Pisa: Weltweit größte Geschlechterkluft

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In keinem anderen Land ist der Leistungsunterschied zwischen Burschen und Mädchen so groß wie in Österreich. Für Bildungsministerin Hammerschmid sind die Pisa-Ergebnisse „inakzeptabel“.

Wien. „Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache“, kommentiert Bildungsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ) die Ergebnisse der neuen Pisa-Studie. Das tun sie tatsächlich. In allen drei Testbereichen – also in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften – hat sich Österreich verschlechtert. Fast jeder dritte 15-Jährige ist ein Risikoschüler und hat zumindest in einem der drei Bereiche „gravierende Mängel“. Das Lesen fällt Österreichs Jugend offenbar besonders schwer. Fast jeder Vierte hat dabei große Probleme. In Mathematik ist es jeder Fünfte.

Damit kommt Österreich beim Lesen auf Platz 25 von 38 OECD- bzw. EU-Ländern, in den Naturwissenschaften auf 20 und in Mathematik auf Rang 15. Die Bildungsministerin nennt das „inakzeptabel“. Österreich befinde sich in einer „Durchschnittsfalle“. Es müsse sofort gehandelt werden. „Denn Durchschnitt ist nicht erstrebenswert. Ziel für die Zukunft muss es sein, zu den zehn besten Ländern der Welt zu gehören“, gibt die Ministerin als Devise aus. Die noch immer in Diskussion befindliche Bildungsreform sieht sie als einen Schritt in Richtung ihres Ziels. Vor ihr liegen noch einige große Baustellen.

Große Geschlechterkluft

In keinem anderen Land der Welt ist die Kluft zwischen den Leistungen der Burschen und Mädchen in Mathematik und Naturwissenschaften größer als in Österreich. Die Ministerin zeigt sich „schockiert“. OECD-weit erreichen Burschen in Mathematik im Schnitt acht Punkte mehr als Mädchen. In Österreich sind es 27 (siehe Grafik). Das entspricht dem Leistungsunterschied von fast einem ganzen Lernjahr. In den Naturwissenschaften zeigt sich ein ähnliches Bild. Im OECD-Schnitt beträgt die Kluft zwischen den Geschlechtern vier Punkte. In Österreich sind es 19. Der Geschlechterunterschied wurde im Lauf der Zeit immer größer. Die OECD, die Pisa durchführt, warnte schon vor einigen Jahren: „Österreich sollte sich über das Auseinanderdriften zwischen Jungen und Mädchen Sorgen machen“, sagte der stellvertretende OECD-Bildungsdirektor, Andreas Schleicher, damals. Erklärungen, weshalb dieser Unterschied besteht, liefert Pisa zwar keine. Die Studie zeigt aber, dass es keine Kluft geben muss. Denn in 18 von 38 Ländern unterscheiden sich die Mathematikleistungen zwischen Buben und Mädchen nicht. Beim Lesen gibt es in Österreich einen umgekehrten Gender-Gap. Hier hinken die Burschen hinterher. Der Abstand von 20 Punkten ist international durchaus üblich.

Nachteil für Migranten

Laut Pisa zählt Österreich weltweit auch zu den Ländern mit den größten Nachteilen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. In den Naturwissenschaften besteht zwischen Österreichern und Migranten ein Leistungsunterschied von 70 Punkten. Es liegen also deutlich mehr als zwei Lernjahre zwischen im Land geborenen Schülern und Migranten. Beim Lesen ist der Leistungsunterschied zwischen Schülern mit und ohne ausländische Wurzeln mit 64 Punkten der größte in all den OECD- bzw. EU-Ländern, in denen mehr als fünf Prozent der Jugendlichen Migrationshintergrund haben. In Österreich ist der Migrantenanteil seit dem ersten Pisa-Test im Jahr 2000 von elf auf mittlerweile 20 Prozent gestiegen. Durch den meist niedrigeren sozialen Status der Migranten lassen sich die Nachteile übrigens nur bedingt erklären.

Große soziale Differenz

Auch der soziale Hintergrund bzw. das Bildungsniveau der Eltern hat in Österreich einen relativ großen Einfluss auf die Leistung der Kinder. In allen drei Bereichen erzielen Kinder von Akademikereltern um rund 100 Punkte mehr als Schüler, deren Eltern maximal einen Pflichtschulabschluss haben. Das entspricht einem Leistungsunterschied von mehr als drei Lernjahren. In den vergangenen 16 Jahren konnte dieser Unterschied auch nicht verkleinert werden. „Erschreckend“ findet das die Bildungsministerin. Es wird wohl an ihr liegen, das zu ändern.

Auf einen Blick

Pisa ist die Abkürzung für Programme for International Student Assessment. Die Studie wird von der OECD durchgeführt. Alle drei Jahre werden die Kenntnisse von 15- und 16-jährigen Schülern in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften getestet. Letztere waren diesmal Schwerpunkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2016)

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