrativer Unterstützung tut sich aber mit der Bildungsreform substanziell etwas.

Es wäre schon wichtig, dass sich die Mehrarbeit der Direktoren auch in der Vergütung auswirkt. Oder sie erhalten entsprechende Unterstützung. Derzeit kommen sie sehr wenig zu dem, was sie machen wollen, nämlich pädagogische Führung wahrnehmen. Auch ein höheres Ansehen der Schulleiter kann viel bewirken. Das gelingt vor allem im engen Austausch mit dem Umfeld der Schule.

Was meinen Sie damit?

Wenn es gelingt, die Schule als Zukunftswerkstatt stärker mit der Gemeinde, der Community zu vernetzen, dann ist Schulleitung eine attraktivere Aufgabe. Man kommt aus der Isolation heraus, in der man bisher oft ist. Wenn man sich stärker vernetzt, dann gilt die Führungsperson wieder etwas. Früher waren der Pfarrer, der Schulleiter im Dorf relevante Personen. Diese Stellung ist verloren gegangen und könnte in einer neuen Form wiederbelebt werden. Wir wissen auch aus vielen Studien, dass der Erfolg einer Schule sehr stark davon abhängt, wie sie die Ressourcen im Umfeld nutzt.

Mehr Ressourcen wird das Autonomiepaket nicht bringen. Wie kann sich da etwa an Brennpunktschulen etwas verbessern?

Mittelfristig ist es natürlich wichtig, dass man bei der Budgetverteilung stärker auf den Kontext Rücksicht nimmt. Das heißt, dass man dort, wo die Herausforderungen größer sind, auch mehr investieren muss. Andererseits sehe ich zum Beispiel beim deutschen Schulpreis, dass Schulen, die unter schwierigen Bedingungen arbeiten, immer wieder Unterstützung von der Gemeinde oder der Stadt bekommen, wenn es erforderlich ist.

Das gelingt, weil sich der Schulleiter oder die Schulleiterin selbst darum bemüht?

Gute Konzepte, die aus einer gewissen Autonomie entstehen, finden auch mehr Unterstützung. Kluge Ideen schaffen Aufmerksamkeit und bündeln Energie, mit der die Umsetzung gelingen kann. Da gibt es sehr viele Schulen, die Ideen entwickelt haben, für die sie Machtsponsoren gefunden haben: die Politik, ein Unternehmen, ein Jugendzentrum, einen Verein, ein Altersheim. Es geht darum, gesellschaftliche Verantwortung für das öffentliche Gut Bildung zu gewinnen.

Wie sieht das dann konkret aus?

Schulen haben zum Beispiel gefunden: Wir brauchen für unseren Mittagstisch einen Koch, der die selbst organisierte Mensa mit den Schülern managt, oder wir brauchen gebrauchte Nähmaschinen, damit die kurdischen Mütter in die Schule kommen, um Vertrauen in die Schule zu finden. Dazu braucht es Menschen, die daran glauben. Im Prinzip ist das ähnlich wie bei einem Start-up. Da bekommt man dann nicht Geld heraus, sondern Bildung als öffentliches Gut.

Provokant könnte man also sagen: Es kann auch mit so wenig Geld gehen wie derzeit – wenn man es als Schulleitung schafft, sich rundherum andere Ressourcen zu organisieren.

Das ist ein Weg, den erfolgreiche Schulleiter eingeschlagen haben, wenn die Mittel vom Staat nicht da sind. Geld als Zahlungsmittel bringt noch nicht die Ideen, sondern Investment baut auf Verantwortung und Vertrauen. Ein System öffentlich aufzubauen, das Engagement unterstützt, das kluge Ideen umsetzt, wäre ein starker Anreiz.

Zu einem anderen Thema: Beim Autonomiepaket sollen Eltern, Lehrer und Schüler künftig in manchen Punkten – etwa bei der Klassengröße – kein Mitspracherecht haben. Ist das legitim?

Wenn Direktoren diese Entscheidungsräume nicht haben, können sie Autonomie in der vorgesehenen Form nicht leben. Sonst kommen oft nur Kompromisse heraus, die schlechter sind, als es vorher war. Es geht um das Wissen darüber, was eine Schule in welcher Phase zur Umsetzung anspruchsvoller Ziele braucht. Dazu ist Professionalität erforderlich, die bei der Schulleitung vorhanden sein sollte.

Also keine zwingende Mitsprache.

Das darf nicht falsch verstanden werden: Erfolgreiche Schulen binden Eltern und Schüler ohnehin extrem stark ein. Diese würden niemals auf die Idee kommen, über mangelnde Mitsprache zu klagen. Erfolg baut auf Respekt und Vertrauen.

ZUR PERSON

Michael Schratz (64) ist Dekan der School of Education an der Uni Innsbruck. Der Erziehungswissenschaftler sprach gestern beim Österreichischen Schulleiterkongress in Wien. Schratz ist auch in der Jury für den deutschen Schulpreis. [ Bruckberger ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2016)

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